Sonntagsblatt 5/2014 | Page 17

die Hand und gab an, er hätte daheim ein Par Lederstiefel. Ein Partisan begleitete ihn zu seiner Wohnung, wo er demselben die Stiefel übergab. Dieser verließ das Haus, und Karl Mattes konnte zurückbleiben. Die Lederstiefel retteten ihm an diesem verhäng- nisvollen Tag das Leben. …Als Dolmetscher hatten sich die drei serbischen Schreiber den Medizinstudenten Valentin Eichinger, nachmals praktischer Arzt in Graz, ausgesucht. Als Paul Wildmann an der Reihe war, benutzte Eichinger die Gelegenheit, sich eine Zigarette zu dre- hen. Er wusste, dass Wildmann als Travniker Student ein wenig Serbisch verstand. Ohne sich umzusehen, fragte einer der Schreiber nach Name und Vorname. Als Wildmann antwortete, merkte der Serbe, dass es nicht die gewohnte Stimme war. Er drehte sich um, sah den kleingewachsenen Paul Wildmann vor sich und sagte: „Warte ein bisschen!” und begann auf seiner Liste zu zählen, einmal 198 und einmal 202, worauf er bemerkte: „Wir brauchen nicht mehr viele”. Er stand auf, kam zu Paul Wildmann und fragte ihn, wie alt er sei. Als dieser antwortete, er sei 16, frag- te der Schreiber, ob das stimme. Als Wildmann dies bejahte, sagte der andere: „Du bist noch jung, du sollst nach Hause zu Mutter gehen”, nahm ihn und führte ihn in jene Kirchhofecke, die unter dem Fenster der Pfarrkanzlei lag, kam zurück und stieß die sehr jungen Kameraden von Wildmann ebenfalls in jene Richtung. Nun standen auch die beiden anderen Schreiber von ihren Ti - schen auf, riefen einige Partisanen zu sich und sagten ihnen, sie sollten den Rest der noch nicht Aufgeschriebenen ebenfalls in jenes Eck treiben, wo Wildmann und seine Kameraden standen. Das geschah dann auch. Dieses ganze Vorgehen lässt darauf schließen, dass man die Absicht gehabt oder sich mit der Gemeindeleitung geeinigt hatte, 200 Männer zu liquidieren. Damit aber war das grausame Spiel der Auswahl noch nicht zu Ende. Es kamen nämlich Partisanen und Partisaninnen in die Ecke der noch nicht Registrierten, fassten den einen oder ande- ren, führten ihn zu den Tischen und ließen ihn aufschreiben, um ihn dann zu der großen Gruppe an der Kirchenmauer zu stellen. Djoko, der Polizeikommandant von Filipowa, war offenbar mit dem ganzen Geschehen nicht einverstanden. Er ging zu der Grup - pe bei der Kirche, rief mehrere heraus und brachte sie zurück zur Gruppe beim Pfarrhaus, so auch den Vater von Wildmann. Die Partisanen jedoch nahmen immer wieder einige und brachten sie zur Gruppe bei der Kirche zurück. Das ging so einige Male hin und her. Paul Wildmann berichtet, sein Vater und sein Bruder hätten zweimal die Gruppe wechseln müssen, bis sie dann doch bei den Todgeweihten bleiben mussten. Schließlich machten die Partisanen dem Wechselspiel ein Ende: Der Polizeikommandant musste den Kirchhof verlassen, obwohl er nicht wollte. Es scheint aber, dass durch seinen Einsatz mehr Filipowaer gerettet wurden, als es anfangs den Überlebenden er - scheinen mochte. Die Zurückbleibenden schätzten nämlich, dass die Partisanen 242 Mann mitgenommen hätten. In Wirklichkeit waren es 212. Das Mordgeschehen auf der „Heuwiese” Als die Partisanen ihre Zahl voll hatten, mussten sich die Männer und Burschen, die entlang der Kirchenmauer standen, in Viererreihen aufstellen. Zwischen ihren Reihen nahmen Parti - sanen und Partisaninnen Aufstellung, so dass sich acht Reihen ergaben. An die Spitze stellten sich etwa acht Mann Partisanen, andere postierten sich an die flanken, der Rest montierte das Maschinengewehr ab, nahm die Tragbahre und die Spaten und stellte sich am Ende des Zuges auf. Dann kam vom Gemein - dehaus ein Partisan auf dem Pferd herbeigeritten, stellte sich an die Spitze der acht Reihen, gab Kommando, und so ging es dann den Kirchhof und die Kirchengasse gegen Hodschag die herbstlich kotige Straße hinaus. „Es war ein trauriger Zug, und noch trauriger waren die ver- stohlenen Blicke der Angehörigen hinter den verhängten Fenstern und den spaltenweit geöffneten Türen.” Paul Wildmann berichtet noch, wie sie als Zurückbleibende gesehen hätten, dass die Parti - sanen einem verkrüppelten Mann, der nicht schnell genug gehen konnte, Fußtritte gaben. Dann kam die Ortspolizei und trieb die restlichen beiden Gruppen in die Kirche. Vom Kirchturm schlug es drei Uhr. Auf der Gasse durfte sich niemand blicken lassen, denn sofort ratterten Maschinenpistolen ungezielt in seine Richtung. An der unteren Kreuzgasse scheute infolge der immer wieder unverse- hens einsetzenden Schießerei das Pferd des Kommandanten. Es stieg hoch, während der Mann gerade eine Salve aus seiner Maschinenpistole abgab, und er verletzte sich selbst schwer. Er stürzte vom Pferd und erlag am nächsten Tag seiner Verwundung. Der Zug setzte aber seinen Weg auf der kotigen Straße in Rich - tung Hodschag fort und entschwand im düsteren Herbstnachmit - tag langsam den Blicken, die ihm durch Türspalten oder hinter Fenstervorhängen verstohlen folgten. Alle, die die stumm und ernst dahingehenden Männer gesehen hatten, dachten unwillkür- lich an einen Todesmarsch. Sie sollten recht behalten. Die 212 Männer und Burschen wurden auf einen Salasch (Meierhof) nahe der Hodschager Heuwiese, der einem gewissen Roth gehörte, ge - trieben. Die Kunde von den Dingen, die sich beim Rothsalasch abspielten, gelangte trotz des strengen Schweigegebots der Mit - beteiligten im Laufe der nächsten Jahre an die Öffentlichkeit. Es gibt einige sehr glaubhafte Aussagen vornehmlich von Partisanen aus der Wojwodina, die dabei waren, Filipowaern und anderen Donauschwaben gegenüber; Aussagen, die sich wie Mo - saik steine zusammenfügen und ein ungefähres Bild der schreckli- chen Ereignisse jener Nacht des 25. November 1944 liefern. Auf dem Rothsalasch wurden die Männer offenbar zuerst auf- gefordert, einander zu verraten: Wer angebe, welcher seiner Mit - gefangenen ein eifriger Anhänger des „Kulturbundes” oder akti- ves Mitglied der „Deutschen Mannschaft” gewesen sei, der werde freigelassen. Die Gegner der Kulturbund- und späteren Volks - bund politik sollten also deren aktive Befürworter verraten. Man muss bedenken, dass in Filipowa religiöse und weltanschauliche Überzeugungen radikaler als anderswo gelebt und während des Krieges auch handgreiflich ausgestritten wurden. Es wäre nicht ver wunderlich, wenn in dem einen oder anderen Mann ein Re - vanchegelüst vorhanden gewesen wäre. Keiner der Männer verriet einen anderen, obwohl sie schon ge - wusst haben dürften, dass ihnen der Tod bevorstand. Man kann sich nur mit Respekt vor Männern solcher Charakterstärke ver- neigen. Es gab unter ihnen keinen Denunzianten. Als keiner eine Aussage machte, wurden sie schwerstens gefoltert. Von diesen Folterungen mag das Blut stammen, das an den Kleidern klebte, welche zwei slowakische Kutscher noch in der Nacht wegführen mussten. Anderntags bekam auch Georg Piller, Pferdehändler in Filipowa, der mit seinem Pferdegespann die Ordonanz für die neu en Gemeindegrößen versah, denselben Auftrag (Siehe Schieder-Dok., 5. 269). Piller erkannte unter den Kleidern auf sei- nem Wagen den Mantel des Gastwirts Johann Grauganz, der einen auffallenden Pelzkragen besaß. Somit war er einer der Ers - ten, die um die Dinge Bescheid wussten. Er dürfte aber aus Vorsicht kaum jemand davon Mitteilung gemacht haben. Erst all- mählich sickerte im Dorf die vage Nachricht durch, dass 212 Männer und Burschen auf der „Heuwiese” niedergemetzelt und verscharrt worden seien. Das Liquidationskommando musste bei den Ermordungen der (Fortsetzung auf Seite 18) 17