Sonntagsblatt 5/2014 | Page 19

tigen , und Paul Mesli vergewisserte sich selbst an Ort und Stelle von der Richtigkeit der Angaben . Damit dürfte feststehen , dass ein Rest von sechs Mann zunächst am Leben gelassen wurde , da - mit man jemanden hatte , der die Leichen des zweiten Massen gra - bes mit Erde bedeckte . Einer von den sechs bedauernswerten ge - zwungenen Totengräbern war mit großer Wahrscheinlichkeit der lungenkranke Stefan Haas . Der schon genannte Knecht von Gre - gor Eichinger berichtete , dass als letzter dieser Nacht der Schrek - ken einer der Söhne eben von Gregor Eichinger nach seinem erzwungenen „ Werk der Barmherzigkeit ” erschossen worden sei .
Tote begraben galt in der christlichen Tradition stets als „ Werk der Barmherzigkeit ” – grausame Ironie für die letzten Sechs . Pater Friedrich Gillich , der bekanntlich durch glückliche Um - stände am 25 . November den Kirchhof wieder verlassen durfte , übte noch längere Zeit seinen seelsorglichen Dienst in Sombor aus . Er berichtet , dass in den folgenden Monaten und Jahren immer wieder einmal Bunjewatzen zu ihm gekommen seien , Aus - sprache suchend , um von den schrecklichen Bildern jener Nacht irgendwie frei zu werden … „ Wir kommen von dieser Nacht nicht los , obwohl wir unschuldig sind .”
Bei dem Massaker auf der Hodschager Heuwiese in der Nähe des Rothsalasch sind allein 35 Jugendliche im Alter von 16 – 19 Jah ren , unter ihnendrei Priesterstudenten , und 52 Männer im Alter von 50 – 60 Jahren ums Leben gekommen . Die restlichen 125 standen im Alter zwischen 20 und 50 Jahren . Unter ihnen befanden sich auch ein Theologiestudent und eine Reihe von Fami - lienvätern mit zehn und mehr Kindern . Von keinem einzigen der 212 Männer und Burschen kann gesagt werden , dass er sich auch nur in der geringsten Weise etwas gegen den jugoslawischen Staat oder einen seiner Bürger hätte zuschulden kommen lassen .
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Banater Schwaben in Frankreich

Auf der Suche nach Heimat
Kleine Leute erzählen große Geschichten Die Banater in Südfrankreich ein halbes Jahrhundert nach ihrer Ansiedlung ( 4 )
Die Familie Stracky aus Molidorf gehörte zu den ersten Siedlern in La Roque sur Pernes . Sie hat es zu Wohlstand gebracht . Anni Straky , die Tochter des Siedlers Anton Stracky , ist mit einem Siebenbürger Sachsen aus Schässburg namens Enzinger verheiratet . Wir sitzen im langen offenen Gang ihres Hauses und hören uns ihre Lebensgeschichte an . Schwerer Anfang , hoher Arbeits - einsatz , hartnäckiges Sparen . Die Geschichten wiederholen sich und sind trotzdem verschieden . Interessant ist , was hervorgehoben , aufschlussreich , was nicht erwähnt wird : „ Zwischen 1962 und 1968 waren wir jedes zweite Jahr in Rumänien zu Besuch , bei den Eltern meines Mannes ”, sagt Frau Enzinger . In Molidorf ist sie nie mehr gewesen . „ Hier war das Lager ” sagte sie , schluckt , und fügt hinzu : „ Alles ist ausgelöscht worden , wegen Krankheiten , die im Lager ausgebrochen waren , sagt man , nie mehr waren wird dort .” Die Enzingers haben zwei Kinder . Beide , Sohn und Tochter , haben studiert , sind verheiratet und wohnen in der Nähe . Im Ort selbst haben sie noch mehrere Häuser .
Und immer wieder Fragen zur Identität „ Die Leute waren am Anfang uns gegenüber gehässig “ erzählt sie offen . „ So zwei bis drei Jahre ging das so , dann haben sie aber ge - sehen , dass wir gut sind .” Ich frage , als was sie sich denn verstehe nach diesem bewegten Lebensweg . „ Ich fühle mich heute als Fran zösin , und wenn heute einer von den Franzosen schimpft , dann sage ich : Wenn ein jeder so viel für Frankreich getan hätte wie wir , ginge es dem Land heute besser . Aber diejenigen , die schimpfen , die wissen nicht , wo Jugoslawien liegt .” Das sagt eine Französin , aber wohl doch eine etwas andere Französin . Staats - bürgerin ja , doch mit welcher Identität ? Mit dem Mann wird Deutsch oder Französisch gesprochen , mit den Kindern meistens Französisch . Meistens , also nicht immer – verstehen sie also doch Deutsch ? „ Die Tochter hat Deutsch studiert und als Deutsch - lehrerin gearbeitet ”, erfahren wir . Zufall oder mehr ? Wir sollten auf ähnliche Fälle stoßen in diesen Tagen , wo die ganz besondere Familiengeschichte der Eltern die Lebensent - würfe der zweiten und dritten Generation mitbestimmt hat . So als wollte man die Brücke zur Vergangenheit , zur einstigen Gemein - schaft nicht ganz einstürzen lassen , so als sollten die Kinder und Enkelkinder doch noch etwas fort- und mittragen , was einem selbst nicht mehr vergönnt war . Bei Treffen der Molidorfer oder Donauschwaben in Deutsch - land sind die Strakys nie gewesen . „ Weil dann gerade die Kir - schen ernte war , dann konnten wir ja nicht weg . Irgendwie haben wir mit dem Thema auch abgeschlossen ”, meint Frau Enzinger- Straky . Nikolaus Benz war im Banat auch Bauer . Er hätte den väterlichen Hof erben und bewirtschaften sollen . Er musste aber zum deutschen Heer einrücken und ist nach dem Krieg in Österreich geblieben . Dass er sich der Frankreich-Aktion von Jean Lamesfeld angeschlossen hat , hat er nicht bereut . „ Ich bin ein Bauer , hier konnte ich es bleiben ”, sagt er . Im Banat war er Ackerbauer , mit Weinbau hatte er nie etwas zu tun , Weinreben hatte er nur um sein Haus gepflanzt . Auch hier wachse „ allweil ” auch alles , was im Banat wachse , aber für den Getreideanbau sind die Flächen zu klein , sagt Bauer Benz . Hier haben wir wieder die Bezugsgröße Banat , wir sollten noch oft auf sie stoßen in diesen Tagen . Bei unseren Gesprächspartnern und bei uns selbst . Die Kameradschaft unter den Landsleuten sei anfänglich da gewesen , sagt Nikolaus Benz , aber den Alten falle es jetzt schon schwer , den Kontakt aufrechtzuerhalten und die Jungen gingen ihre Wege .
„ Am Anfang war es uns schon schwer , zu wissen , dass wir Fran - zosen werden . Aber dann dachte ich mir , diejenigen , die in den zwanziger Jahren nach Amerika gegangen sind , sind ja auch Ame - rikaner geworden ”, stellt Nikolaus Benz fest . Und da sei ja auch noch das Elsaß und Lothringen , das Herkunftsgebiet vieler Banater , das jetzt auch zu Frankreich gehöre . Die seien jetzt auch wieder Franzosen , und somit habe sich auch hier ein Kreis ge - schlossen .
( Fortsetzung auf Seite 20 )
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