Sonntagsblatt 6/2014 | Page 5

werde ich ihm einen anderen Brief schreiben.) Nein hier geht es um die Gemeinschaft! Hören wir doch bitte auf ständig über angeblichen Beleidigungen und der Gleichen zu reden anstatt uns mit den Problemen zu befassen. (Übrigens wenn ich jemand belei- digt habe bin ich gern bereit mich dafür zu entschuldigen.) Oder ist alles so in Ordnung, dass wir überhaupt kein Thema finden? Also, wenn jemand mit meinem „Programm” nicht einverstan- den ist, bitte reden wir darüber. Ich bin ja kein Insider wie Otto es trefflich erwähnt. Gut möglich, dass ich mich in manchen Dingen geirrt habe, deshalb wäre ich Euch sehr dankbar wenn eine Mei - nungsaustausch stattfinden könnte. Ich hoffe sehr, dass ihr eigene Meinungen habt und, die zu äußern braucht ihr nicht die Erlaub - nis der „Obrigkeit”. Oder ist es schon soweit, dass man sich fürch- tet etwas nicht Linientreues zu sagen? Gruß Jenô O Sind wir geschichtsbesessen und gegenwartsblind? Die Ungarndeutschen beschäftigen sich viel zu viel mit ihrer Geschichte, anstatt ihrer Gegenwart die Aufmerksamkeit zu wid- men. Dabei gäbe es doch in der Gegenwart genug und viel wichti- gere Aufgaben, deren Lösungen viel dringender wären, als rück- wärts gewandt grübelnd in der eigenen Geschichte herum zu rüh- ren. Diese, im Grunde zutreffende, Vorhaltung bekommen wir oft zu hören. Woran mag es liegen, dass wir so „geschichtsbesessen”, dass wir so „gegenwartsblind” und so „vergangenheitsverbohrt” sind? Ich vermute, es hängt damit zusammen, dass wir viel zu lange eine unbefriedigende, eine der historischen Wirklichkeit nicht ent- sprechende Geschichtsdarstellung über uns ergehen lassen muss- ten: Unwahrheiten, Halbwahrheiten, Verschweigen, Verdrehen, um nur einige Formen der manipulativen Geschichtsdarstel lun - gen von und über uns Ungarndeutschen. Deshalb sind wir hell- wach, wenn es um historische Kontexte zum Ungarndeutschtum geht. Wenn unsere Geschichte von anderen beschrieben oder auch nur interpretiert wird. Unser Misstrauen gegenüber der un - garischen Historiographie hat fundierte Gründe. Bis in die jüngs- te Zeit! Ein beklemmendes Beispiel lieferte erst vor einigen Wochen das Parlament in Budapest. Anlass war der 40. Todestag von József Antall Senior, Vater des namensgleichen ersten Minister - präsidenten und Gründer des Demokratischen Forums nach der politischen Wende 1990. Wie wir aus den Archivalien des Parla - ments wissen, plädierte Minister József Antall Senior in der ent- scheidenden Ministerratssitzung der Nachkriegsregierung im De - zem ber 19 45 mit radikaler Entschiedenheit für die Vertreibung der Deutschen aus Ungarn. Beim Gedenken an József Antall Senior im Parlament fiel natürlich kein Wort von der Unmensch - lichkeit und Unerbittlichkeit des Geehrten gegenüber uns Schwa - ben. Dabei waren es gerade seine Worte, die vermutlich den ent- scheidenden Schicksalsschlag gegen uns versetzten. Im Budapes - ter Parlament verklang darüber beim Gedenken nicht die kleinste Andeutung. Die politische Klasse in unserem Lande ist zwar bereit das uns Angetane als Unrecht anzuerkennen, die Umstände – Motive und Akteure – will man aber nicht (beim Namen) nennen. Auch heute noch werden Personen als beispielhaft hochgehalten, die am Nach kriegsverbrechen der Vertreibung von Hunderttausenden Menschen führend mitgewirkt haben. Deshalb sind wir wach und misstrauisch, wenn es um uns Schwaben betreffende Geschichts - dis kussionen in unserem Land geht. Als aktuelles Beispiel für eine typische parlamentarische(!) his- torische Desinformation einerseits und für die reflexive Ge - schichtsorientiertheit des Ungarndeutschtums andererseits, soll hier ein ins Internet gestellter Text von Josef Hering (gekürzt) an - gefügt werden. Anlass gaben die Lobreden über den Vertrei - bungs befürworter Antal József Senior (1896–1974) im Parlament: Novák Elôd hat im Parlament zur Erinnerung an Antall József Seniors 40. Todestag nicht alles über Antall Józsefs dunkle Vergan - genheit gesagt. (..) Er hat das größte Vergehen von Antall József gar nicht erwähnt: dass er einer der wichtigsten Vollstrecker der Ver - treibung der Deutschen war. (..) Novák Elôd hat lediglich darauf hin gewiesen, dass Antall nach dem Krieg ausgezeichnet mit den kom- munistischen Machthabern zurecht kam. Der Sitzungsleiter Latorcai János sah sich genötigt darauf hinzuweisen, dass Novák Elôd den „ganzen Antall József” wohl nicht kenne, wenn er negative Akzente betone. Dabei habe Novák Elôd die abstoßendste Rolle in Antalls Laufbahn gar nicht zur Sprache gebracht: Seine erbärmliche Rolle in der Vertreibung des Deutschtums aus Ungarn vor bald 70 Jahren. Zur Wahrheit gehört die schamhaft verschwiegene Tatsache, dass die Alliierte Kontrollkommission (AKK) anfangs nicht im Sinn hatte, Hunderttausende Ungarndeutsche zu deportieren. Dementsprechend wurde die ungarische Führung auch nicht dazu aufgefordert. Die Deportierung oder Vertreibung der Ungarndeutschen haben weder die Sowjets noch die AKK, sondern die am 22. Dezember 1944 konsti - tuierte Provisorische Nationale Regierung betrieben. Innerhalb dieser Regierung waren vor allem Außenminister Gyöngyösi János, den man in den letzten Jahren fast einen Heiligenschein aufsetzt, Nagy Imre, der unter dem Decknamen Vologya für den Sowjetischen Geheim - dienst gearbeitet hat und Nagy Ferenc die lautesten Wortführer für die Vertreibung der ungarländischen Deutschen. Unter der Leitung von Innenminister Nagy Imre wurde im Mai 1945 unter der zynischen Bezeichnung „Amt für Volksfürsorge” eine Stelle eingerichtet, deren dringlichste Aufgabe die Deportierung der Ungarndeutschen war. Mit der Leitung des Amtes für Volksfürsoge wurde Antall József betraut. Das von Antall József geleitete Volksfürsorgeamt hat entschieden mit- geholfen, dass mit menschenverachtenden und gnadenlosen Mitteln ein Großteil der Ungarndeutschen von all ihrem Hab und Gut be - raubt und mit einem Bündel aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Indem sie jenes ( deutsche) Volk vertrieben haben, das auch das Volk der zu Magyaren gewordenen Erbauer Budapests war: Lechner Ödön, Hauszmann Alajos, Feszl Frigyes, Hild József, Pfaff Ferenc, Schulek Frigyes und Ybl Miklós, haben die Vertreibungsakteure zu - gleich das historische Ungarn vertrieben… Zu den eifrigen Befürwortern der Vertreibung von Hundert tau - senden Deutschen gehörte auch der nicht weniger niederträchtige (Kleinlandwirte Ministerpräsident) Tildy Zoltán, dessen „Heldentat” neuerdings sogar eine Gedenktafel an seinem Geburtshaus im II.Bezirk in der Keleti Károly Str. in Budapest verkündet. Die unrühmliche Rolle von Antall József Sen. ist in der ausge - zeichneten Dokumentation von Tóth Ágnes (Telepítések Magyar or - szágon) nachzulesen. Dort ist auch die berüchtigte Äußerung von ihm zu finden: „Aus staatspolitischen Aspekten ist es zweifellos Ungarns Interesse, dass möglichst viele Deutsche das Land verlassen. Nie wieder wird es so eine Gelegenheit geben, dass wir die Deutschen los werden.” Johann Till Wir machen das Sonntagsblatt für Sie in ehrenamtlicher Arbeit. Aber Druckerei und Post wollen bezahlt werden. Dafür brauchen wir Ihre Spende! Wir danken für Ihr Verständnis! 5