Sonntagsblatt 5/2016 | Page 15

angriffslustigen Elementen keinen Anlass zu Protesten zu geben . Die Tänzerin Fanny Elßler brachte stets ein volles Haus , Akro - baten , Seiltänzer und Zauberer waren vor Anfeindungen sicher . Selbst Reiterspiele veranstaltete Forst . Die echte Kunst indessen kam nun zu kurz . Führte er gelegentlich noch eine Oper auf , so sah er darauf , einige Arien oder ein – zwei Einlagen in ungarischer Sprache zu bieten , was laute Éljen-Rufe ( Lebe hoch !) hervorrief und bewies , dass die Randalierer stets anwesend waren .
Es gelang also zunächst nicht , das deutsche Theater in Pest endgültig zugrunde zu richten , was nach Széchenyi die Störenfriede wollten – noch konnte man den Direktor Forst ( mit seinem vollen Namen : Josef Schall von Falkenforst ) einschüchtern und zur Auf - gabe zwingen . Er erhielt sogar – trotz heftiger neuer Ausschrei - tungen – von der Stadt die Lizenz auf weitere sechs Jahre . Kaum war das geschehen , brannte das große deutsche Schauspielhaus am 2 . Februar 1847 bis auf die Grundmauern nieder . Man sagte , die neu eingebaute Heizanlage habe das Feuer verursacht ; der Polizeibericht hingegen betonte ausdrücklich , weder bei der Heizanlage noch bei irgendwelcher Fahrlässigkeit sei die Schuld zu suchen , auch Brandstiftung liege nicht vor ; wie das Feuer entstand , darüber schwieg der Bericht sich aus . Die Feinde dieser Bühne konnten triumphieren ; denn mit der Vorherrschaft des deutschen Theaterwesens in Pest war es nun endgültig vorbei .
Wie betrachtete die ungarische Wissenschaft den Brand und wie den Untergang der deutschen Stadtkultur in Ungarn ? In der großen „ Ungarischen Geschichte ” von Hóman-Szekfû ( Bd . V , 5 . 375 ) heißt es :
„ Wahrlich , hier geschah das Aussterben einer Kultur fast mit einer Gesetzmäßigkeit , einer Kultur , die mit allem Notwendigen , mit Zeitungen , Schriftstellern und Schauspielhäusern ausgerüstet war , da aber ihre Verbindungen zur Mutterkultur – unabhängig von jeglicher Einmischung von seiten des Madjarentums , – abgestorben waren , fiel sie wie eine reife Frucht hinein in die junge madjarische Kultur . Das Symbol dieses Vorganges war der Brand des großen deutschen Theaters Pest , welches sie in dem sich schnell madjarisierenden Pest ohnehin nicht mehr mit genügend Publikum besetzen konnte .” Dazu ist zu sagen : die kulturelle Verbindung der ungarländischen deutschen Bühne mit Wien und der deutschen Dramen - literatur war nie stärker als in den Jahren 1830 und 1840 . Aber damals herrschte in Pest infolge der Agitation Kossuths und seiner Leute eine Atmosphäre , über die sich auch Friedrich Hebbel äußerte , der seine Frau , die Wiener Hofschauspielerin Christine Enghaus , bei ihren Gastspielen öfter nach Pest begleitet hatte . Er meinte , unter ein Volk von Irren geraten zu sein . Es gab noch eine deutsche Presse in Ungarn , doch in Pest stand sie bereits auf madjarischer Seite .
Noch aufschlussreicher ist , was L . Némedi in den „ Ungarischen Jahrbüchern ” ( Jg . 1941 , S . 39 ff .) zum besten gab ; er behauptete , „ dass hier eine Minderheit , – an Macht und Möglichkeiten war damals das Ungartum eine Minderheit ! – durch ihre Ideale und ihren leidenschaftlichen Schwung sich gegen etwas Mächtigeres durchgesetzt und durch ihre Ideale auch Angehörige anderer Nationen mit sich gerissen hat .” So verniedlichte man den rohen Terror , den man systematisch zur Vernichtung der deutschen Kultur in Ungarn anwendete .
Nach 1849 vegetierte die Pester deutsche Bühne in einer Bret - terbude ; erst 1869 konnte ein neues kleineres deutsches Theater in der Wollgasse ( heute Báthori-Gasse in der Leopold-Stadt ) er - rich tet werden . ( Hier sei erwähnt , dass auch Kaiser Franz Joseph das ungarische Nationaltheater seit 1862 subventionierte ). Ter - rormaßnahmen gegen das deutsche Bürgertum fanden selbst während des Neoabsolutismus ( 1849 – 1859 ) statt ; und der Dichter Ladislaus Arany besang sie sogar .
Als 1875 die deutschen höheren Schulen geschlossen und 1879 die ersten Schläge gegen die Volksschulen der Nichtmadjaren erfolgten , begannen wieder die Angriffe auf die deutschen Theater , welche sich zum Teil jetzt nur noch auf niedrigerem Niveau erhalten konnten . Die gebildeten Schichten waren nämlich inzwischen , beeinflusst von den neuentstandenen nationalmadjarischen Ideologien : ( Turanismus , Kurutzentum , madjarische Monroedoktrin usw .) und der These von der „ deutschen Gefahr ”, dem „ Pangermanismus ” usw . weitgehend ins madjarische Lager hinübergewechselt . Bloß die unteren Schichten fühlten noch deutsch ; ihrem Geschmack entsprechend verlegte sich die deutsche Bühne auf Operette , Tingeltangel und Vorstadtposse . Im donauschwäbischen Bereich vermochte lediglich das Thea - ter in Temeschburg seine alte Tradition fortzusetzen , zumal die Stadt es lange subventionierte . Aber als auch hier ein ungarischer Theater-Unterstützungsverein gegründet wurde und zugleich der 1883 gewählte Bürgermeister Dr . Karl Telbiß sich des ungarischen Theaters annahm , ging es mit der Temeschburger Bühne schnell abwärts .
Bereits 1867 hatte das deutsche Theater in Fünfkirchen seine Aufführungen einstellen müssen , da der Direktor die hohe Miete für das Schauspielhaus nicht aufbringen konnte , während die Großgrundbesitzer des Komitats Branau / Baranya dies zugunsten des ungarischen Theaters schon seit etlichen Jahren taten . Der Magistrat , der nach 1849 keine ungarischen Schauspielergesell - schaften in die Stadt gelassen hatte , verbot 1876 die deutsche Sprache auf der Bühne . Hatte er rechtzeitig erkannt , dass die politische Vorherrschaft des Madjarentums durch die Regierung Ko - lo man Tiszas endgültig geworden war oder waren andere Kräfte bei seiner Beschlussfassung am Werk ?
In Raab fasste man im November 1885 einen ähnlichen Be - schluss . Darüber schrieb Friedrich Lám , der Erforscher des Raa - ber deutschen Theaters , 1938 : „ Im Jahre 1885 wurde die Raaber deutsche Bühne beerdigt . Ihr Tod trat nicht auf natürliche Weise ein , ihrem Leben wurde ein gewaltsames Ende gesetzt ”.
Im Namen des Patriotismus hatte man sie seit vielen Jahren in den Zeitungen bekämpft , und nach einer gesteigerten Pressehetze kam es dann zum Verbot .
Ein Dorn im Auge des Chauvinismus blieb auch das neue deutsche Theater in der Pester Wollgasse . Es sollte ebenfalls beseitigt werden . Heinrich Wastian berichtet ( Vgl . „ Ungarns Tausendjäh - rung ”. München 1896 , S . 37 ), dass der greise Kaiser Wilhelm dieser Bühne das Leben fristen half , indem er auf einem Ball beim k . u . k . Botschafter ein gutes Wort für sie einlegte . Kaum aber war er gestorben , brannte auch sie ab – am 20 . Dezember 1889 . Zufall oder Schicksal oder Brandstiftung ’? Niemand kann es heute feststellen . Der Brand bedeutete das Ende des deutschen Theaters in Pest . Wohl richtete der Pächter ein von namhaften Bürgern mit unterschriebenes Gesuch um Unterstützung an Franz Joseph , aber es kam ohne Bescheid zurück und brachte die Unterzeichner , so auch den Landtagsabgeordneten E . Steinacker , in arge Be - drängnis . Hier entsinnt man sich , dass Franz Joseph 1893 das ge - gen die Madjarisierung gerichtete Memorandum der ungarländischen Rumänen ans ungarische Innenministerium weiterreichte , worauf die Verfasser vor Gericht gestellt und mit Festungshaft be - straft wurden . Der Herrscher mischte sich im Sinne eines Ab - kommens mit Koloman Tisza in diese Dinge nicht ein und lieferte dem madjarischen Nationalismus dadurch die anderen Völker Ungarns aus ; deshalb unterstützte er auch das Bittgesuch der Pester Bürger nicht .
Fünfmal wurde die Wiederherstellung des Deutschen Theaters in Pest verhindert , bis 1896 eine Verordnung des Innenministers die Tätigkeit deutscher Schauspielgesellschaften im ganzen Land
( Fortsetzung auf Seite 16 )
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