Sonntagsblatt 5/2014 | Page 5

Jula ihr Zentrum hat. Die Veränderung, dass also nur diejenigen ungarischen Staatsbürger die deutsche Liste in ihrer Ortschaft wählen durften, die sich schriftlich vor der Wahl zur deutschen Minderheit bekannten und um ihre Aufnahme in die deutsche Wählerliste baten, sorgte zuerst zu einiger Unruhe, da wegen der erwähnten historischen Erfahrung der Vertreibung diese Art von Registrierung nicht unumstritten war. Während den Wahlen 2006 und 2010 funktionierte allerdings dieses System im Großen und Ganzen zufriedenstellend. Das neue Gesetz über die Rechte der Nationalitäten aus dem Jahre 2011 veränderte das System nicht maßgeblich, obwohl über das Funktionieren dieser neuen Rege - lung noch keine langfristigen Erfahrungen vorliegen. Eine negati- ve Erscheinung ist der Entzug ders Mitbestimmungsrechts der Nationalitätenselbstverwaltungen bei der Bestimmung des päda- gogischen Programms. Zur Zeit sind im Lande 423 örtliche deut- sche Minderheitenselbstverwaltungen aktiv, auch auf der mittle- ren Komitatsebene sind seit der Wahl 2006 die Körperschaften entstanden. Der Landesrat der ungarndeutschen Chöre, Ka - pel len und Tanzgruppen e.V. repräsentiert einen Großteil der über 500 Kulturgruppen in Ungarn, die Bezüge zur deutschen Minderheit haben. Dies bildet die Basis der kulturellen Auto - nomie der Deutschen in Ungarn, das Gesamtbild wird aber von weniger erfreulichen politischen, sprachlich–kulturellen Tenden - zen beeinflusst. 2.3. Entwicklung im Bildungswesen Kehren wir zur Ausgangssituation in der Wendezeit zurück, damit die aktuellen Geschehnisse richtig gedeutet werden können. Wie oben angeführt, entwickelte sich das Schulwesen der deutschen Minderheit in Ungarn seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts zwar unter besseren Rahmenbedingungen, aber es fehlten die kla- ren gesetzlichen und fachlichen Fundierungen bezüglich des Minderheitenunterrichts. Die chaotische Situation ist z.T. bis heu te noch vorhanden, sogar im Bereich der Terminologie. Be - griffe wie Nationalitätenunterricht, Minderheitenunterricht, Sprachunterricht, zweisprachiger Unterricht usf. wurden sowohl beim Unterrichtsministerium als auch bei den betroffenen Institutionen bzw. bei den Gemeinde- und Stadträten, die als Institutionsträger funktionieren, unterschiedlich verwendet und ausgelegt. Hinter den anmutenden statistischen Zahlen des Unterrichtsministeriums über die Anzahl der Schüler, die an einem deutschen Minderheitenunterricht teilnehmen, steckt eine kunterbunte Realität, wobei die meisten Kinder von Angehörigen der deutschen Minderheit keine Schule oder keinen Kindergarten besuchen, die ihren spezifischen Ansprüchen entsprechen wür- den. Der typische Fall v.a. in kleineren Ortschaften – und be - kanntlich leben die meisten Ungarndeutschen in solchen Ort - schaften – ist, dass in der Grundschule (die sich stolz Natio nali - tätenschule nennt) de facto Deutsch als Fremdsprache unterrich- tet wird. Vielerorts ist dies auch nur in einem Klassenzug der Fall, und alle anderen Stunden bzw. die außerschulischen Aktivitäten laufen natürlich (?!) in ungarischer Sprache. Seit einigen Jahren muss dieser sog. Sprachunterrichtstyp der Minderheitenschulen in Deutsch mindestens 5 Wochenstunden anbieten. Dies ist eine große Errungenschaft, wenn wir folgende Zahlen berücksichtigen: Aus einer Umfrage des Kultusminis te - riums, die in 209 Schulen mit einem Minderheitenunterricht (ent- weder Sprachunterricht oder zweisprachiger Unterricht) im Jahre 1992 durchgeführt wurde, geht hervor, dass damals in 10 befragten Schulen 6 Wochenstunden Deutschunterricht stattgefunden hat, in 3 Schulen waren es 5 Wochenstunden, in 5 Schulen 4 Wochen - stunden und in nur zwei Schulen drei Stunden pro Woche. In den restlichen Schulen gab es dementsprechend in einer oder zwei Wochenstunden Deutschunterricht... So ist es nicht verwunder- lich, dass 5 Wochenstunden als große Entwicklung empfunden wird, aber im Vergleich zu den quasi einsprachig deutschen Minderheitenschulen in Rumänien für die schon größtenteils aus- gewanderte deutsche Bevölkerung oder zu den mehr als 100 eben- falls einsprachigen privaten Schulen der etwa 20 000 Personen umfassenden deutschen Minderheit in Dänemark, ist die Lage mehr als kritisch zu betrachten. In den vergangenen Jahren haben die sog. Minderheitenselbstverwaltungen zwar viele positive Impulse bewirkt in Kreisen der Ungarndeutschen, aber im Unterrichtswesen sind in den letzten Jahren Warnsignale erschie- nen. In den Institutionen, wo auch Angehörige der deutschen Minderheit einen gesteuerten Weg des Lernens erreichen können, herrscht nach wie vor ein recht unterschiedliches Bild, was die Qualität der Erziehung und des Unterrichts anbelangt. Die Über- legung, dass sich in den nächsten Jahren die gesamte Zukunft des Minderheitenunterrichts und höchstwahrscheinlich auch die Zukunft der deutschen Minderheit in Ungarn im Allgemeinen ent scheidet, ist nicht neu. Zweisprachige Klassenzüge werden auf- gelöst, der allgemeine Rückgang der Kinderzahlen führt zur Schließung von Schulen, der notorische Mangel an gut ausgebilde- ten Deutschlehrern, das vollkommene Fehlen einer deutschspra- chigen Ausbildung für Fachlehrer, die immer noch andauernde Prob lematik der entsprechenden Lehrwerke im Minderheiten - unterricht usw. sind Signale dieser negativen Richtung. Die Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen (LdU) regis- trierte diese negativen Tendenzen und beschloss, dass als Ver - wirklichung der kulturellen Autonomie die LdU als Trägerin von wichtigen schulischen und kulturellen Institutionen funktionieren sollte. Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts wurden wichtige Schulzentren in eigene Trägerschaft der deutschen Minderheit übernommen. Seit 2004 funktioniert in dieser Form die Valeria Koch Mittelschule, Grundschule, Kindergarten und Schüler - wohnheim in Fünfkirchen/Pécs (Südungarn) und das Fried - rich-Schiller-Gymnasium, Berufliches Gymnasium und Schü - lerwohnheim in Werischwar/Pilisvörösvár bei Budapest. Das Ungarndeutsche Bildungszentrum in der Stadt Baja, wird von einer Stiftung getragen, hier nimmt die LdU ebenfalls an der gemeinsamen Trägerschaft teil. Die Deutsche Bühne Ungarn (DBU) in der Stadt Szekszárd funktioniert bereits seit 25 Jahren als deutschsprachiges Theater, aktuell in der gemeinsamen Trä - gerschaft des Komitates Tolnau/Tolna und der LdU. Weitere wich- tige Institutionen zum Ausbau der kulturellen Autonomie wurden in diesen Jahren ebenfalls gegründet, so das Ungarndeutsche Pä - da gogische Institut und das Ungarndeutsche Kultur- und Informationszentrum (www.zentrum.hu). Die LdU hat das Ziel, dieses System von selbst getragenen Minderheiteninstitutionen aus- und aufzubauen, weil ansonsten die oben angeführten negativen Tendenzen immer stärker die gesamte Situation mitprägen würden. Diese fatale Entwicklung könnte aus der Sicht der Deutschen in Ungarn perspektivisch exis- tenzgefährdend eingestuft werden, da der normale Prozess der Weitergabe der Sprache in den Familien kaum mehr möglich ist, aus den angeführten Gründen sind zwei–drei (?) Generationen auf gewachsen, die sich dadurch auszeichnen, dass unter den Angehörigen der deutschen Minderheit prozentual gesehen rela- tiv wenige eine deutsche sprachliche Varietät authentisch beherr- schen. Das bedeutet, dass es hier auch darum geht, im Falle einer überintegrierten Minderheit, die sich sprachlich weitgehend assi- miliert hat, den Versuch zu starten, den Prozess des Sprach - wechsels in Richtung Ungarisch zu unterbrechen. Falls dieser Versuch mit Hilfe eines gut ausgebauten zweisprachigen und lang- fristig auch z.T. einsprachigen Unterrichtswesens nicht gelingt, führt dies zur vollkommenen Assimilation der Deutschen in (Fortsetzung auf Seite 6) 5