Sonntagsblatt 6/2016 | Page 7

– Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts ging auch Ungarn nicht zimperlich mit seinen Nationalitäten um. Viele hörten sol- che – leidergottes wahre – Geschichten von ihren Großeltern, wonach der Grundschullehrer diejenigen slowakischen Kinder mit dem Stock schlug, die das Vaterunser nicht auf Ungarisch aufsa- gen konnten. Und, wenngleich nicht bewusst, lebt in vielen die Furcht der älteren Generationen fort, dass die Madjaren/Ungarn das ehemalige Oberungarn zurücknehmen wollten. – Was wissen sie von den Beneš-Dekreten, der Vergeltung gegen die Tschechoslowakeimadjaren nach dem Zweiten Weltkrieg? – Nichts, sie haben nicht einmal davon gehört. Fügen wir hinzu, dass ein madjarischer/ungarischer Otto-Normalverbraucher auch nichts davon weiß, dass auch Ungarn nicht immer respektvoll mit seinen Nationalitäten umging. – Haben Sie die Bekämpfung des Unwissens auf Ihre Fahne geschrie- ben, als Sie vor fast einem Jahr anfingen, an einem Blog zu schreiben? – Viererlei Emotionen, Regungen wurden in mir freigesetzt. In der Südslowakei leben Slowaken und Madjaren zusammen, sie kennen einander, und – mehr oder weniger – verstehen, sprechen sie die Sprache des anderen Volkes. Bei uns herrscht ein großes Unwissen, hier habe ich auch sowas gehört, wonach „die dort im Süden” keine Madjaren, sondern ungarischsprachige Slowaken seien. Ich dachte, dass es notwendig wäre, Wissen zu vermitteln und neue Gesichtspunkte vorzustellen. – Sie schreiben einen madjarischen/ungarischen Blog für Slowaken, der als provokant abgestempelt wird. Hatten Sie keine Angst, dass dabei nichts Gutes rauskommt? – Nein, weil ich niemals jemanden verletzen wollte, ich bemühe mich sogar darum, dass sich beide Völker annähern. Ich versuche meine Gedanken mit dem größtmöglichen Taktgefühl zu formu- lieren. – Worüber haben Sie bislang geschrieben? – Unter anderem darüber, wie viele gemeinsame Punkte die mad - jarische/ungarische und die slowakische Kultur haben. Beispiels - weise gebraucht man unzählige Wörter – pálinka (Schnaps), kol- bász (Wurst), mamlasz (Muttersöhnchen), betyár (Ganove) – in der fast gleichen Form in der slowakischen Sprache. Ich habe über die slowakische Volksmusik und Literatur geschrieben, und natür- lich über Geschichte. In einem Eintrag, dem ich auf provokante Weise den slowakisch-nationalistischen Spruch „Madjaren hinter die Donaulinie!” gegeben habe, beschäftigt sich damit, dass sich die Slowakeimadjaren nicht in den letzten Jahrzehnten in der Slowakei angesiedelt haben, sondern seit tausend Jahren hier wohnen, für sie ist dieses Landstück Heimat. Und ich schlug den Slowaken vor, wie es denn wäre, wenn man die Madjaren nicht als Eindringlinge betrachten würde, sondern als eine Nationalität , die die Kultur der Slowakei bereichert. – Welche Reaktionen erhalten Sie in der Regel auf Ihre Blogeinträge? – Viele greifen mich an oder beleidigen mich, ich wurde schon öfters Chauvinist genannt. Aber es ist anders, wenn man so patrio- tisch ist, dass man gleichzeitig alle anderen Nationen gering- schätzt, oder so, dass man alle Nationen als gleichberechtigt aner- kennt. Von den Slowakeimadjaren signalisierten viele, sie würden sich freuen, dass sich endlich jemand den Problemen der Slo - wakeimadjaren widmet. Zu meiner großen Freude haben sich viele Slowaken bei mir bedankt dafür, dass sie dank dem Blog von vielen Dingen erfuhren, von denen sie früher noch nichts gehört hatten. Auch solche Menschen lesen meine Einträge gerne, die in Mischehen leben oder ihre Eltern unterschiedlicher Volkszuge - hörigkeit sind, denn über die Fragen zweisprachiger Erziehung ha - be ich schon mehrfach geschrieben. – Wie sehen Sie es, wie entwickelt sich das Schicksal derjenigen Ju - gend lichen, die als Kind von slowakischen und madjarischen Eltern zur Welt kommen? – Es kommt darauf an, in welchem Teil des Landes sie leben. Wo es keine ungarische Schule gibt, dort verlieren die Kinder schnell ihre madjarische Identität, wenn der madjarische Elternteil nicht hartnäckig genug ist. Ich habe mehrere Bekannte in der Nord - slowakei, deren ein Elternteil madjarisch ist, aber der ihnen das Ungarische nicht beigebracht hat, unter dem Motto, man würde nur Nachteile haben, weil man in seiner Gegend die Madjaren nicht mögen würde. Ich verurteile diese Menschen nicht, weil ich den Druck, die Angst auch spüre. Mein Mann und ich haben uns hingegen dazu entschlossen, unsere Kinder auf alle Fälle zu Menschen mit einer doppelten Identität zu erziehen. Deswegen haben wir die Entscheidung getroffen, dass ich und die Kinder ab September für ein Jahr nach Ungarn ziehen. – Zwei Ihrer drei Kinder gehen bereits in die Schule. Wie erleben sie, dass ihre Mutter Madjarin/Ungarin ist? – Meine Tochter, Ajna, bekennt sich als Madjarin. Sie hat sich zur Wehr gesetzt, als die Lehrerin bei der Nachmittagsbetreuung be - hauptete, in der Slowakei hätte keiner Ungarisch als Mutterspra - che. Sie hat sich auch dann verteidigt, als sie in der Schule gehän- selt wurde, weil ihr Nachname nicht auf -ová endet. Mein Sohn ist anders. Ihm ist es wichtig, dass ihn in seiner Umgebung jeder mag, akzeptiert. Als er in die erste Klasse ging, bat er mich, dass wir in der Schule nicht ungarisch reden sollen, weil er Angst hatte, dass er gehänselt wird, wenn man erfährt, dass er zur Hälfte Mad - jare/Ungar ist. Lange zögerte er auch auf der Straße, mit mir un - garisch zu sprechen. – Auch Hedvig Malina wurde deswegen misshandelt, weil sie auf der Straße ungarisch sprach. Wissen Ihre Kinder davon? – Ich habe mit ihnen darüber gesprochen, aber auch gesagt, dass das kein alltäglicher Fall ist. Es gibt schlechte Menschen, aber nicht jeder gehört dazu. Man kann nicht in Angst leben. Ich be - wundere Hedvig Malina für Ihren Mut und dafür, dass sie mit einer gesunden Seele das überleben konnte, was ihr widerfuhr. Das Traurigste ist, dass Fico und sein Innenminister, die damals behaupteten, sie würde lügen, als sie sagte, man hätte sie misshan- delt, sich bis heute nicht um Entschuldigung baten. Und es sind immer noch Fico und Co. an der Macht... – Was unsere Vergangenheit angeht, nicht nur die Slowaken wissen wenig über die Madjaren/Ungarn, sondern wir selbst kennen nicht genug unsere eigene Geschichte. Ich bin immer erschüttert, wenn ich beispielsweise höre, dass „ich nach Nové Zámky fahre” – denn auf der Karte steht der Name von Érsekújvár/Neuhäusl so. – In einem meiner Blogeinträge schrieb ich darüber, dass 2001, nach langem Warten, ein Wunder passierte: Über der Donau wur - de die neue Brücke zwischen Gockern/Párkány und Gran/Eszter - gom eröffnet. Das war eine symbolische Geste, um die Bezie hun - gen zwischen Ungarn und der Slowakei zu verbessern, und es gab natürlich praktischen Nutzen. Beispielsweise muss man dank einem Vertrag zwischen der slowakischen und ungarischen Kran - kenversicherung die Patienten in dringenden Fällen aus Gockern nicht mehr nach Neuhäusl fahren, sondern sie werden in Gran versorgt. Die Geschichte ist aber doch nicht so rund, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint. Ich weiß es von einem lieben Leser aus Gockern, dass das Krankenhauspersonal die Patienten aus Gockern als Slowaken nennt und sich kaum um sie kümmert. Wieder etwas, was ich nie verstehen werde. Die ungarländischen Madjaren/Ungarn, die den Verlust von Großungarn beweinen und die den Trianon-Jahrestag als Tag des nationalen Zusammenhalts feiern, verhalten sich ablehnend gegenüber den Landsleuten von der anderen Seite, sie nennen sie sogar Slowaken („tótok”), was nicht nur ihnen gegenüber verletzend ist, sondern auch den Slowaken gegenüber. Ich schäme mich auch für sie. – Was glauben Sie, werden wir irgendwann in der Lage sein, auf den (Fortsetzung auf Seite 8) 7