Sonntagsblatt 5/2016 | Page 29

nur ungern über mich ergehen ließ. Auch meine Cousine Maria wurde neben mir ähnlich behandelt, und diese gemeinsam ertra- gene Tortur schweißte uns in Freundschaft zusammen. Bald war Maria aus meiner kleinen Welt in dieser neuen Umgebung nicht mehr wegzudenken, und ich glaube, dass sie auch mich brauchte. Zu Hause in Schorokschar kannten wir uns zwar und trafen uns gelegentlich mit unseren Eltern. Wir wohnten aber in unserem Dorf so weit voneinander entfernt, dass ein täglicher Kontakt nicht möglich war, obwohl unsere Eltern sehr eng miteinander befreundet waren. Unsere gemeinsame Zeit war anfangs noch dadurch etwas pro- blematisch, weil sie eigentlich lieber ungarisch als deutsch sprach. Das rührte daher, dass sie in einer Gasse wohnte, wo die Kinder mehrheitlich ungarisch sprachen. In meiner Gasse wurde von den Kindern meines Alters fast nur deutsch gesprochen – besser: der schorokscharer mittelbairische Dialekt, – weshalb meine Unga - risch kennt nisse sehr bescheiden waren. Hätte ich eine geregelte Kindergartenzeit (óvoda) durchlebt, wäre dies bestimmt anders gewesen, aber der Kindergarten funktionierte aus kriegsbedingten Gründen nicht so, wie es eigentlich hätte sein sollen. Nach dem einfachen, „amerikanisch beeinflussten”, Frühstück machten sich einige Familienväter auf, um die Stadt Aalen etwas näher zu erkunden. Sie erhofften sich informative Kontakte von anderen vertriebenen Schicksalsgenossen, die sich in der Stadt in großer Anzahl befanden – es gab eine ganze Reihe von verschie- denen Barackenlagern. Auch wollte man die Strukturen der Stadt kennen lernen. Wieder war Großvater für meine Betreuung zuständig. Er hatte mit mir vor, die nähere Umgebung und den Ort Wasseralfingen anzuschauen. Zunächst begaben wir uns in die Richtung, aus der uns schon in den letzten Nächten und auch am Tage laute Ge räusche entgegen dröhnten. Meistens war ein lautes, sich immer wiederho- lendes „Wupp, Wupp, Wupp” zu hören, das von einem etwas leise- ren „Wack, Wack, Wack” unterbrochen bzw. begleitet wurde. Für mich waren dies rätselhafte Geräusche, die ich noch nie gehört hatte, und die ich mir auch nicht erklären konnte. Ich hoff- te auf meinen Großvater, der für mich bis jetzt in allen Situationen Erklärungen und Antworten gefunden hatte. Nach einer kurzen Wegstrecke näherten wir uns einem Zaun und sahen im Tale eini- ge sehr große Werkshallen – Firma „Alfing”, heute Weltmarktfüh - rer in der Großkurbelwellenfertigung. Wir blickten nach unten und in dem Moment setzte das „Wupp, Wupp ,Wupp” lauter und intensiver ein als wir es vom Lager aus hören konnten. Jetzt blickte ich gespannt auf Großvater. Würde er mir auch dies erklären können? Mit ruhiger Stimme erklärte er, dass dort unten ein Hammer - werk in Betrieb sei und schwere Maschinenhämmer irgendwelche Großteile „schmiedeten”. Er erzählte weiter, dass er dies bereits in der ersten Nacht im Lager vermutet habe. Als junger Mann sei er mit solch einem Werk bereits in der Heimat in Berührung gekommen. Er habe zunächst nach seiner Schulzeit, mit etwa vier- zehn Jahren eine Arbeit bei der WMF (Weiß-Manfred-Fabrik) in Csepel, dem größten ungarischen Industriekonzern angenom- men. Da er keine Ausbildung hatte, arbeitete er dort einige Jahre in der Eisengießerei. Die WMF war in jüdischem Besitz und hatte eine umfangreiche Produktionspalette. Auch eine große „Gesenk - schmiede” gehörte zum Produktionsstandort. Tausende Men - schen aus der Umgebung, darunter auch viele „Schwaben” aus den Schwabendörfern rund um Budapest, fanden hier ihr Aus - kommen. Vor allen die nachgeborenen Söhne der schwäbischen Landwirte, die nicht in der Landwirtschaft unterkommen konn- ten, hatten hier gute Chancen und stellten eine hohen Prozentsatz der Belegschaft.Es sei damals eine harte Arbeit gewesen, aber er konnte dort gutes Geld verdienen und half mit seinem Verdienst mit, dass seine Pflegeeltern ihr altes, schwäbisches Bauernhaus renovieren konnten. Nach dem frühen Tode seiner Mutter hatte ihn seine kinderlose Tante aufgenommen. Bei dieser Familie „Bersch” war er gut aufgehoben und wurde wie das eigene Kind behandelt. Er erbte später auch das Haus, die Hofstelle und die wenigen dazu gehörenden Grundstücke. Die kleine Landwirt - schaft habe aber nicht für die Existenz der Familie ausgereicht. Vor allem aus diesem Grunde habe er in besagtem Industrie - betrieb eine Arbeit angenommen. Wir machten uns weiter auf den Weg in das Zentrum der Gemeinde Wasseralfingen. Nach der Bahnunterführung gelangten wir zum Bahnhof. Hier war wieder lebhafter Betrieb, denn es war wieder ein „Transport” angekommen. Großvater unterhielt sich mit einigen der Neuankömmlinge und erfuhr dabei , dass der Transport aus der deutschen, evangelischen Gemeinde Apathi (Bátaapáti) aus der Tolnau (Tolna Megye) kam. Der Ort sei in der Nähe von Bonnhard (Bonyhád). Damit konnte der Kleinlandwirt aus Schorokschar eine Verbindung herstellen: „Dort, wo die auch in Schorokschar geschätzten Bonnharder Fleckrinder gezüchtet wer- den!” Die Männer und vor allem die Frauen trugen fast alle ihre heimatlichen Trachten, was auf einige Einheimische, die dies sahen, sehr exotisch gewirkt haben musste. Den Apathiern wurde eben mitgeteilt, dass sie im Lager „Kappelberg” unterkommen sollten. Wir gingen weiter und gelangten in eine kleine Parkanlage, die sich oberhalb eines weiteren großen Industriewerkes (Schwä bi - sche Hüttenwerke SHW) befand. Ein lebensgroßer nackter Mann aus Eisenguss erweckte hier meine Aufmerksamkeit. Er stand in einem aus Natursteinen gemauertem Kreis und hielt ein abgebro- chenes Schwert in der Hand. Großvater las mir den Innentext die- ses Denkmals vor: „Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte”. Mir sagte dieser Spruch nicht viel, aber Groß - vater war sichtlich fasziniert und befand, dass dies ein sehr guter Text sei. Erst Jahre später wurde mir der Sinn dieser Inschrift klar. Dabei kam mir immer wieder die Erinnerung an diese erste Begegnung. Vom Park führte eine Treppe zur Hauptstraße und zum Ein gang des Werkes. Jetzt war Großvater in seinem Element, denn wir stan- den direkt gegenüber der Eisengießerei des Betriebes. Hinter den Hallenfenstern wurde eben flüssiges Eisen in die For men gegos- sen. Großvater erklärte mir alles, denn davon verstand er sehr viel. Ich habe natürlich fast nur das faszinierende „Schau spiel” mit dem fast weißglühenden und Funken verbreitenden, flüssigem Stoff genossen, die Erklärungen hörte ich nur mit einem Ohr. Als die bereits bekannte „Sirene” aufheulte, unterbrachen die Männer ihre Arbeit und kamen mit schwarzen, verschwitzten Gesichtern aus der Werkshalle und setzten sich an der Sonnen - seite auf die Bänke und begannen mit ihrer Mahlzeit. Großvater bemerkte, mehr an sich selbst gewandt: „Wenn wir länger hier bleiben »müssen«, könnte man in dieser Fabrik wohl Arbeit und Brot finden”. Es sollte jedoch ganz anders kommen, und Großvater hatte sich bestimmt nicht vorgestellt, dass er be - reits in vier Tagen eine Arbeit in einem ganz anderen Betrieb angetreten haben würde! O Im Reich der Maya Quer durch die Halbinsel Yucatan Von: Hans Dama –Freitag, 05. Dezember 2014 Die 1600 Kilometer von Mexiko-Stadt entfernt in den Tropen lie- gende Halbinsel Yucatan ist das Tor zu den Maya-Stätten Mexi - kos. Laut neuesten Erkundungen mit Hilfe von Satellitenauf - (Fortsetzung auf Seite 30) 29