Sonntagsblatt 6/2015 | Page 20

schloss, hörte ich sie sprechen, lauschte ihrem Gesang in den Stuben, sah sie bei der Arbeit auf den Feldern oder konnte auf einsamen Wegen ihre Sehnsüchte, Ängste und Hoffnungen erah- nen. Mir ist bis heute bewusst, dass man ihnen nicht nur gewalt- sam das Hab und Gut nahm, sondern dass mit der Vertreibung auch ihre Kultur, ihre Traditionen und ihr gesamtes geistiges Schaffen der Vergänglichkeit anheimfielen. Wo einst bunte Farben das Leben bestimmt hatten, blieb nach der Vertreibung eine graue Welt der Verzweiflung, der Trauer, der Lieblosigkeit, der Einsamkeit und der Stille zurück. Dieser Gedichtband ist gleichsam der Versuch, meinem Erleben in der Heimat der volks- deutschen Heimatvertriebenen eine Stimme zu geben. Ich lade alle Leser ein, mir ein paar Gedichte lang in diese versunkene Welt zu folgen und dieser Stimme zuzuhören. Bestellung: Dr. Peter Wassertheurer, Ennemosergasse 18 – 1220 Wien – [email protected] – Preis: 12,80 Euro ISBN 3-937984-22-4 Gegenüber der Grenze – Gedichte von Peter Wassertheurer Adam Müller-Guttenbrunn: „Götzendämmerung – Ein Kulturbild aus Ungarn” Im Spannungsfeld der politischen Krise in Ungarn zu Beginn des 20. Jahrhunderts (Ein Vortrag im Haus der Ungarndeutschen, Budapest, gehalten von Dr. Hans Dama – 4. Teil/Ende) Die Götzendämmerung birgt eine auf die Großösterreichische von Erzherzog Franz Ferdinand hinweisende Tendenz in sich … Im letzten Kapitel wirft der Dichter mehrmals die von Bismarck geprägte Frage auf „Wann steigt der Kaiser zu Pferd?”, was auf die Bedeutung des Herrscherhauses als Integrations- und Befrie - digungsfaktor des Vielvölkerstaates hinweist, denn der Kaiser müsse seine monarchische Gewalt einsetzen, um die Separa tions - bestrebungen gewisser ungarischer Kreise zunichte zu machen. Wien hatte im Herbst 1905 im Zusammenhang mit der ungari- schen Staatskrise sogar eine militärische Intervention erwogen, was wohl eine Einmaligkeit in der österreichisch–ungarischen Historiographie gewesen wäre, jedoch ernsthaft NIE angenom- men worden ist. Der Dichter konnte von diesen Geheimplänen wohl keinesfalls Kenntnis gehabt haben. 20 Der Kaiser hätte mittels Aufrufs an seine Völker zwecks Durch - setzung des allgemeinen Wahlrechts dazu beitragen können, die falschen Götter durch die Wahl von echten Volksmännern zu stürzen, was sanft und ohne eine Revolution erfolgt wäre. Für Adam Müller-Guttenbrunn sollte die Umgestaltung der Doppelmonarchie nur auf föderativer Basis erfolgen analog den großösterreichischen Plänen des Thronfolgers, den der Dichter als große Zukunftshoffnung für die Monarchie schätzte. Soweit die soziale Komponente in der nationalen Überzeugung des Dichters; sein Nationalismus möge als seine politische Hal - tung gegenüber der ungarischen Nationalitätenpolitik verstanden werden. Die Götzendämmerung sollte eigentlich ein „Kulturbild aus Ungarn” werden, doch Adam Müller-Guttenbrunn hatte im Roman seinen „Banater Schwaben” die Augen über die wahren Zustände in ihrem Vaterland geöffnet und auf die Missachtung der bestehenden Nationalitätengesetze hingewiesen, d.h. die Be - strebungen der herrschenden Schicht, die eigene Vormacht - stellung zu festigen, was zur Hemmung wichtiger Problemlö - sungen führte und das Land in Rückständigkeit verharren ließ. Dass diesbezüglich dringende Reformen erforderlich sind, müsste durch das Engagement fortschrittlicher Kräfte erzielt wer- den. Den einfachen schwäbischen Bauern werden in der Ab - schiedspredigt des Pfarrers von Rosental Ratschläge erteilt, wie sie sich im Nationalitätenkampf am besten gegen Ungerechtig - keiten zur Wehr setzen könnten. Dieser Kampf kann sein Ziel nur erreichen, wenn die nationale Gruppe zusammenwächst, denn der Einzelne wird wohl auf kei- nen grünen Zweig kommen. Auf diese Weise trägt der Dichter zum Erwachen der eingeschüchterten, führungslosen und autori- tätsgläubigen schwäbischen Bauern bei. Diesem müsste zum Bewusstsein gelangen, dass er einem gro- ßen europäischen Kulturvolk entstamme und sein Kolonistenstolz fern von jeder Deutschtümelei verstanden werden sollte. Nur das wieder gewonnene völkische Bewusstsein kann das schwäbische Bauernvolk vor der Entnationalisierung schützen. Im Nationalitätengesetz sind die Rechte, seine Lehrer und Gemeindenotare selbst wählen zu dürfen, fest verankert, so auch der Gebrauch der deutschen Sprache in Kirche und Schule, und selbst wenn diese kulturelle Selbstbestimmung auch finanzielle Opfer hinsichtlich der Unterhaltung von Gemeindeschulen erfor- dere, solle man von diesen gesetzlich verankerten Rechte reichlich Gebrauch machen.Was auf kommunaler Ebene durchführbar ist, könne auch im Großen durchgesetzt werden. Wurden die schwäbischen Bauern bei Parlamentswahlen auf- grund ihrer politischen Unmündigkeit von den Mächtigen des Landes manipuliert, so müssten sie fürderhin jenen Leuten ver- trauen, die ihre Sprache verstehen und sich für ihre Anliegen ein- setzen. Georg Trauttmann weist darauf hin, wie die wahlkämp- fenden Kandidaten vorzugehen hätten: „Wahlreden in deutscher Sprache halten, die Anliegen des Bauernvolkes sowie der Natio - nalität vertreten, eine Kooperation mit Vertretern anderer Volks - gruppen einzugehen und keine Bestechungen des Wahlvolkes zuzulassen.” Der Dichter stellt im Roman dem Schwaben ein gutes Zeugnis aus, der sich von Geld, politischen Druckmitteln und noblen Verbindungen nicht betören lässt und unterstreicht dadurch die nationale und staatsbürgerliche Gesinnung seiner Landsleute. Die Realität sah jedoch anders aus, denn die politische und nationale Gesinnung wandelte sich nur langsam bei den diesbe- züglich schwerfälligen Schwaben. Adam Müller-Guttenbrunns Beispiel im Roman zielte auf erzieherische Absicht hin, und der Hinweis auf die Gründung der