Sonntagsblatt 5/2014 | Page 26

schen Industrie . Mit seinem sicheren Gespür für das Neue legte er nicht nur Grund lagen der ungarischen Mühlenmechanik , sondern schuf mit Grün dung der Ganz-Elektrizitätsfabrik auch einen neuen Indust rie zweig . Unter seiner Leitung wurde im Maschinenbau die Groß serienherstellung verwirklicht . Er war einer der frühen Pioniere der Fabriknormierung und vergaß daneben auch das Wohl der Ganz-Belegschaft nicht .
Nach dem tragischen Tod von Abraham Ganz ( 1867 ) erwies sich Andreas Mechwart als würdiger Nachfolger . In den vier Jahrzehn - ten seines Schaffens diente er sowohl den Ganz-Werken als auch dem guten Ruf der ungarischen Industrie . Der bayrische Schlosserlehrling ( geboren vor 180 Jahren ) Andreas Mechwart wurde am 6 . Dezember l834 im bayrischen Schweinfurt geboren . Seine Eltern waren nicht vermögend und gaben ihn deshalb in eine Schlosserlehre . Die Stadtväter wurden jedoch auf seine Begabung aufmerksam und schickten ihn mit einem kleinen Stipendium auf das Augsburger Polytechnikum , wo er 1855 das Ingenieurpatent erwarb .
Als Ingenieur arbeitete er vier Jahre in Nürnberg . 1859 erhielt er ein vorteilhaftes Angebot für eine Assistentenstellung in Gali - zien . Die Einladung nahm er an , doch auf dem Weg zu seinem neuen Arbeitsort besuchte er in Ofen / Buda seinen Freund Anton Eichleiter , der damals bei Abraham Ganz angestellt war . Diesem Besuch ist es zu verdanken , dass Mechwart auf die Weiterreise verzichtete und sich bei Ganz einstellen ließ .
Der Betrieb hatte damals , 1859 , noch bescheidenes Format . An den Werkbänken arbeiteten kaum 140 Beschäftigte . Hauptsäch - lich stellte das Unternehmen Maschinenteile , Eisenbahnräder und Mühlenwalzen her .
Nicht weniger bescheiden war der Maschinenpark : einige Drehbänke , Nutenschneider , Bohrmaschinen , Rundpressen und Bandsägen waren in Betrieb . Eine 15 PS starke Dampfmaschine trieb sie an .
Mechwart bekam und löste immer größere Aufgaben , so dass man ihm noch zu Lebzeiten von Ganz einen Teil der Geschäfts - führung anvertraute . Nach dem Tode von Ganz stellten die Erben Eichleiter , Keller und Mechwart an die Spitze des Unternehmens . Die Firma nahm damals den Namen „ Ganz és Társa ” ( Ganz und Co ;) an . Von 1869 an war Mechwart technischer Direktor , von 1874 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1899 versah er das Amt des Generaldirektors .
Auch im Ruhestand blieb er rastlos : sein Drehpflug beschäftigte ihn . Im Sommer 1907 erkältete er sich und bekam eine Lun - genentzündung . Nach wenigen Tagen Krankheit starb er im Alter von 73 Jahren .
Die Entwicklung des Werkes Beim Tode von Abraham Ganz bestand die Belegschaft aus kaum mehr als 370 Beschäftigten . Im Milleniumsjahr 1896 war die Be - leg schaft schon etwa 800 Mann stark . In den Werkstätten wurde an mehr als hundert Werkzeugmaschinen gearbeitet . Das pulsierende Leben dieses Stammbetriebes kommt jedoch am besten in den Produktionsergebnissen zum Ausdruck . Es gab ein Jahr , in dem mehr als anderthalbtausend Mühlenwalzen hergestellt wurden . In der Produktion von Eisenbahnrädern kam man bis zur Jahrhundertwende auf etwa eine Million Stück . Jährlich verließen 30 – 50 Turbinen den Stammbetrieb .
Doch nicht nur der Stammbetrieb entwickelte sich . Immer neue Teilbetriebe wurden gegründet , die vom Erstarken des Ganz- Unternehmens zeugten .
Im August 1878 gründete Mechwart in der Ofner Kacsa-Straße eine kleine elektrotechnische Werkstatt , wobei er vor allem das Ziel verfolgte , die sich damals entwickelnde Starkstromtechnik für industrielle und Beleuchtungszwecke anwendbar zu machen . Be - zeichnenderweise war dies die erste derartige Einrichtung auf dem Gebiet der Österreichisch – Ungarischen Monarchie !
1880 kaufte das Unternehmen die Erste Ungarische Eisenbahn Waggonfabrik . Seinerzeit war diese Waggonfabrik einer oder größ ten Budapester Betriebe . 1887 erwarb Ganz und Co . eine Maschinenfabrik in Leobers - dorf bei Wien . Damit bildete sich ein neues Produktionsprofil heraus : die Herstellung von Papierindustriemaschinen . Ganz-Pa - pierindustriemaschinen wurden bald auch außerhalb Europas bekannt .
Vielseitiger Erfinder Der Walzentisch ist heute die wichtigste Mahlanlage der Wei - zenmühlen . Jahrtausende lang war der Mahlstein die fast ausschließliche Mahlmaschine des Menschen . Walzmahlversuche wur den schon im 16 . Jahrhundert gemacht – unsere heutige Mohn mühle kann auf diese Experimente zurückgeführt werden –‚ bis zum erfolgreichen Einsatz der Walze in der Weizenmahlung vergingen jedoch noch drei Jahrhunderte . Die Pester József- Walzmühle , die 1841 den Betrieb aufnahm , war eine der ersten in Europa . Diese frühe Gründung ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert . Zuerst muss der unvergängliche Verdienst des Gründers István Széchenyi hervorgehoben werden . Noch heute ist es der Bewunderung wert , mit welchem seherischen Scharfblick sich Széchenyi für den Walztisch entschied . Da ungarische Fachkräfte fehlten , wurden für den Betrieb der Walzmühle ausländische Facharbeiter verpflichtet . Abraham Ganz arbeitete jahrelang in der neuen Mühle . Auch nachdem er sich selbständig gemacht hatte ( 1845 ), blieb er mit der József-Walzmühle in Kontakt . Um 1850 fertigte Abraham Ganz aus dem Material von Eisenbahn - rädern sogenannte Rindenguss-Walzen , die sich so bewährten , dass ihre Herstellungsweise und mehr oder weniger auch ihre Zu - sammensetzung bis heute unersetzbar ist .
Walzen konnte man also schon gießen , doch reichte das noch nicht für eine gute Mahlanlage . Es fehlte der „ Stuhl ”, die Halteund Bedienungskonstruktion der Walzen . 1874 erwarb die Ganz- Fabrik das Patent von Friedrich Wegmann , jedoch wurde nur das Grundprinzip dieser Einrichtung beibehalten . Mechwart nahm an der Maschine eine ganze Reihe von Veränderungen vor , die von industriegeschichtlicher Bedeutung sind . Eigentlich waren es diese Veränderungen , die die massenhafte Verwendung des Walz - tisches ermöglichten . Damit wurde die „ Herrschaft ” des Mahl - steins gebrochen . Den Erfolg der Neuerung kennzeichnet , dass im ersten Produktionsjahr ( 1875 ) mehr als 600 Walztische hergestellt wurden . Es gab ein Jahr , in dem 1870 Walztische die Fabrik verließen . Wenn man bedenkt , dass ein Walztisch aus mehreren hundert Teilen besteht , kann man sich einen Begriff vom Stand der damaligen Serienproduktion , von ihrem organisatorischen Niveau machen .
Der Mahlstein wurde in jeder Hinsicht vom Walztisch übertroffen . Bald konnte die Ganz-Fabrik ihr neues Produkt in alle fünf Erdteile exportieren . Eine höhere Anerkennung konnte ihre Qua - lität kaum finden , in Mechwarts Todesjahr ( 1907 ) wurde der 30 000 - ste . Walztisch hergestellt .
Mit Mechwarts Namen verbinden sich auch andere Erfin - dungen . Insgesamt sind uns die Titel von 21 Erfindungen bekannt , von denen zehn mit dem Walztisch zusammenhängen . Die restlichen Erfindungen machte er in Bereichen , die sich von der Militärtechnik bis zur Pflugmaschine erstreckten . Er hatte einen sicheren Sinn für die aktuellen und wichtigen Themen , wofür der Walz - tisch , die Pflugmaschine und das Kraftfahrzeug als Beispiel gelten können .
Was die Pflugmaschine betrifft : In den achtziger Jahren des ver-
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