Sonntagsblatt 4/2016 | Page 4

nicht bekannt . Es ist nicht genau zu beziffern , auf wieviel staatliche Unterstützung bei der Übertragung der Trägerschaft die Stadt verzichten müsste . Wir müssen es auch in Betracht ziehen , dass die Finanzierungszusage immer für ein Jahr gilt , wohingegen die Nutzungsvereinbarung für 10 Jahre geschlossen wird , was Risiken birgt . Es gibt keine Garantien dafür , dass die besondere finanzielle Ausstattung der Institutionen in der Trägerschaft der Natio - nalitätenselbstverwaltungen durch den Staat auch längerfristig auf dem gleichen Niveau bleibt . Sollte der staatliche Zuschuss sinken , müsste laut dem Beschluss 137 / 2015 vom 28.11.2015 der Lan - desselbstverwaltung der Ungarndeutschen ( LdU ) die Stadt die Finanzierungslücke schließen . Eine entsprechende Verpflich - tungserklärung würde für die städtische Selbstverwaltung eine Verpflichtung in unbekannter Höhe sowie Risiken bedeuten .
Über die Fragen der Finanzierung hinaus stellen sich im Zusammenhang mit der Übergabe der Trägerschaft ganz gewaltige Fragen fachlicher Natur : Ändert sich das Pädagogische Programm , und wenn ja , inwiefern ändern sich Unterrichtsver - teilung , Einzugsgebiet , Aufnahmemodalitäten , Zusammenset - zung der Lehrerschaft usw .? Da die DNSVW Werischwar keinerlei schriftliches Konzept über ihre Vorstellungen vorlegte , so sind uns lediglich bruchstückhafte , mündliche Antworten bekannt oder auch gar keine . Wir wissen beispielsweise nicht , nach welchem Prinzip bei Überanmeldung die Schüler ausgewählt werden . Wir wissen nicht , nach welchem Kriterium bestimmt werden sollte , wer zur deutschen Nationalität gehört usw . Die vielen unbeantworteten Fragen erhöhen das Risiko bei einer Entscheidung .
Die Übertragung der Trägerschaft wirft ferner Eigentumsfragen auf . Gemäß dem Gesetz über die Rechte der Nationalitäten muss man bei der Übertragung der Trägerschaft zwecks Erfüllung der Aufgaben durch die Institution das Inventar- und Immobi - lienvermögen in Nutzung des neuen Trägers geben . Laut Gesetz ist die Übergabe kostenfrei , die Nutzungsdauer darf nicht kürzer als zehn Jahre sein , und bezüglich der Nutzung muss eine Verein - barung getroffen werden . Soweit klar . Es kann aber passieren , dass in einigen Jahren die DNSVW Werischwar – aus welchem Grund auch immer – nicht in der Lage sein wird , die Träger schafts - aufgaben der Schule am Marktplatz zu erfüllen ( weil z . B . der Zuschuss sinkt , neue Rechtsvorschriften eingeführt werden usw .). In diesem Falle werde die Trägerschaft nicht auf den Staat übertragen , sondern auf die LdU , und sie könnte darüber befinden , ob sie anstelle der DNSVW Werischwar die Trägerschaft übernehmen möchte oder ob sie diese an den Staat abgeben möchte ( die Teilträgerschaft der Gebäudeerhaltung würde – gemäß der gegenwärtigen Rechtslage – auf die Stadt übertragen werden ). Sollte sich die LdU dafür entscheiden , auf die Träger schaft nicht zu verzichten , hätte sie gemäß Gesetz die Möglichkeit das Eigentumsrecht des Schulgebäudes am Marktplatz für sich zu beanspruchen . In diesem Falle würde die Stadt Werischwar eine der wertvollsten und auch symbolisch unersetzlichen Immobilien im Stadtzentrum , das Gebäude der Schule am Marktplatz , verlieren .
Der vierte Gesichtspunkt , den wir abwägen mussten , waren die Auswirkungen des Trägerschaftswechsels auf die städtische Bildungslandschaft . Eines möchte ich hervorheben : Sollte die Schu le am Marktplatz wegen der besseren finanziellen Aus - stattung aufgrund der Nationalitätenquote besser dastehen als die Schule am Kirchplatz ( die in der Trägerschaft des Schul - trägerschaftszentrums Klebelsberg steht ), darum geht es bei den Versprechen , dann würden in unserer Stadt ungewollt eine „ reiche Schule ” ( am Markplatz ) und eine „ arme Schule ” ( am Kirchplatz ) entstehen . Die Anziehungskraft der reichen Schule am Markt - platz würde steigen , und so würde eine Situation der Überanmeldung entstehen . Die Überanmeldung würde eine Auswahl - möglichkeit bedeuten , was für die Schule am Marktplatz positive , für die Schule am Kirchplatz negative Folgen hätte . Eine solche Entwicklung würde nicht nur in der Bildungslandschaft große Schäden verursachen , sondern im gesamten öffentlichen Leben unserer Stadt .
Neben den oben Erwähnten mussten wir auch externe Faktoren in Betracht ziehen . Das ungarische Bildungswesen befindet sich seit Jahren im Zustand ständigen Umbaus , und auch gegenwärtig vollziehen sich radikale Veränderungen ( das Schulträgerschafts - zent rum Klebelsberg wird aufgelöst , das System der Trägerschaft ändert sich , ein neues Curriculum wird eingeführt ). Die Unbe - rechenbarkeit des Umbauprozesses bedeutet besonders hohes Risiko , weil es nicht absehbar ist , wie die Systemveränderungen das Umfeld verändern werden , in dem die Schule am Marktplatz in den nächsten Jahren bestehen muss . Wir wissen zum Teil nicht , welche Schülerbewegungen sich in der Stadt und von außerhalb in Richtung Werischwar einsetzen werden . Die Stadtverordnetenversammlung hat auch die gegenwärtige Situation – über die Risiken rund um den Trägerschaftswechsel hinaus – analysiert und ist zum Schluss gekommen , dass gegenwärtig in Werischwar alle Voraussetzungen bestehen , dass die deutsche Nationalität ihre Identität lebt und bewahrt , ihre Sprache , Kultur und Identität weitergibt . Beide Grundschulen der Stadt sind als staatliche Schulen deutsche Nationalitäten - grundschulen , in den Schulen sind alle Voraussetzungen finanziellen , personeller und sachlicher Natur gegeben , um einen an - spruchsvollen deutschen Nationalitätenunterricht durchzuführen . – Was wäre für Sie hinsichtlich des örtlichen Schulsystems wünschens - wert ? – Für mich ist es am wichtigsten , dass jedem Werischwarer Kind gleiche Chancen und gleiche Bedingungen personeller und sachlicher Natur zuteil werden . Ich halte es für das Beste , wenn sich Kinder schwäbischer und nichtschwäbischer Herkunft nicht ab - sondern , sondern beide Grundschulen von Kindern deutscher und nichtdeutscher Herkunft , aus ärmeren und reicheren , aus gebildeteren und weniger gebildeteren Familien usw . besucht werden . Ich denke , ein solches Schulsystem dient der Einheit der Bevöl - kerung der Stadt , dem gegenseitigen Respekt und der wechselseitigen Zusammenarbeit am besten . – Wie sehen Sie persönlich die sprachliche , kulturelle und identitätsbezogene Zukunft der Deutschen in Ungarn ? – Ich kann lediglich über das Deutschtum in Werischwar berichten , denn nur hinsichtlich dieser verfüge ich über relativ umfangreiche Kenntnisse . Das Werischwarer Schwabentum ist eine solche Gemeinschaft , die seit 327 Jahren in madjarischem Umfeld lebt , und die seit 327 Jahren ihre Sprache , Kultur und Identität bewahrt hat . Diese Gemeinschaft hat jedoch bereits den Sprachwechsel vollzogen , ihre Mitglieder sind bereits ungarischer Muttersprache , die zwar an den kulturellen und religiösen Tradi - tionen ihrer Ahnen festhalten , diese pflegen , aber die peu a peu und unweigerlich in der ungarischen / madjarischen Gesellschaft aufgehen werden . Das zeigen auch die Ergebnisse der Volks - zählungen und der Wahlregistrierung : Bis zur Eröffnung des Kohlebergwerks im Jahre 1903 war die Bevölkerung von Werisch - war fast ausschließlich deutsch . Laut der Volkszählung von 1910 war nur noch 76,51 % der Bevölkerung deutsch , 2011 bekannten sich nur 28 % zur deutschen Nationalität . Wir wissen , dass wir Schwaben viel mehr sind ( etwa 50 % der Bevölkerung ), aber die Zahlen sagen dennoch viel aus .
Trotzdem denke ich , dass die Werischwarer Schwaben noch sehr lange , über Generationen hinweg ihre Identität bewahren werden . Diese Gemeinschaft ist stolz auf ihre Herkunft , auf die Sprache ihrer Ahnen , auf ihre Kultur und Geschichte , und pflegt mit Sorg - falt ihre Traditionen . Der lokale Dialekt wird in Kürze vollständig aussterben , aber viele sprechen deutsch , es gibt viele , die regelmä-
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