Sonntagsblatt 4/2018 | Page 5

Ende Oktober versammelten sich ungarndeutsche Jugendliche aus dem ganzen Land, vor allem aus Budapest und seiner Um- gebung, in Fünfkirchen/Pécs um an der von der LdU organisier- ten Jugendkonferenz teilzunehmen. Dieses Jahr war das vierte Mal, dass diese Veranstaltung stattfand. Jede Konferenz hatte ein bestimmtes Thema wie zum Beispiel die Vorbereitung auf die Parlamentswahlen oder die Jugendstrategie der LdU. Heuer stand die Frage der Motivierung der jüngeren Generation für eine Kandidatur bei den kommenden Nationalitätenselbstverwal- tungswahlen im Mittelpunkt. Am anspruchvollen dreitägigen Programm nahmen zirka 20 Leute teil, mit den verschiedensten Positionen zum Thema. Es kam schnell heraus, dass sich jedes Dorf, jede Stadt in einer ganz anderen Situation befindet, deswegen ist es unmöglich den Stein der Weisen zur Verfügung zu stellen. Ein reales Ziel war aber durch Rollenspiel und Simulationen den Teilnehmern mehr Erfahrung bei der Überzeugung der Wähler zu vermitteln. Und dieser Teil des Programms war sehr erfolgreich. Was ein herausfordernderes Thema war, war die Darstellung der Kandidierungsmöglichkeiten. Es wurde schnell klar, dass es in jedem Komitat ein anderes, oft schwer überschaubares System gibt. Deshalb war es unmöglich einen klaren Überblick zu geben. (Mit der ganzen Vorbereitungsphase der Listenstellung werden wir uns in weiteren Artikeln beschäftigen, wegen der Komplexität des Themas). Zurückblickend kann man sagen, dass diese Konferenz erfolg- reich war, aber es muss noch viel getan werden, um die Jugend- lichen zu einer Beteiligung an der politischen Arbeit des Ungarn- deutschtums zu bewegen. Die JBG war durch Patrik Schwarcz-Kiefer vertreten. Zwischen zwei Welten Sonntagsblatt-Umfrage über das Lebensgefühl ungarndeutscher Auswanderer und EU-Arbeitnehmer Von Richard Guth Die Zahlen reichen von 300.000 bis auf über eine Millionen – ge- meint sind ungarische Staatsbürger, die im Ausland ihr persön- liches und berufliches Glück suchen. Vorübergehend oder für im- mer. Statistiken zufolge sind die Auswanderer in der Regel jung und gut ausgebildet. Hauptziele der EU-Binnenmigranten sind Deutschland, Großbritanien und Österreich. Unter ihnen finden sich auch zahlreiche Ungarndeutsche. Fünf von ihnen hat das Sonntagsblatt bezüglich ihrer Motivation, ihren Erfahrungen, ih- res ungarndeutschen Hintergrunds und der Lage der deutschen Minderheit in Ungarn befragt. Die Namen wurden auf Wunsch der Interviewpartner von der Redaktion geändert. Susanne stammt aus dem Süden von Ungarn und lebt seit 10 Jahren in Deutschland. Sie arbeitet seit einigen Jahren im DaF-Bereich und kümmert sich um die sprachliche Integration von syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen. Für sie ist Ungarn- deutschtum „eine bewusst gewählte Zugehörigkeit zu einer na- tional, politisch und kulturell geprägten Gemeinschaft oder es ist etwas, wo man durch die Einflüsse der Umgebung hineinwächst – vielleicht genetisch bedingt?” Eine Frage, die nach eigenem Bekunden ihr nie zuvor gestellt worden sei. Ihr Kontakt zum Un- garndeutschtum bestehe durch ihre Familie väterlicherseits: „Die „ungarndeutschen” Elemente in meiner Kindheit habe ich nie als solche aufgefasst, sondern eher als Eigenart meiner Familie. Die deutsche Sprache war für mich eine komisch klingende, geheime Sprache, die meine Großeltern und andere Verwandte zu Hau- se benutzt haben – besonders, wo sie nicht wollten, dass wir Kinder was davon verstehen. Ich habe Deutsch erst mit 13 in Bayern gelernt, als ich mit meiner Familie dort ein halbes Jahr verbracht habe. Erst Jahre später, während meines Germanistik- studiums, habe ich mein Interesse für die Sprache entdeckt. Die SoNNTAGSBLATT Geschichte der Ungarndeutschen ist für mich hauptsächlich eine Sammlung aus privaten Geschichten, die in meiner Familie über Familienangehörige erzählt wurden, welche ich als Teil meiner Geschichte und darüber hinaus als Teil eines größeren histori- schen Kontextes zu verstehen gelernt habe.” Mit der Frage der nationalen Identität hätte sie sich erst in Deutschland auseinan- dergesetzt und für sich folgende Antwort gefunden: „Mir ist meine ungarische und deutsche – weniger ungarndeutsche – Identität wichtig.” Kerstin stammt aus Südtransdanubien und ist ebenfalls väter- licherseits deutscher Abstammung. Sie lebt gegenwärtig in Wien und arbeitet im Gesundheitswesen. Ihre Urgroßeltern stammten aus Freiburg im Breisgau, kamen damals als deutsche Siedler nach Ungarn und hätten dort „ein neues Leben und eine neue Existenz aufgebaut.” Kerstin ist ein Trennungskind und ist mit ihrer madjarischen Mutter aufgewachsen, die die Aneignung der deutschen Sprache nicht gefördert hätte. „Erst, als ich mich et- was später wieder mit meinem Papa getroffen habe und wieder Kontakt aufgenommen habe, dann bin ich mit meinem Ungarn- deutschtum konfrontiert worden. Dann habe ich angefangen Deutsch zu lernen, damals war ich schon über 30.” Bei Peter ist die Beziehung zur deutschen Herkunft viel enger und intensiver, „mein Ungarndeutschtum prägt mich sehr”, wie er sagt, stammt er doch sowohl mütterlicher- als auch väterlicher- seits aus einer ungarndeutschen Familie. Er ist in der Nähe von Budapest aufgewachsen, ging später nach München und arbei- tet dort im Marketingbereich. Sebastian ist in Ungarn aufgewachsen und erst „das Studium hat” ihn „nach Deutschland gebracht”. Nach seinem Abschluss habe er wieder etwas Zeit in seinem Heimatland Ungarn gelebt, ehe er dann nach Österreich ging, um dort „einem meiner Aus- bildung einschlägigen Beruf” nachzugehen, wie er sagt. Katharina stammt aus der Nähe von Budapest und ist in einer ungarndeutschen Familie aufgewachsen. Nach eigenem Bekun- den ist ihr „der ungarndeutsche Kulturkreis” sehr wichtig, was ihre aktive Mitgliedschaft in ungarndeutschen Kulturgruppen, die auch heute noch währt, zeigt. Die im Bildungs- und Erziehungs- bereich tätige Katharina lebt seit einigen Jahren in Bayern und auch dort ist sie nach eigenen Angaben im lokalen Kulturleben aktiv. Wie die Identitätsmuster, so sind auch die Motivationshintergrün- de, ins Ausland aufzubrechen, sehr vielfältig. Susanne ist wegen der Arbeit nach Deutschland gegangen. Sie wollte nach eigenem Bekunden eine Änderung in ihrem Leben und hätte sich aus prak- tischen Gründen für Deutschland entschieden. Bei Peter mach- te das „Zurück zu den Wurzeln” den Ausschlag: „Ich habe mich schon immer mit Deutschland und Österreich beschäftigt. Da war es nur eine Frage der Zeit, wann ich den Schritt wage. Natürlich spielten die besseren Verdienstmöglichkeiten auch eine Rolle - aber sie waren nicht ausschlaggebend.” Auch die halbungarn- deutsche Kerstin beschäftigten ähnliche Gedanken: „Ich wollte immer mal nach Deutschland gehen, die Fragen waren innerlich immer da: Woher kommen meine Verwandten, meine Urgroßel- tern? Wie ist es dort, wie sind die Leute?” Über einen deutschen Freund kam sie dann endlich ins Land der Urahnen, konnte aber nur ein Jahr bleiben, weil ihre Arbeitserlaubnis abgelaufen sei, die nicht verlängert worden sei, obwohl sie gerne bleiben woll- te. Österreich soll eher ein Zufall gewesen sein: Durch ihre Ehe mit einem Österreicher sei die Alpenrepublik nun zu ihrem Le- bensmittelpunkt geworden. Auch Katharina gelangte über per- sönliche Kontakte nach Deutschland: Das Volkstanzensemble ihres Heimatortes pflegt enge Kontakte zum Trachtenverein der Partnergemeinde – im Rahmen dieses kulturellen Austausches habe Katharina ihren Freund kennen gelernt. Auf Empfehlung ihres Freundes habe sie Kontakt zur Gemeindeverwaltung auf- genommen, was zur Folge hatte, dass sie nun eine Anstellung hat. Eine Entscheidung mit Fragezeichen: „Ich bin immer noch sehr unsicher, aber letztendlich bin ich auf die Entscheidung ge- kommen, dass eine Berufserfahrung in Deutschland nichts scha- den kann, und wenn es mir nicht mehr gefällt, kann ich immer noch in meinen Heimatort ziehen.” Für Sebastian waren die Be- (Fortsetzung auf Seite 6) 5