Sonntagsblatt 5/2014 | Page 6

Können die Nationalitäten wahlen in Ungarn demokratisch sein ?
Ungarn . Ob es gelingen kann , hängt von vielschichtigen Aspekten ab . Es gibt Beispiele für eine gelungene Reaktivierung einer fast schon in Vergessenheit geratener Sprache ( z . B . Hebräisch , Katalanisch ), aber der Erfolg ist v . a . davon abhängig , ob die staatlichen Institutionen dieser Aufgabe positiv gegenüberstehen und unterstützen . Die „ Neubelebungsattitüde ” – also der Wille seitens der Minderheitengruppe zur Belebung der Sprache – ist unter den Deutschen in Ungarn nach meiner Einschätzung vorhanden . Die Angehörigen der Minderheit , die eine Restidentität besitzen , sind häufig der Meinung , dass wenigsten ihre Kinder und Enkelkinder Deutsch auf einem sehr hohen Niveau beherrschen sollten . Unter den Jugendlichen der Minderheit wirken v . a . die positiven Signale aus der Wirtschaft und der erweiterte europäische Horizont stimulierend .
3 . Zukunftsperspektiven der Deutschen in Ungarn
Die geschilderte aktuelle Situation der deutschen Minderheit in Ungarn zeigt eine Zwischenbilanz der nach der politischen Wen - de ausgebauten kulturellen Autonomie . Es ist klar , dass das neue System der sog . Minderheitenselbstverwaltungen in den 90er Jahren des 20 . Jahrhunderts zu neuen , positiven Impulsen beigetragen hatte , davon zeugen die erfreulichen Zahlen der Volks - zählung 2001 und besonders die neusten Zahlen von 2011 bezüglich der Angaben zur Nationalität . Es ist allerdings fraglich , ob diese neue kulturelle Autonomie mittel- und langfristig die Assi - mi lation aufhalten kann . Die politisch – gesellschaftlich dominierten langsamen Entwicklungen haben einen Punkt erreicht , wo ein qualitativer Sprung in Richtung von zwei- und einsprachigen deutschen Schulen und Kindergärten gemacht werden muss . Falls die Ins titutionen nämlich nicht die zur Unterbrechung des Sprachen wechsels Deutsch – Ungarisch notwendigen Rahmenbe - din gungen schaffen können , führt der sprachlich – kulturelle Iden - titätswandel zur vollkommenen Assimilation der Minderheiten - gemeinschaft . Die optimale Lösung wäre in diesem Bereich , wenn die Min derheitenselbstverwaltungen als Erfüllung der sog . kulturellen Autonomie selbst die Trägerschaft der kulturellen und schulischen Einrichtungen übernehmen könnten , wie dies in den erwähnten regional wichtigen Schulzentren schon der Fall ist . Dies würde auch eine konzentrierte Verwendung der staatlichen Subven tionen ermöglichen , weil ja zur Zeit viele Unterstützungen an ungarische Schulen vergeben werden , die eher im Bereich Deutsch als Fremdsprache tätig sind .
Ohne Sprache gibt es keine Minderheit oder Identität . Dies ist eine Binsenweisheit , aber auch bei den Ungarndeutschen ist es eindeutig so , dass die bis jetzt geschilderte sprachliche Situation folgende Frage mit sich bringt : Kann die ehemalige Mutter - sprache bzw . eine andere Varietät derselben in den Minder hei - teninstitutionen neu belebt und erlernt werden ? Die deutsche Minderheit in Ungarn ist ja z . T . eine Sprachminderheit , z . T . eine Gesinnungsminderheit , so dass breite Schichten lediglich für die Nachkommen oder z . T . für ihre eigene Person die Kompetenz der deutschen Sprache ( wieder ) herstellen wollen . Dies funktioniert laut verschiedener Meinungen im Falle von Einzelpersonen relativ einfach , wenn man aus Nostalgiegründen bezüglich der Ahnen u . dgl . dies vorantreibt , die Frage ist allerdings bei Völkern oder bei Minderheiten komplizierter . Falls der Sprachwechsel noch vor dem Ende unterbrochen wird und diese Möglichkeit besteht bei den Deutschen in Ungarn ohne Zweifel , wenn die Anzahl der Sprachkompetenzträger vergrößert werden kann , ist die Antwort auf unsere Frage ein eindeutiges „ Ja ”. Den „ schleichenden Sprachtod ” der deutschen Dialekte in Ungarn prognostizieren allerdings Viele . Inwiefern in Ungarn diese Neubelebung der deut schen Sprache die restlichen deutschen Dialektüberbleibsel integrieren wird , ist abzuwarten .
Allerdings sind solche Neubelebungen von Sprachen nur erfolgreich , wenn eine breite Schicht der Minderheit dahinter steht und sie vorantreibt und eine gut ausgebildete , zweisprachige , von den öffentlichen , staatlichen Institutionen unterstützte gesellschaftliche Gruppe von Intelligenzlern und „ Bürokraten ” im positiven Sinne die Sache ebenfalls unterstützt . Wenn diese Anfor - derungen berücksichtigt werden , muss festgestellt werden , dass in den ungarländischen sog . Minderheitenschulen und Kinder gärten dieselben nur selten erfüllt werden . Ein wichtiger Punkt ist in unserem Falle , dass die Akzeptanz und das Interesse der Mehr - heits bevölkerung an der deutschen Sprache – vor allem wegen wirtschaftlicher Faktoren – z . T . vorhanden ist . Auch im europäischen Rahmen können also die Bestrebungen zur Belebung der deutschen Sprache in Ungarn positiv bewertet werden und auch die Stabilisierung der deutschen Gemeinschaft im Lande . Die Frage ist , ob es möglich sein wird und ob es gelingt , hierbei haben Deutschland und Österreich bzw . die Schweiz eine wichtige Ver - antwortung vor allem bezüglich ihrer ( europaweiten und EU internen ) Sprachenpolitik bzw . Minderheitenpolitik . Die Erwei - terung der EU brachte auch bezüglich der Sprachenpolitik noch nicht einschätzbare Veränderungen mit sich . Die Zweisprachig - keit als Muster wird wahrscheinlich ein immer wichtigeres Anlie - gen sein und die Voraussetzung müssten die Institutionen schaffen . Auch in diesem Rahmen können also die Bestrebungen zur Belebung der deutschen Sprache in Ungarn positiv bewertet werden . Die Frage ist , ob es möglich sein wird und ob es gelingt . Letztendlich hängt dies vom Tun und Handeln eines jedem einzelnen ab .
Um die deutsche Sprache , Identität und Kultur im 21 . Jahrhundert auch in Ungarn aufrechtzuerhalten , muss sich die politische Aktivität der LdU grundsätzlich verändern .
Eugen Kaltenbach

Können die Nationalitäten wahlen in Ungarn demokratisch sein ?

( Übersetzung : Richard Guth )
Die Titelfrage – falls solche Kleinigkeiten überhaupt jemanden interessieren – kann kurz , aber auch ausführlicher beantwortet werden . Die kurze Antwort : nein , weil in einem „ illiberalen ” Sys - tem eine demokratische Wahl ausgeschlossen ist . Die ausführlichere Antwort soll man offensichtlich damit beginnen , was wir unter demokratischer Wahl verstehen . Auf den Punkt gebracht : Eine demokratische Wahl ist nur in einer Demokratie möglich . Von Demokratie spricht man ( jegliche Vielfalt zum Trotz ), wenn die Menschen- und Minderheitenrechte garantiert werden . Eine solche Gesellschaft ist pluralistisch , die Gleichheit derer Mitglieder ist gesichert . In den Ländern , die nach diesem Prinzip funktionieren , sind die Meinung und die Gemeinschaftsbildung frei und es existiert Chancengleichheit . Bei demokratischen Wahlen geht es darum , welche Organisationen ( Parteien ) die überzeugendsten Konzepte bezüglich der Gegenwart und Zukunft der Ge mein schaft haben , welche Konzepte sie mit gleichen Chancen den Betroffenen vermitteln , weil die Medien frei und ebenfalls pluralistisch sind . In einer Demokratie ist der Zeitraum der Macht ausübung begrenzt , mancherorts auch konstitutionell , anderenorts kümmert sich der Wähler um das Funktionieren der politischen Wechselwirtschaft . In solchen Orten stellen sich auch historische Größen zur Wahl und befinden sich als leicht ( z . B . W . Churchill , J . de Gaulle , H . Kohl ).
Der Minderheitenstatus der Nationalitäten erschwert die
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