Sonntagsblatt 6/2014 | Page 23

immerfort knapp vor der Tür . Die Zeiten waren in politischer wie wirtschaftlicher Hinsicht von fürchterlichem Ernst und drängten allseits zu raschem Handeln . Da beschlossen die zu ihren Erb - gütern zurückgekehrten ungarischen Adeligen und kirchlichen Gutsherrschaften , Hand in Hand mit der Wiener Regierung , sich dringend nach Ansiedlern umzusehen , die der in der neuen Heimat harrenden , fast übermenschlichen Aufgaben gewachsen wären . Hunderte von geschickten , oft mit allen Salben geriebenen Agenten durchzogen alle Lande Deutschlands , und es begann eine unermüdliche Werbung um tüchtiges , arbeitskräftiges und schicksalergebenes deutsches Siedlervolk . Es dauerte nicht lange und die paradiesischen Verheißungen der Werbeagenten zeitigten auch schon ihre Früchte . In langen Scharen zu Fuß , zu Schiff , oft mit Ross du Wagen kamen wohlhabende und arme Bauern und Handwerker , Tausende und abermals Tausende deutsche Familien in das durch die Türkenkriege verwüstete Ungarland . Diese deutschen Ansiedler , die Altvordern des heutigen Deutschtums in Ungarn , – mit Ausnahme der westungarischen Deutschen – wurden von den ungarischen Grundherren überall mit großem Wohl - wollen und mit noch größeren Erwartungen aufgenommen . Man hatte sich nicht getäuscht , nicht verrechnet . Die Schwaben – wie sie seit Menschengedenken landesüblich genannt werden und sich auch als solche bekennen , gleichviel , wohin sie auch heute gehören – stellten durchwegs ihren Mann . Wo sie hinzogen , auf ebene Gelände oder zwischen Berge und Hügel , setzte von der Stunde an ein heroischer Kampf mit der widerspenstigen und doch so fruchtbaren Scholle ein . „ Und wo einst Moraste und Moor - schlamm ihren tückischen Leib weit und breit reckten , wo ungerodeter Wald sich wie eine ungeheure Wildnis auf der Scholle breit machte , wo Wildtier , Raubwild , Korn und Weizen zerstampfend wechselte und kriechendes Ungeziefer hausten , wo gelbes Fie ber und die schwarze Krankheit und andere Volksseuchen nach frischem und gebrochenem Menschenleben restlos griffen , da betraten die schwäbischen Altvordern die Sümpfe und Wälder , gruben Teiche , befreiten die Scholle von Wasser und gefährlichem Wild , schwenkten die brausende Axt , rodeten den gespenstigen Urbaum , stemmten die eisernen Spaten in den Leib des widerwilligen Bodens , schwitzten und keuchten , dass selbst Gott seine Freude an ihnen hatte . Und sie ackerten , rodeten und reuteten Ta ge und Nächte hindurch . Sie waren die Helden , die Namen - losen der Geschichte entgangenen Bauernhelden , die das Unmög - liche wagten und taten ! Ganze Dörfer , volle Reihen von Ge - schlechtern opferten sich diesem unbewusst als heilig empfundenen Ziel . Es vergingen nicht viele Jahre und Tausende von frühzeitigen Gräbern wölbten sich über dem frischen jungfräulichen Gottesacker . Doch auch der unsinnigste Tod konnte diesen Men - schenschlag nur betrüben , nicht aber knicken und nicht die urwüchsige Lust an Arbeit und Vorwärtsdrängen rauben .” So schil dert ein junger , deutschungarischer Dichter , Philipp Hilger , das Ahnenschicksal Batschkaer und Banater deutscher Bauern - siedler . Freilich nicht alle waren diesem Schicksal fast über - mensch lichen Ringens gewachsen . Die kleinmütig wurden , verzweifelten oder verzagten , – es waren nur wenige – zogen in die alte Heimat wieder zurück . Die aber den Kampf aufnahmen , die widerspenstige Scholle endlich besiegten , haben im Schweiße ihres Angesichts hier sich die neue Heimat redlich erkämpft . Wer den harten Kampf dieser Menschen im Geiste mitzuerleben vermag , versteht auch die immer wieder bewunderte Liebe und Treue aller nachkommenden Geschlechter zu dieser Scholle , zum ungarischen Heimat- und Vaterland . Seine Scholle , sein Haus und Eigentum hatte er sich auf seine Art durch Arbeit und unendlich viele Todesopfer verdient und nun lässt er nicht davon und vererbt dieses tiefe und makellose Herzensgefühl , diesen Trieb der zäher Anhänglichkeit auf Kinder und Kindeskinder !
Zwei Jahrhunderte rastloser , zäher Arbeit , die allen schädlichen Leidenschaften abholde , naturkluge Sinnesart , der gesunde , recht neuzeitlich anmutende Erwerbsdrang , die fromme Tüchtigkeit auf allen Gebieten menschlicher Tätigkeit , die mit Besonnenheit verbundene Sparsamkeit brachten denn auch baldigst ihre Früchte . Überall , wo die Nachkommen einstiger deutscher Ansiedler , die zum größten Teil als Häusler und Hörige kirchlicher und weltlicher Grundherrschaften ihre Arbeit begonnen hatten , heute leben , gedeiht und blüht fruchtbares Ackerland .
Man hat nicht weit zu gehen oder lange zu fahren von der schönen Millionenhauptstadt Budapest und man ist schon inmitten des malerisch herrlichen Ofner Berglandes , wo zwischen Tälern eingebuchtet ungefähr dreißig schwäbische Dörfer liegen . Einige , wie Budaörs und das am linken Ufer der Donau liegende Soroksár , kaum einige Kilometer von der ungarischen Hauptstadt entfernt , habe heute eine Bevölkerungszahl , die die Zehntausend übersteigt . Reinlichkeit und unermüdlicher Fleiß sind diejenigen Eigen schaften , welche die Aufmerksamkeit eines jeden Fremden auf den ersten Blick auf sich lenken . Unter der Hand dieser Ofner Schwaben erschlossen sich selbst die oft sehr schwer zugänglichen Berghalden und Hügelkuppen . Wer von Wien bis Budapest mit dem Schiff herunterkommt , fährt auch an der Großgemeinde Dunabogdány vorbei ; unmittelbar neben dem Donauufer erhebt sich hier ein steiler , breitrückiger Berg . Die Dunabogdányer Schwa ben , die sich zumeist mit Wein- und Obstbau beschäftigen , nahmen den Kampf mit diesem sich bisher aller menschlicher Hand Widersträubenden Berg auf , bis ihre hartnäckige Arbeits - wucht ihn bezähmte . Diese gewaltige Kraftentfaltung steht hinter der von rheinländischen Bauern um nichts zurück .
Der Fleiß gereichte natürlich diesem Volke zum wohlverdienten Nutzen . Vor dem Kriege ( Erster Weltkrieg ) herrschte hier überall gemäßigter Wohlstand . Gab es auch keinen auffallenden Reich - tum , so war aber auch Armut unbekannt . Selbst die der Gruben - arbeit der immer weiter umsichgreifenden Kohlenbergwerke zu - ge triebenen Arbeiter waren noch halbwegs Bauern . War ihre Arbeit mit Krampe und Spitzhammer in den Schichten zu Ende , so trieb sie das echte Bauernblut immer wieder zum Erwerb eines wenn auch noch kleinen Ackerlandes .
Dieser Hang zur Bodenständigkeit und zum bäuerlichen Leben erklärt auch ihr zähes Festhalten am ursprünglichen Volkstum . Die Schwaben der Ofner Berge , wie des landschaftlich , sprachlich und wirtschaftlich gleichgearteten Schildgebirges haben ihr unverfälschtes deutsches Volkstum restlos bewahrt . Bedenkt man dabei , dass ein großer Teil der Ofner Schwaben fast tagtäglich in der Haupt stadt verkehrt , sozusagen Hauptträger des Budapester Milch- , Gemüse- und Obsthandels ist , also tagfürtag in einem As - si milationsmilieu verkehrt und trotzdem mit erstaunlicher Zä - higkeit an seiner ursprünglichen Art festhält , so lernt man dieses seiner Abstammung und Mundart nach österreichisch-bayrische Siedlervolk erst richtig einschätzen . In der Hauptstadt kann man diesen Schwaben auf den Straßen , besonders in der Umgebung der großen Markthalle alltäglich begegnen . Frauen wie Männer fallen durch ihre Kleidung schon von weitem auf . Sie sind ohne Ausnahme mit fast peinlicher Reinlichkeit gekleidet . Die Männer tragen oft noch enganliegende Hosen und Stiefel und binden sich zumeist auch eine blaue , gesteifte Schürze um . Auch die Frauen , die in der Handelstüchtigkeit nicht hinter ihren Männern zurückbleiben , ziehen in ihrer einfachen , alle grellen Farben meidenden Werktagstracht in die Stadt , oft unglaublich schwer mit Milch - kannen und Körben beladen . Sollte man sie in ihrer auffallenden Sauberkeit , an ihrer Tracht , an den Kopftüchern und den daheim verfertigten Pantoffeln und farbigen Strümpfen nicht erkennen , so hört man es ihrer Sprache an , die mit einer herkunftstreuen
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