Sonntagsblatt 5/2015 | Page 7

• Zeitgeschehen • Zeitgeschichte • • Geschichte • Der Zweite Weltkrieg und die BÖSEN DEUTSCHEN – so wird allgemein geschrieben. Doch auf der ANDEREN SEITE EINES MEDAILLONS ist zu lesen: Italien hat Julius Schlegel nicht vergessen Eine italienische Bürgermeisterin, geschmückt mit der grün– weiß–roten Amtsschärpe und dem Wappen der Republik Italien, ehrte in der Pfarre des Wiener Stephansdoms einen hohen Of - fizier der Deutschen Wehrmacht. Die Vizebürgermeisterin von Monte Cassino überreichte den beiden Söhnen des 1958 verstor- benen Oberstleutnants Julius Schlegel, der als „Held von Monte Cassino” in die Geschichte eingegangen ist, zwei Ehrenplaketten — als Dank dafür, dass ihr Vater in den Kriegsjahren 1943/44 die unschätzbaren Kunstwerke und die Bibliothek des Klosters vor dem Untergang gerettet hatte. Bürgermeisterin Iris Volante sagte an die beiden Söhne Otto Benedikt und Gottfried Schlegel gerich- tet, ihr Vater habe durch seine tapfere Tat gezeigt, wie Menschen brüderlich zusammenleben und einander helfen können. Die Rettung der Kunstschätze von Monte Cassino sei eine Geste der Verbrüderung und ein Beispiel für die Jugend. Der aus Wien stammende Oberstleutnant hatte, als er merkte, dass sich die Alliierte Front näherte und Monte Cassino, das im Jahr 529 ge - gründete Benediktinerkloster, genau auf dem Weg der Alliierten in Richtung Rom lag, mit über 100 deutschen Armeelastwagen die Kunstschätze des Klosters eingesammelt und in den Vatikan gebracht, wo sie den päpstlichen Behörden übergeben wurden und den Krieg unbeschädigt überstanden. Wenig später bombar- dierten die Amerikaner Monte Cassino aus der Luft und beschos- sen es mit schwerer Artillerie. Das Kloster wurde dem Erdboden gleichgemacht — zahlreiche Mönche und Zivilisten, die sich vor den Kampfhandlungen in seine Mauern geflüchtet hatten, fanden den Tod. Der Vatikan, der damalige Abt des Klosters sowie der Verwal - ter bescheinigten, dass sich in Monte Cassino kein einziger deutscher Soldat befunden hat und dort auch kein Kriegs - gerät oder vorgeschobene deutsche Beobachter befunden ha - ben. Wenn die altehrwürdige Benediktinerabtei heute wieder aufge- baut ist, wurde dies nicht zuletzt deshalb möglich, weil der Öster- reicher Schlegel als deutscher Oberstleutnant auch die alten Baupläne gerettet hat, aufgrund derer der Bau dann rekonstruiert wurde. Oberstleutnant Schlegel überlebte den Zweiten Weltkrieg. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde im 21. Wiener Bezirk eine Straße nach dem „Helden von Monte Cassino” benannt – und im Wiener Wertheimstein-Park erinnert eine Büste an ihn. Es war rührend zu sehen, wie in der Begl eitung der italienischen Bürger - meisterin Bewohner in Volkstrachten, Hirten in Felljacken und mit Dudelsäcken sowie Frauen in langen Festtagstrachten, ein Ständchen im Gedenken an den Oberstleutnant brachten. Die bepackten Völkerschaften schwimmen dahin (Úsznak a felmálházott népek) Auf einen interessanten Artikel bin ich bei Internetrecherchen gestoßen. Das Online-Fotoarchiv Fortepan enthält eine große Zahl privater Archivaufnahmen. Die beiden Autoren behandeln in diesem Artikel die Umsiedlung von Bessarabiendeutschen ins Dritte Reich und verwenden zeitgenössische Archivaufnahmen in Farbe eben aus diesem Archiv. Eine auch für uns interessante Zeitreise. Eine Übersetzung aus dem Ungarischen von Richard Guth. Ein Artikel von Ádám Kolozsi und Szabolcs Barakonyi. Erschie - nen auf dem Internetportal Index.hu, 30. Mai 2015. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Autoren. Mädchen, die Kopftuch tragen, blicken verlegen lächelnd in die Kamera, ein Hutträger, neben ihm hält ein Kind an der Schwester fest, die es im Arm hält. Viel Volkstracht, aber noch mehr Uni - form. Osteuropa machte sich auf den Weg, um in der Heimat von anderen ein Zuhause zu finden, weil es so befohlen wurde. Farb - aufnahmen aus dem Jahre 1940 über die Umsiedlungsaktionen. Vor dem Parlament dampft das Dampfschiff, auf seinem Schorn stein eine Rot-, am Heck eine Hakenkreuzflagge. Der von Franz Joseph auf Jupiter umgetaufte Passagierdampfer transpor- tierte Herbst 1940 mit 26 anderen Schiffen seine Passagiere gen neue Heimat, Bessarabiendeutsche aus fernen Dörfern mit komi- schen Namen in das Dritte Reich. Die tüchtigen Landwirte bra- chen aus dem heutigen Moldawien wegen den Weltkriegsum - wälzungen, den gefürchteten Russen und der Nazipropaganda ins Ungewisse auf. Wie andere Volksgruppen wurden auch sie betro- gen: Geheime Pakte der Großmächte entschieden über ihr Schicksal, sie mussten als Requisiten für die Propaganda und als Kanonenfutter herhalten, danach haben sie selber bei der Ver - treibung anderer mitgeholfen, so dass sie dann wieder selber Flüchtlinge wurden, die kein Recht auf Gedenken haben. Sachsen, Schwaben, Sekler, Polen, Madjaren wissen, dass es dabei nichts Besonderes gibt, es herrscht hier in dieser Region reger Verkehr. Als die Schiffe, die die Bessarabiendeutschen transportierten, stromaufwärts fuhren, herrschte bei uns in Ungarn noch kein Krieg, die Bilder der Massenflucht sorgten noch nicht für Gleich - gültigkeit. Die Schiffe transportierten ein Jahr zuvor orthodoxe Juden, die vor dem Antisemitismus nach Palästina aufbrachen, danach kamen Polen nach Ungarn, die nach dem doppelten Über- fall auf ihr Land eintrafen, aber das Land war noch einige Monate kein Kriegsteilnehmer. Dieser Tage konnten die Schiffe am Pester Donauufer selbst von Pál Jávor und Klári Tolnay gesichtet werden, die gerade eini- ge Szenen von „Szerelem nem szégyen” (Liebe ist keine Schande) drehten: Am Ende des Lustspiels entschied sich der verarmte Graf, der auf einem Schiff lebte, statt dem Selbstmord für die Liebe. In diesen Wochen war die ungarische Öffentlichkeit in Hochstimmung versetzt: Bis Mitte September kehrte Nordsie - benbürgen zurück, und nach den einmarschierenden Soldaten tra- (Fortsetzung auf Seite 8) 7