Sonntagsblatt 4/2018 | Page 20

SB: Was kann ein Bürgermeister - nicht zuletzt dank der zentralistischen Ausrichtung der ungarischen Politik ohne eigene Mittel – für seine Gemeinde tun? Einen Teil Ihrer Be- mühungen sieht man, aber alles sicherlich nicht. RM: An den Bestrebungen der Regierung ist es abzulesen, dass sie alles zentralisieren will, in welchem System der Mensch dann immer weniger zählt, in dessen Folge die Möglichkeiten, eigen- ständig zu handeln, immer geringer werden. Ich war 15, als ich in die Politik eingestiegen bin. In der Wendezeit hatte ich große Erwartungen. Ich habe mir ein solches Land gewünscht wie Ös- terreich. Heute entfernen wir uns immer mehr von diesem Ideal. Ich bin ein felsenfester Anhänger des Selbstverwaltungssys- tems. Es gab sowohl in der ungarischen als auch der deutschen Geschichte Phasen, in den andere gesagt haben, wen oder was das Volk zu lieben oder mögen hat und wen nicht, oder wen es zu hassen hat. Es wurde deutlich, dass es die falsche Richtung war, der Menschen, Schicksale zum Opfer fielen. Das Gute an der Subsidiarität ist – dazu bekenne ich mich -, dass die kleinste Dorfgemeinschaft oder die autochtonen Basisgemeinschaften die Freiheit haben, zu planen, zu bauen, ihr Schicksal in ihre eigene Hand zu nehmen. Die Stimmungslage eines Volkes kann nicht gut sein, wenn man es im permanenten Angstzustand ver- harren lässt und wenn es die Atmosphäre des Unfrieden und des Hasses umhüllt. Ungarn der vielen Hoffnungen und das Land, das den Eisernen Vorhang abgerissen hat, ist ein solcher Ort geworden. SB: Sie pflegen rege Kontakte zu Nachbarortschaften auf der serbischen und rumänischen Seite – welche Bedeutung hat diese Kooperation aus Ihrer Sicht? RM: Aufgrund unserer geopolitischen Lage (am Dreiländereck gelegen) haben wir zwei Partnergemeinden einige Kilometer von uns entfernt, Altbeba/Beba Veche in Rumänien und Rabe in Ser- bien, in der Vojvodina. In Richtung Rabe wird in Kürze ein Grenz- übergang errichtet, aus EU-Geldern in Höhe von 5 Millionen Euro, in Richtung Rumänien lässt eine Eröffnung – bereits seit einiger Zeit geplant – auf sich warten. Seit 1997 veranstalten wir im Geiste der europäischen Zusammenarbeit jedes Jahr am letz- ten Maiwochenende ein Dorf- und Grenzeröffnungsfest, dessen Besonderheit heutzutage ist, dass sich unsere Regierung immer mehr gegen die Kooperation und die europäische Partnerschaft sperrt. In gewisser Hinsicht als Anhänger des Atlantischen Bünd- nisses sehe ich in der deutschen Orientierung die Möglichkeit der Fortentwicklung, deshalb erlebe ich die Neuorientierung Un- garns in Richtung autoritärer Regime schmerzhaft. es wohl, dass ich selbst so nicht imstande bin, vor meinem Herrn zu stehen, deswegen brauche auch ich die göttliche Gnade, Er- barmung, für die ich tagtäglich niederknie. Mit dem Gemeinderat arbeiten wir in diesem Sinne. Wir betrachten unseren Auftrag als ein Dienst, nicht als irgendwelches unveräußerliches feudales Privileg. Diese politische „Philosophie” trägt sicherlich fassbare und sichtbare Früchte im Ort, weswegen auf Kübeckhausen in der Tat viele als Musterdorf blicken. Für uns ist diese Sichtweise völlig selbstverständlich, und ich bete dafür, dass auch in Ungarn die Zeiten hereinbrechen, in den die zentrale Anliegen der Regie- rung nicht die Aneignung der politischen Macht und die Klientel- politik sein werden, sondern der Dienst an der Allgemeinheit und der Gesamtgesellschaft. In einer Gesellschaft, die jegliche Hoff- nung verloren hat, wird man nur so eine neue Zukunft planen und bauen können. Meine persönliche Erfahrung ist, dass das, was im Kleinen funktioniert, auch im Großen funktionieren würde. SB: Herr Bürgemeister, vielen Dank für das Gespräch! RM: Ich danke Ihnen für die Möglichkeit, ich habe mich ge- ehrt gefühlt. Das Gespräch geht langsam zu Ende, und der Reisende nimmt Abschied vom südlichsten deutschen Dorf in Ungarn, mit der Er- kenntnis, dass auch dieser Besuchstag an Erkenntnissen und Einblicken reich war. Ansichten - Einsichten s Interview mit dem ungarndeutschen Parlamentsabgeordneten Emmerich Ritter Leider ist ein Interviewtermin mit dem deutschen Abgeordneten Emmerich Ritter in den vergangenen Monaten nicht zustandege- kommen. Da das SB aber gerne auch Herrn Ritters Standpunkt bezüglich der Lage der deutschen Minderheit in Ungarn vorstel- len möchte, übernehmen wir das Interview, das auf zentrum.hu erschienen ist. SB: Kann man sagen, dass Kübeckhausen ein Musterdorf ist? RM: Als evangelikaler Christ und geistiger Führer lautet mein biblischer Leitspruch, „alle eure Dinge lasset in der Liebe ge- schehen”, d. h. all meine Tätigkeit soll erfüllt sein vom liebevollen Bauen, dem Vor-Auge-Halten der Interessen der Gemeinschaft und der Liebe ohne Vorurteile, so dass die Motivation, das Herz und die Hand sauber bleiben, d. h. dass es beispielsweise keine Korruption gibt. Der Spießrutenlauf einer Gesellschaft, einer Ge- meinschaft, einer Gruppe beginnt immer dann, wenn das gute Ansinnen Schaden nimmt, d. h. wenn egoistische Einzelinteres- sen die erklärten guten Ziele überschreiben. Ich selbst beschäf- tige mich nicht damit, was mit mir passiert oder was für mich gut ist, sondern damit, dass ich mich, solange ich hier als Bürger- meister diene, als Verwalter betätige. Der Verwalter muss wis- sen, dass ihm nichts gehört, sondern dass er lediglich Verwalter der ihm anvertrauten Güter ist, nicht für immer, sondern auf Zeit. Ein solcher Auftrag ist die Kanzlerschaft von Angela Merkel oder ebenso die Ministerpräsidentschaft von Viktor Orbán. Auch dann, wenn es ihnen gar nicht bewusst ist. Und ein solcher Auftrag ist auch mein Dorfbürgermeisteramt, das ich so bekleiden will, so- lange es möglich ist, dass ich weiß: Eines Tages werde ich vor dem Herrn auch Rechenschaft ablegen müssen über die mir an- vertrauten Talente, Menschen und alle anderen Dinge. Ich weiß 20 Nach vier Jahren Dienst als Parlamentssprecher setzt sich Em- merich Ritter seit den Parlamentswahlen 2018 als Abgeordneter für die Interessen der Ungarndeutschen ein. Sein Mandat erhielt er als Spitzenkandidat der Landesliste der Landesselbstverwal- tung der Ungarndeutschen. Wir unterhielten uns mit ihm über Herkunft, Familie, Hobby und Arbeit. Über die Kindheit “Geboren wurde ich in Wudersch, in einer fast rein ungarn- deutschen Gemeinde, wo viele – so auch zum Beispiel meine Großeltern – nicht einmal ungarisch konnten, aber dies hatten SoNNTAGSBLATT