Sonntagsblatt 6/2015 | Page 24

wurde zur Schlafstelle meiner Eltern . Doch wo sollte ich schlafen !? – hatte ich doch in der Lagerbaracke ein komfortables US- Army-Feldbett zur Verfügung gehabt . Vater überlegte und hatte dann eine gute , für mich aber nicht sehr bequeme , Lösung gefunden . Auf dem Weidenkorb aus der Heimat wolle er mir ein Schlaflager einrichten mit unseren Schafwolldecken als Unterlage , einem kleinen Polster und einer „ Duchet ” zum Zudecken . Dies sei ja alles zunächst provisorisch , und sicher würde man sich bald ein entsprechendes Kinderbett besorgen können . Hier war er sehr optimistisch und verkannte die akute Mangelverwaltung im wirtschaftlich daniederliegenden Deutschland !!, denn der Weiden - korb sollte für die nächsten drei Jahre mein „ Lager ” bleiben , und erst beim dritten Wohnungswechsel 1949 sollte ich erstmalig wieder in einem eigenen Bett schlafen ! Mittlerweile war „ Vesperzeit ”, ein Begriff mit dem wir nichts anfangen konnten , hatte es bei uns zu Haus doch „ Nochtmohl ” geheißen . Eine Haustochter , Frieda , brachte uns Bauernbrot und Pellkartoffeln nach unten und stellte beides auf den Waschtisch . Aus unserem heimatlichen Schmalzvorrat bestrich Mutter vorsichtig die Brote , denn wir hatten schon mitbekommen , dass hier in Deutschland die Nahrungsmittel äußerst knapp waren . Zum Trinken gab es Wasser und etwas Milch . Nach dem „ Vesper ” – einer unserer ersten schwäbischen Begriffe – spülte Mutter unser Geschirr . Bestecke und Tafelgeschirr – Goldrand mit Rosen – hatten wir ja aus Schorokschar mitgebracht , welches gelegentlich von unseren „ Hausherrn ” bewundert wurde !! Sie , obwohl relativ reiche Bauern , waren auf diesem Gebiet nicht so komfortabel ausgestattet . Nach dem „ Vesper ” wurde Vater in die Bauernstube geladen zwecks Arbeitseinteilung , Verpflegung , anderer Tätigkeiten und dem Arbeitsentgelt . Mit Mutter ging ich auch nach oben . Wäh - rend sie auch zur großen „ Konferenz ” stieß , machte ich mich auf die Suche nach Maria . Ich war schon sehr gespannt , was sich in der Zwischenzeit bei Polsters getan hatte . Vor dem Stall ihres Hausherrn traf ich sie , aber nicht allein , denn sie hatte sich bereits mit der Tochter ihres Bauern , Hildegard , bekanntgemacht . Sie war nur ein Jahr älter als wir und sollte schon bald für uns die wichtigste Person in diesem „ Tanyaleben ” werden . H . war mit den ganzen Gebäuden , den Personen und der Umgebung vertraut und konnte uns dadurch in allen wichtigen Fragen unterweisen .
Das Hauptproblem in unserer noch jungen Freundschaft war die Sprache , d . h ., unsere verschiedenen Dialekte , wobei bei Maria noch hinzukam , dass sie in Soroksár in einer fast nur ungarisch sprechenden Gegend des Dorfes aufgewachsen war und ich kaum Dolmetscherdienste übernehmen konnte , da ich in unserer Straße nur mit dem deutschen Dialekt aufgewachsen bin – erst in der Schule sollte ich dann auch ungarisch lernen .
Hildegard sprach breitestes Schwäbisch und ich unseren mittelbairisch-österreichischen Dialekt , der zusätzlich noch mit vielen fränkischen Sprachelementen durchsetzt ist , Maria war nur über ihre Großeltern mit dem Schorokscharer Dialekt bekannt geworden und hatte deshalb erheblich größere Sprachprobleme als ich .
Das konnte in der ersten Zeit nicht gut gehen , und es kam zu vielen Missverständnissen , denn die sprachlichen Gegensätze waren zu groß . So standen wir sechsjährigen „ Ungarn ” vor dem Problem , gleich zwei Fremdsprachen lernen zu müssen : Schwä - bisch und in wenigen Situationen auch noch Hochdeutsch .
Die Substantive waren oft noch das kleinste Problem , obwohl auch hier oft enorme Differenzen festzustellen waren . Einige Bei - spiele sollen hier das Sprachproblem deutlich machen : Bei uns daheim war der Baum der Baam , hier der Boom , der Fisch bei uns der Fisch , hier der Fuusch , der Stier bei uns der Wicko , hier der Hommel , die Getreideernte bei uns der Schnitt , hier d ’ Ähret usw …….
Für uns das größte Problem waren die Präpositionen : Mit „ dahanna , dahieba , dadieba , dahoba , dahonda , dadonda , dadomma , dahomma , dadenna , dadausa , davanna , dahenda , dahenna usw . konnten wir beiden ungarischen Schwabenkinder absolut nichts anfangen .
Nachdem mich Maria mit Hildegard bekannt gemachte hatte , kam deren Bruder Alfons ( damals 9 ) gerade aus dem Stall . Auch mit ihm wurde ich jetzt bekannt gemacht . A . war drei Jahre älter als wir und hatte schon bestimmte Aufgaben auf dem Hof zu erledigen . Er machte den Vorschlag , uns den Stall zu zeigen . Es war ein großes , altes Gebäude aus Bruchstein – Mauerwerk . Durch eine niedrige Tür betraten wir den Raum , der nicht allzu großzügig beleuchtet war . Als wir uns an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten , waren wir überrascht von der Menge der Tiere , die hier auf relativ engem Raum standen . Links im Eingangsbereich fraßen schnaubend einige Pferde ( Geil !) ihr Abendfutter . Weiter hinten schlossen sich dann mehrere Reihen mit Plätzen für die Milchkühe und deren Kälber an . Die Tiere machten keinen sehr gepflegten Eindruck – es fehlte offensichtlich an Stroh !! Für mich war das eine große Menge von Tieren , hatte doch mein S . – Großvater nur ein Pferd und mein W . – Großvater neben einem Pferd noch vier Milchkühe mit oft nur einem Kalb .
Zwei ältere Töchter des Bauern waren gerade bei der Melk - arbeit . Es wurde damals selbstverständlich noch von Hand gemolken . Die Melkerinnen riefen uns freundlich zu ihren „ Arbeits - plätzen ” und forderten uns auf , ihre Tätigkeit auch einmal auszuprobieren . Maria und ich hatten dabei aber keinen Erfolg und darüber belustigten sich E . und M . sehr . Daraufhin zeigte uns Hildegard voller Stolz , dass sie dieses „ Handwerk ” schon verstand und die Milch fließen lassen konnte . Ihre Leistung hat uns beide schon sehr beeindruckt .
Mittlerweile hatte der Bauer und Marias Vater Anton den Stall betreten und machte den neuen „ Knecht ” – auf Schorokscharer Höfen stammten die Knechte immer aus den umliegenden oder weiter entfernten ungarischen Dörfern – mit seinem Aufgabenbe - reich vertraut , denn bereits morgen sollte er schon in die Hof - arbeit eingebunden werden . Hinter dem Bauern kam noch Andrej in den Stall . Er war als ukrainischer Kriegsgefangener „ zwangsverpflichtet ” auf den Hof gekommen und sollte den Bauern auf dem Hof unterstützen , denn drei seiner älteren Söhne waren an der Front in Russland und Frankreich eingesetzt gewesen und auch im Laufe des Krieges gefallen !! Es war also viel Leid über die Familie Mayer gekommen . Alfons , der jüngste Sohn , sollte später den Hof übernehmen .
Andrej ( Andres ) war deshalb ein Jahr nach Kriegsende noch nicht in seine Heimat zurück gekehrt , weil er eine Beziehung mit Mari , der ältesten Bauerntochter hatte , welche zum Kind Rudi führte . A . wollte sein Kind und M . natürlich nicht verlassen . Spä - ter wanderte er dann nach Kanada aus – Verwandte aus der Ukraine hatten dies ermöglicht – und ließ Mari und Rudi nachkommen . Die Familie war später dann mehrfach auf Besuch in Deutschland . Offiziell durfte damals niemand von dieser Liaison etwas wissen …
Wir Kinder verließen den Stall , und ich machte mich auf den „ Heimweg ”, denn es dämmerte bereits . Hildegard rief mir noch nach , dass wir morgen etwas ganz Besonderes unternehmen würden .
Auf dem Weg zu „ unserem Haus ” begegnete ich meinem Va - ter , der gerade mit dem Bauern aus dem Stall kam . Dort war er mit seinem Aufgabenbereich vertraut gemacht worden , denn auch bei uns sollte morgen schon „ geschafft ” werden . Vater hatte nicht ge - rade ein Traumlos gezogen , denn neben seiner Tätigkeit bei allen anfallenden Arbeiten , war seine Sonderaufgabe die Betreuung der Schweinezucht ; er hatte wohl etwas zu viel über die Schorok -
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