Sonntagsblatt 5/2014 | Page 29

Stimme. Aus dem konnte wohl was Richtiges werden, mögen vor allem die jungen Mädchen gedacht haben. Nur eine Kleinigkeit irritierte die Zuhörer. Der junge Vikar hatte anscheinend etwas an seinem Maul (nur die besseren Leute sagten schon damals „Mund”): Er verzog beim Sprechen die rech- te Oberlippe so eigenartig nach oben, als ob er einen falschen Mus kel reflex in der Wange gehabt hätte. Schade. Denn ein sol- cher Schönheitsfehler stand einem öffentlichen Redner nicht so gut an. Immer wenn der Vikar seine Oberlippe nach oben rechts ver- zog, blinkte zudem in seinem Munde etwas auf. Der hatte doch da etwas drin. Was war das? Kein Zweifel: Der Redner hatte in der oberen rechten Zahnreihe einen goldnen Zahn! Da möge der All - mächtige drein sehen! Der junge Gottesmann hatte tatsächlich einen echten Goldzahn in seinem Munde. Aus Deutschland mit- gebracht? Na klar. In den Köpfen der einfachen Gläubigen dampfte es. Ein Gold - zahn! Wer konnte sich schon so einen Luxus leisten? Hier im Dorf war es üblich, dass man seine Zahnschmerzen so lange zu ertragen hatte, bis man es nicht mehr aushalten konnte. Und dann ging man halt zum Barbier, der einem den Plagegeist mit Stumpf und Stiel herauszog. Eine Betäubungsspritze hatten damals noch nicht einmal die Zahnärzte in den Städten. Da musste also jeder die Rosskur eines schmerzhaften Zahnziehens durchmachen. Und hier stand ein leibhaftiger Gottesmann auf der Kanzel mit einem teuren Goldzahn. Nicht genug damit. Er verrenkte sogar seinen Mund unnötigerweise, um seinen Luxus-Zahn absichtlich herzu- zeigen. So einer war das also. Mitten in ihre unchristlichen Neidgedanken hinein fiel auf der Kanzel das „Amen” des Vikars. Er hatte für eine gute Predigt alles getan, was er konnte. Während die Gemeinde einen Vers aus dem Gesangbuch sang, wischte er sich den Schweiß von der Stirne. Nach der damaligen Gottesdienstordnung wurde das „Vater un - ser” nicht von der ganzen Gemeinde laut gesprochen, sondern nur vom Prediger. Und das war jetzt dran. Der Vikar hatte aber ent- weder seine Agenda verlegt oder er verließ sich darauf, dass er das Gebet unseres Herrn Jesus sowieso auswendig aufsagen könne. Jedenfalls betete er laut und deutlich die ersten fünf Bitten, die mit den Worten enden „wie wir vergeben unseren Schuldigern”. Die sechste Bitte „Und führe uns nicht in Versuchung...” konnte er jedoch nicht aus dem Fundus seiner grauen Zellen hervorholen. Er stockte und wusste nicht mehr, wie das Vaterunser weiterging. Die absolute Stille in der überfüllten Kirche ließ ihn in Panik geraten, und er fing noch einmal von vorne an zu beten. Aber nach der fünften Bitte verhaspelte sich der arme Vikar mit dem Goldzahn im Munde schon wieder. Er fand einfach nicht den Über gang zur sechsten Bitte. Da erbarmte sich der Herr Pfarrer Senior und half ihm mit seiner sonoren Stimme weiter: „Und führe uns nicht in Versuchung...”. Der Vikar fand schnell den Faden wie- der und schrie buchstäblich erleichtert... „sondern erlöse uns von dem Übel”. Dann betete er das Vaterunser fließend bis zu Ende weiter. Sein befreites „Amen” hallte am Schluss wie ein nach- drücklicher Gongschlag durch das mäuschenstille Kirchenschiff. Die Gläubigen ließen sich in der Kirche nichts anmerken. Aber sie hatten an diesem Sonntag beim gemütlichen Plausch auf den Bänken vor ihren Häusern ein unerschöpfliches Thema. Die einen bedauerten den armen Vikar, dass ihm „so was” bei seinem Einstandsgottesdienst passiert war. Die anderen sagten, dass es ganz sicher eine Strafe Gottes war. „Wegen des Goldzahnes”. Der Vikar erholte sich aber – getragen von einer Woge der Sym - pathie – bald von der tief empfundenen Blamage. Er blieb ein ganzes Jahr im Dorf und wurde ein beliebter Prediger. Besonders die Jugend mochte ihn gerne. Er hatte aus Deutschland die neu- esten Lieder aus dem „EC” (= Jugendbund für entschiedenes Christentum”) mitgebracht und sie jetzt in den Religions-Unter - richtsstunden bei den Schülern verbreitet. Eine ganze sechstklas- sige Schülergeneration hat sie von ihm gelernt und in ihr späteres Leben mitgenommen. Und die Moral von der Geschichte? Auch ein Gottesmann ist nur ein Mensch. Und Menschen haben manchmal einen Gold - zahn. Und manchmal bleiben sie auch beim öffentlichen Beten stecken. Trotzdem nimmt Gott sie in den Dienst seiner Kirche. Denn er hat keine anderen Menschen auf der Welt als die, die so sind wie wir alle. Mit Genehmigung des Hauptschriftleiters entnommen aus „Das Donautal-Magazin”, Heft vom 1. Mai 2014 Leserbriefe Zur Parlamentsansprache des Sprechers der Volksgruppe der Deutschen in Ungarn, Herrn Emmerich Ritter – in Sonntagsblatt 4/2014, Seite 4. „Die in Ungarn lebenden Nationalitäten haben zuletzt im Jahre 1933 einen Vertreter in einem demokratisch gewählten Ungarischen Par - lament gehabt…” – damit beginnt Herr Ritter seine Ansprache. Das stimmt doch ni cht! Warum hat Ritter sich zu einer so voll- kommen falschen Behauptung verleiten lassen? Aus taktischen Gründen? Aus geschichtlichem Unwissen? Aus „moderner politi- scher Beurteilung” der Geschichte? Es dürfte doch allbekannt sein, dass die Deutschen in Ungarn auch während der Kriegsjahre (bzw. nur während der Volksbund- Jahre) ihre Vertreter im Parlament hatten, die damals in den Reihen der Regierungspartei saßen. Sie galten als Vertreter des Volksbundes der Deutschen in Ungarn. Aber: In Ungarn gab es (auch) damals demokratische Wahlen und die Vertreter des Volks - bundes waren demokratisch gewählt worden. So ich weiß, waren es (leider) nur zwei, die das (ca. 500 000 Seelen starke) Ungarn - deutsch tum des „kleinen” Trianon-Ungarn repräsentierten, – na - ment lich Jakob Brandt und Heinrich Mühl –, doch weitere 5 Abgeordnete saßen als Vertreter des Deutschtums der in der Zeit 1939–1941 rückgegliederten ungarischen Landesteile im ungari- schen Parlament. Will oder darf man darüber nicht reden? Und warum nicht? Wenn ich schon auf der Suche nach Stolpersteinen bei Herrn Ritter bin, so soll hier noch ein Fall erwähnt werden, der mich auf- horchen ließ. Dieser Fall wurde mir von einem Freund mitgeteilt, der bei einer lockeren Aussprache mit Ritter anwesend war und dem folgende Meinungsäußerung Ritters aufgefallen ist: „Wir Ungarndeutsche wollen keine zweite Staatsbürgerschaft, wir wollen keine deutschen Staatsbürger werden…” Ich meine, dies ist eine Frechheit von Ritter (als Sprecher des Un garndeutschtums!) in meinem, in unserem, im Namen des Un - garndeutschtums eine solche Äußerung zu machen. Denn ich sel- ber kenne viele Landsleute, die schon heute einen Antrag auf die deutsche Staatsbürgerschaft stellen würden, wenn Ungarn dies ermöglichen und Deutschland dies wollen würde! Also Vorsicht mit unüberlegten Äußerungen! Dr. Wenzel Bohner O Ein Brief aus dem Mutterland – Meinungsäußerung zum Buch TÖRÉSPONTOK von Réka Marchut …Unlängst hat mir ein Bekannter aus Ungarn das Buch „Törés - pontok” (Bruchpunkte–?) von Réka Marchut zugeschickt. Ich war zur Zeit unserer Vertreibung bereits 14 Jahre alt und sprach eini- (Fortsetzung auf Seite 30) 29