AUS DAKHLA
VON Cai
WaggetT
J
edes Mal, wenn ich nach Dakhla
komme, genieße ich das Gefühl,
mit diesem Ort mehr und mehr
vertraut zu werden. In Sachen
Kiten gilt die Wüstenprovinz am
Rande der Sahara nicht umsonst
als Afrikas Nummer eins, die sich bereits als
Austragungsort der World Tour einen Namen
machen konnte: Äußerst fotogene Spots mit
verlässlichem, guten Wind über das ganze
Jahr und die Möglichkeit langer, epischer
Downwinder sprechen für sich. Den Prozess
des Ankommens liebe ich hier ebenso sehr wie
den Ort selbst. Es fühlt sich an, als würde ich
mein Leben im kalten Nordeuropa für kurze
Zeit komplett zurücklassen.
Alles fängt meist damit an, dass ich beim
nächtlichen Anflug mein Gesicht im Flugzeug
ans Fenster presse wie ein Kind, um auf die
blinkenden Lichter 30.000 Fuß unter mir zu
starren, die in Richtung Wüste hin immer
weniger werden. Dann, nachdem wir der
Halbinsel näher kommen, die sich wie ein
gekrümmter Finger in den Mittelatlantik hakt,
landen wir. Fix und fertig von all den Transfers
(und dem Essen im Flieger) verlasse ich das
Flugzeug. Und spüre sofort den warmen
Nordwind im Gesicht, der mich wie ein alter
Kumpel im Empfang nimmt.
Dann geht es weiter vom Flughafen zu meiner
Unterkunft. Beim letzten Mal war es das
Dakhla Spirit Camp (das seinem Namen mehr
als gerecht wird!). Das vertraute Brummen
eines wüstentauglichen Geländefahrzeugs
macht sich bemerkbar. Wir laden unsere
Siebensachen ein und verlassen den ins
schummrige Licht der Natriumlampen
getauchten Flughafenparkplatz in Richtung
Stadt, vorbei am in grell, aber charmant in
Neonfarben blinkenden Kreisverkehr und den
glänzenden Gehsteigen aus Marmor, weiter in
die dunkle Nacht. Durchs offene Fenster weht
mir der scharfe Geruch des Meeres in die Nase.
Auf unserem Weg nach Norden passieren wir
noch die ein oder andere Polizeikontrolle. Zu
unserer Rechten liegt die berühmte Lagune
Dakhlas mit den zahlreichen Camps, die sich
am Ufer angesiedelt haben.
Als wir im Camp ankommen, bläst uns der
Wind um die Ohren. Ich werde zu meinem
Zimmer gebracht und gehe direkt ins Bett
– schließlich will ich morgen fit sein. In der
Dunkelheit pfeift der Wind durch die Ritzen
des Raumes, alles knarrt und ächzt. Ein
einschläfernder Mix an Geräuschen. Langsam
gewöhnt sich mein Körper auch an die
Temperatur, und im Halbschlaf träume ich,
dass ich auf See bin. Naja, es ist ja auch (fast)
so: Ich liege hier am Rande einer endlosen
Wüste, und am anderen Ende befindet sich
das Ufer des Atlantiks.
Mit der Morgendämmerung beginnt hier
die spektakulärste Sonnenaufgangs-Show
ever – etwas, das ich in meiner Abwesenheit
sehr vermisst habe. Sonnenaufgänge in der
Wüste haben etwas Majestätisches. Während
der leuchtende Ball langsam am Horizont des
Ostens auftaucht, explodiert sein Licht aus der
trockenen Welt heraus und breitet sich aus.
Jeden Morgen stehe ich früh auf, nur um mir
dieses Naturschauspiel anzusehen. Ich trinke
meinen Kaffee und schätze die Windstärke
daran ab, die stark die marokkanische Flagge
im Morgengrauen weht. Das Frühstück wird
im Restaurantbereich serviert: Gebäck, Obst,
Eier und Kaffee. Dabei lauscht man dem
aufgeregten Geschwätz der Wüstenspatzen,
die geduldig warten, was für sie zum Frühstück
REFLEXIONEN
abfällt. Ein vertrautes Morgenritual in
Dakhla, das ich voll und ganz genieße.
Rhino, der Hund des Camps, folgt mir, als ich
das raue Plateau über den Zimmern erklimme
und dabei meine empfindlichen Winterfüße
durch das felsige Gelände dirigiere. Hier oben
kann ich Energie schöpfen und einen Plan für
den Tag machen. Unter mir schlängelt sich
die geschwungene Lagune Dakhlas dahin –
und im schillernden, nach Süden fließenden
Chop entdecke ich bereits ein paar Kiter!
Plötzlich bin ich total aufgeregt. Ich muss
sofort aufs Wasser! Wesentlich schneller, als
ich heraufgeklettert bin, eile ich wieder nach
unten, mit Rhino auf den Fersen.
Sami, der Coach des Kitecenters, stattet mich
mit Material aus und ich mache mich bereit
zum Start. Die Leinen sind dran, der Kite
ist in der Luft. Ich gehe absichtlich über den
weichen Sand am Ufer entlang und suche
meinen Weg durch haufenweise Muscheln, die
sich in der Gezeitenzone angesammelt haben
– Herzmuscheln, Scheidenmuscheln und
köstliche Austern – in Richtung der Lagune.
Dort setze ich mich ins warme, seichte Wasser,
atme tief ein, steuere meinen Kite scharf nach
unten und gleite davon.
Ich cruise nach Lee, über mir die Sonne, neben
mir Dragon Island, Afrika zu meiner Linken
und der Atlantik, obwohl außer Sichtweite,
zu meiner Rechten. Eine Welt völlig abseits
meines Alltags, die meine Mundwinkel nach
oben wandern lässt. Ich bin am Rande der
Sahara, wo der Wind niemals Pause zu
machen scheint ... Und jedes Mal, wenn die
Wüstensirene Dakhlas ihren betörenden
Gesang anstimmt, folge ich ihr – und kehre
an diesen magischen Ort zurück.
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