Sonntagsblatt 5/2014 | Page 12

madjarischen Nationalismus geprägt waren . Wenn wir an die Umstände der Inbesitznahme des südlichen Teils des ehemaligen Oberungarns und von Nordsiebenbürgen sowie an unsere Taten in der Batschka denken , dann zurecht . Aber heutzutage kann man den Madjaren , die sich „ national ”, „ christlich ” und „ konservativ ” nennen , sagen und schreiben , was man will , sie marschieren unbeirrt vorwärts und laufen so oft gegen die Wand . Oder , wenn es sich so ergibt , gegen die slowakische Polizei . Danach beklagen sie sich und protestieren .
Wenn wir uns in Europa umschauen , dann sehen wir , dass auch bei anderen Nationen der Nationalismus blühte . Der Unterschied steckt in den Details . Wo eine zahlenmäßige Überlegenheit und Stärke der staatstragenden Nation vorhanden war , konnte diese nationalistische Mehrheit tun und walten , auf Kosten der Minderheiten . Aber als das madjarische Volk , das innerhalb der Landesgrenzen in der Minderheit war , es getan hat , da stehen wir einem chronischen Mangel an Selbsteinschätzung , der Überbewertung der Möglichkeit der Kraft und der Gewalt , nach Nikola Zrinski ( ung . Miklós Zrínyi ) „ blinden Spatzen ”, gegenüber . Wenn es jemanden tröstet , man kann Dinge sagen wie „ es gab ja keine slowakische Sprache ”. Wenn es keine anderen Argumente gibt , pflegt man zu sagen , dass das nichts anderes wäre als der „ slowakische nationalistische Standpunkt ”. Oder , ein „ Rumänen söld - ling ”. Ich weiß es nicht , ob es eine slowakische Sprache gab , aber ich mag solche Argumente nicht , wonach „ es egal war , in welcher Sprache die slowakischen Bauern quaken ”. Das sind nationalistische Texte , die vom Mythos der madjarischen Supremität durchtränkt sind . Linde gesagt nicht wirklich weise Texte , denn es war , wie es sich später herausgestellt hat , nicht egal . Denn 1842 wurde in Wien nicht die Frage untersucht , ob es eine slowakische Sprache gibt oder nicht , im Gegesatz dazu begegnete man den slowakischen Klagen gegenüber den gewaltsamen Madjarisie rungs - bestrebungen des ungarischen Parlaments mit großer Aufmerk - samkeit und Verständnis .
Es kann kein bloßer Zufall sein , dass István Graf Széchenyi im selben Jahr , 1842 , eine Rede hielt , in der er die Gefahren einer „ forcierten Madjarisierung ” anmahnte . Seine Rede war ein Schrei ins Leere . Man kann den slowakischen Nationalismus abhandeln , argumentieren , dass es gar keine slowakische Sprache gab . Aber die Rede Széchenyis bestätigt die Klagen der Slowaken bezüglich der gewaltsamen Madjarisierung . Sie zeigt , dass die Klagen berechtigt waren . Ich möchte darauf aufmerksam machen , dass es hier nicht um die Frage geht , ob es eine slowakische Sprache gab oder nicht , sondern dass die ungarischen / madjarischen Behörden Gewalt angewendet haben , um die Nationalitäten zu Madjaren zu formen . Trotzdem beklagt ein Leser die „ hinterhältige Politik Wiens ”, die „ Aufwiegelung der Nationalitäten ”. Die akademische Rede Széchenyis beweist auch , dass 1842 nicht das „ hinterhältige ” Wien , nicht die „ niederträchtigen ” Habsburger , sondern das ungarische Parlament mit ihren Gesetzen , die eine gewaltsame Madjarisierung zum Ziel setzten , die Nationalitäten aufwiegelte .
Die historischen Fakten überzeichnen all die ungarischen / madjarischen historischen Gemeinplätze („ tausendjährig ”, „ historisch ” usw .), auf die sich noch heute viele beziehen . Man kann sich auf Domokos Kosáry berufen , aber er schrieb gerade gegen den Nationalismus die folgenden , bemerkenswerten Zeilen : Széchenyi „ hat es auch gesehen , dass mit der Großmachtstellung Österreichs zähe internationale Interessen verbunden waren . Und er erkannte die Bedrohung durch den Konflikt mit den Natio - nalitäten . Deswegen sprach er sich bereits in seiner akademischen Rede von 1842 gegen die gewaltsame Madjarisierung aus ”. ( Kosáry , 1981 , S . 30 ) Kosáry hat ohne Zweifel den madjarischen Nationalismus verurteilt , „ der gleichzeitig zum einen gegenüber dem Habsburg-Reich nationale Freiheit ( für sich selbst ), zum anderen gegenüber anderen nationalen Bewegungen Hegemonie , Alleinherrschaft ( ebenfalls für sich selbst ) haben wollte .” ( Kosáry , 1981 , S . 36 ) Kosáry schreibt vom Wesentlichen , vom „ historischen Gemeinplatz ”. Er sprach nicht von der „ österreichischen Kabale ”, sondern von der forcierten Madjarisierung , dem madjarischen Na tio nalismus . Er wollte denen ein Signal senden , die heute von dem Nationalismus der Slowaken sprechen . Derjenige , der sich gegen mich auf ihn als authentische Quelle beruft , kennt entweder Kosáry nicht oder hat mein Buch nicht aufmerksam durchgelesen . ( Csemok , 2008 , S . 45 )
Man kann ja Lärm machen , sich darüber beklagen , dass wir Recht hatten . Man kann sich darauf berufen , dass die Länder , die nach dem Ersten Weltkrieg entstanden sind , auch keine reinen Nationalstaaten waren . Jászi schreibt : „ Die Habsburgermo nar - chie haben sie zerstört , ohne dass ihre Probleme eine vollwertige , ehrliche und systematische Lösung erfuhren . Viele Irredenta wurden aufgelöst , viele neue entstanden , die die europäische Situa - tion weiterhin gefährden . (…) Die neugeschaffenen Staaten standen in der Tat ethnografisch auf einem festeren Fundament als die alte Monarchie . Nach westlichem Verständnis waren sie jedoch überhaupt keine Nationalstaaten , denn sie verfügten über eine bedeutende Minderheitenbevölkerung . So gehörte lediglich 81 % der Bevölkerung des jugoslawischen Staates , 71 % des rumänischen , 64 % des tschechoslowakischen und 62 % des polnischen Staates dem Staatsvolk an .” ( Jászi , 1982 , S . 558 ) Jászi , der liberale Denker , hat eine „ ehrliche ” Lösung vermisst und suchte da - nach .
Er hatte Recht , in der Tat entstanden keine Nationalstaaten . Wenn die jugoslawische Mehrheit von 81 %, der rumänische 71 % und der tschechoslowakische 64 % von Jászi lediglich das Prädikat „ nur ” erhielt , was sollen wir dann zur 48 % ( -Minderheit ) der Madjaren zur damaligen Zeit sagen ? Wenn wir das ehemalige ( und etwas überschätzte ) 48 % der Madjaren mit den zitierten Anteilen vergleichen , dann schien die neue Lage , egal aus welcher Perspektive wir es betrachten , wesentlich stabiler zu sein . Wie bereits erwähnt muss man auch bezüglich Trianon auch einige Dinge zur Kenntnis nehmen . Man muss davon ausgehen , dass 1914 Ungarn niemand bedrohte . Im Rahmen der Monarchie waren wir es , die die Serben angriffen und den Ersten Weltkrieg auslösten . Laut einer Lagebeurteilung des Kriegsministers der Monarchie hätten wir in diesem Krieg keine Chance gehabt – als österreich-ungarisches Gemeinschaftsunternehmen- , trotzdem lösten wir ihn aus . Weiter : Wir taten es in einem Land , wo die Nationalitäten die Mehrheit stellten . Die Nationalitäten , die die ungarischen Regierungen in den Jahrhunderten vor dem Krieg ohne Ausnahme unterdrückten . Sie verwehrten ihnen das Recht auf Selbstverwaltung , selbst den Gebrauch ihrer eigenen Sprache . Lasst uns konsequent sein , deshalb frage ich : War unser Verfahren gerecht ? Wahrscheinlich nicht . Gesetzesmäßig ? Sicher , denn die Gesetze schuf das herrschende ungarische Parlament . Recht - mäßig ? Ja , denn man hat die vom ungarischen Parlament be - schlossenen – im Übrigen ungerechten – Gesetze durchgesetzt .
Die Trianon-Klagelieder steigern das Chaos in den Köpfen , machen die sowieso nicht wirklich informierte ungarische Öffentlichkeit dumm . Man darf nicht mit den Schultern zucken . Es ist nicht wahr , dass alles , was man hierzulande sagt , „ durchgeht ”. Die Außenwelt beobachtet mit Argusaugen , was wir reden , wenn wir unter uns sind . Wir haben Nachbarn , unter denen Madjaren in der Minderheit leben . Deshalb dürfte man nicht kreuz und quer über Rechte , historische Vergangenheit und tausend Jahre reden . Es ist nicht wirklich klug , die rumänische , serbische , slowakische Mehrheitsbevölkerung gegen ihre madjarischen Minderheitenge - mein schaften aufzubringen . Und auch nicht gegen uns , Ungarn . Seien wir nicht naiv . Für diese Trianon vorwurfsvoll thematisie-
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