nur ungern über mich ergehen ließ. Auch meine Cousine Maria
wurde neben mir ähnlich behandelt, und diese gemeinsam ertra-
gene Tortur schweißte uns in Freundschaft zusammen. Bald war
Maria aus meiner kleinen Welt in dieser neuen Umgebung nicht
mehr wegzudenken, und ich glaube, dass sie auch mich brauchte.
Zu Hause in Schorokschar kannten wir uns zwar und trafen uns
gelegentlich mit unseren Eltern. Wir wohnten aber in unserem
Dorf so weit voneinander entfernt, dass ein täglicher Kontakt
nicht möglich war, obwohl unsere Eltern sehr eng miteinander
befreundet waren.
Unsere gemeinsame Zeit war anfangs noch dadurch etwas pro-
blematisch, weil sie eigentlich lieber ungarisch als deutsch sprach.
Das rührte daher, dass sie in einer Gasse wohnte, wo die Kinder
mehrheitlich ungarisch sprachen. In meiner Gasse wurde von den
Kindern meines Alters fast nur deutsch gesprochen – besser: der
schorokscharer mittelbairische Dialekt, – weshalb meine Unga -
risch kennt nisse sehr bescheiden waren. Hätte ich eine geregelte
Kindergartenzeit (óvoda) durchlebt, wäre dies bestimmt anders
gewesen, aber der Kindergarten funktionierte aus kriegsbedingten
Gründen nicht so, wie es eigentlich hätte sein sollen.
Nach dem einfachen, „amerikanisch beeinflussten”, Frühstück
machten sich einige Familienväter auf, um die Stadt Aalen etwas
näher zu erkunden. Sie erhofften sich informative Kontakte von
anderen vertriebenen Schicksalsgenossen, die sich in der Stadt in
großer Anzahl befanden – es gab eine ganze Reihe von verschie-
denen Barackenlagern. Auch wollte man die Strukturen der Stadt
kennen lernen.
Wieder war Großvater für meine Betreuung zuständig. Er hatte
mit mir vor, die nähere Umgebung und den Ort Wasseralfingen
anzuschauen. Zunächst begaben wir uns in die Richtung, aus der uns
schon in den letzten Nächten und auch am Tage laute Ge räusche
entgegen dröhnten. Meistens war ein lautes, sich immer wiederho-
lendes „Wupp, Wupp, Wupp” zu hören, das von einem etwas leise-
ren „Wack, Wack, Wack” unterbrochen bzw. begleitet wurde.
Für mich waren dies rätselhafte Geräusche, die ich noch nie
gehört hatte, und die ich mir auch nicht erklären konnte. Ich hoff-
te auf meinen Großvater, der für mich bis jetzt in allen Situationen
Erklärungen und Antworten gefunden hatte. Nach einer kurzen
Wegstrecke näherten wir uns einem Zaun und sahen im Tale eini-
ge sehr große Werkshallen – Firma „Alfing”, heute Weltmarktfüh -
rer in der Großkurbelwellenfertigung. Wir blickten nach unten
und in dem Moment setzte das „Wupp, Wupp ,Wupp” lauter und
intensiver ein als wir es vom Lager aus hören konnten.
Jetzt blickte ich gespannt auf Großvater. Würde er mir auch
dies erklären können?
Mit ruhiger Stimme erklärte er, dass dort unten ein Hammer -
werk in Betrieb sei und schwere Maschinenhämmer irgendwelche
Großteile „schmiedeten”. Er erzählte weiter, dass er dies bereits
in der ersten Nacht im Lager vermutet habe. Als junger Mann sei
er mit solch einem Werk bereits in der Heimat in Berührung
gekommen. Er habe zunächst nach seiner Schulzeit, mit etwa vier-
zehn Jahren eine Arbeit bei der WMF (Weiß-Manfred-Fabrik) in
Csepel, dem größten ungarischen Industriekonzern angenom-
men. Da er keine Ausbildung hatte, arbeitete er dort einige Jahre
in der Eisengießerei. Die WMF war in jüdischem Besitz und hatte
eine umfangreiche Produktionspalette. Auch eine große „Gesenk -
schmiede” gehörte zum Produktionsstandort. Tausende Men -
schen aus der Umgebung, darunter auch viele „Schwaben” aus
den Schwabendörfern rund um Budapest, fanden hier ihr Aus -
kommen. Vor allen die nachgeborenen Söhne der schwäbischen
Landwirte, die nicht in der Landwirtschaft unterkommen konn-
ten, hatten hier gute Chancen und stellten eine hohen Prozentsatz
der Belegschaft.Es sei damals eine harte Arbeit gewesen, aber er
konnte dort gutes Geld verdienen und half mit seinem Verdienst
mit, dass seine Pflegeeltern ihr altes, schwäbisches Bauernhaus
renovieren konnten. Nach dem frühen Tode seiner Mutter hatte
ihn seine kinderlose Tante aufgenommen. Bei dieser Familie
„Bersch” war er gut aufgehoben und wurde wie das eigene Kind
behandelt. Er erbte später auch das Haus, die Hofstelle und die
wenigen dazu gehörenden Grundstücke. Die kleine Landwirt -
schaft habe aber nicht für die Existenz der Familie ausgereicht.
Vor allem aus diesem Grunde habe er in besagtem Industrie -
betrieb eine Arbeit angenommen.
Wir machten uns weiter auf den Weg in das Zentrum der
Gemeinde Wasseralfingen. Nach der Bahnunterführung gelangten
wir zum Bahnhof. Hier war wieder lebhafter Betrieb, denn es war
wieder ein „Transport” angekommen. Großvater unterhielt sich mit
einigen der Neuankömmlinge und erfuhr dabei , dass der Transport
aus der deutschen, evangelischen Gemeinde Apathi (Bátaapáti) aus
der Tolnau (Tolna Megye) kam. Der Ort sei in der Nähe von
Bonnhard (Bonyhád). Damit konnte der Kleinlandwirt aus
Schorokschar eine Verbindung herstellen: „Dort, wo die auch in
Schorokschar geschätzten Bonnharder Fleckrinder gezüchtet wer-
den!” Die Männer und vor allem die Frauen trugen fast alle ihre
heimatlichen Trachten, was auf einige Einheimische, die dies sahen,
sehr exotisch gewirkt haben musste. Den Apathiern wurde eben
mitgeteilt, dass sie im Lager „Kappelberg” unterkommen sollten.
Wir gingen weiter und gelangten in eine kleine Parkanlage, die
sich oberhalb eines weiteren großen Industriewerkes (Schwä bi -
sche Hüttenwerke SHW) befand. Ein lebensgroßer nackter Mann
aus Eisenguss erweckte hier meine Aufmerksamkeit. Er stand in
einem aus Natursteinen gemauertem Kreis und hielt ein abgebro-
chenes Schwert in der Hand. Großvater las mir den Innentext die-
ses Denkmals vor: „Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte
keine Knechte”. Mir sagte dieser Spruch nicht viel, aber Groß -
vater war sichtlich fasziniert und befand, dass dies ein sehr guter
Text sei. Erst Jahre später wurde mir der Sinn dieser Inschrift klar.
Dabei kam mir immer wieder die Erinnerung an diese erste
Begegnung.
Vom Park führte eine Treppe zur Hauptstraße und zum Ein gang
des Werkes. Jetzt war Großvater in seinem Element, denn wir stan-
den direkt gegenüber der Eisengießerei des Betriebes. Hinter den
Hallenfenstern wurde eben flüssiges Eisen in die For men gegos-
sen. Großvater erklärte mir alles, denn davon verstand er sehr viel.
Ich habe natürlich fast nur das faszinierende „Schau spiel” mit dem
fast weißglühenden und Funken verbreitenden, flüssigem Stoff
genossen, die Erklärungen hörte ich nur mit einem Ohr.
Als die bereits bekannte „Sirene” aufheulte, unterbrachen die
Männer ihre Arbeit und kamen mit schwarzen, verschwitzten
Gesichtern aus der Werkshalle und setzten sich an der Sonnen -
seite auf die Bänke und begannen mit ihrer Mahlzeit.
Großvater bemerkte, mehr an sich selbst gewandt: „Wenn wir
länger hier bleiben »müssen«, könnte man in dieser Fabrik wohl
Arbeit und Brot finden”. Es sollte jedoch ganz anders kommen,
und Großvater hatte sich bestimmt nicht vorgestellt, dass er be -
reits in vier Tagen eine Arbeit in einem ganz anderen Betrieb
angetreten haben würde!
O
Im Reich der Maya
Quer durch die Halbinsel Yucatan
Von: Hans Dama –Freitag, 05. Dezember 2014
Die 1600 Kilometer von Mexiko-Stadt entfernt in den Tropen lie-
gende Halbinsel Yucatan ist das Tor zu den Maya-Stätten Mexi -
kos. Laut neuesten Erkundungen mit Hilfe von Satellitenauf -
(Fortsetzung auf Seite 30)
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