Sonntagsblatt 4/2016 | Page 2

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Quo vadis ?

Veränderungen und Status quo in der Werischwarer Schul land schaft / ungarndeutsches Bildungssystem am Scheideweg ? Von Richard Guth
Ganz unerwartet kam die Entscheidung Ende April nicht : Es brodelte bereits seit Jahren unter der Oberfläche . Ab dem kommenden Schuljahr wird an der Werischwarer Deutschen Nationalitä - tengrundschule am Kirchplatz Englisch als erste Fremdsprache in einer der ersten Grundschulklassen eingeführt . Deutsch werden diese Schüler erst ab der fünften Klasse und lediglich in zwei Wochenstunden lernen . Somit endet ein Modell , eingeführt in der Wendezeit , wonach jeder Schüler an den beiden Werischwarer Schulen die deutsche Sprache von der ersten Grundschulklasse an als so genannte Nationalitätensprache ( er ) lernt . Einen bedauerlichen Vorfall nennt es Bürgermeister Stefan Gromon , mit dem diese Zeitung ein Interview führte ( siehe im Anschluss an diesen Artikel ), und spricht von der „ Auflösung ” der lokalen Schul - struktur der letzten Jahrzehnte .
Die Profilerweiterung gehe auf eine Initiative der Eltern zurück , die Schule selbst begreife die Einführung von Englisch in der ersten Klasse als eine Profilerweiterung , sie rechne mit dem Bestehen von drei Schulformen in der Zukunft ( sprachunterrichtender deut scher Nationalitätenklassenzug , zweisprachiger Klassenzug , Klassenzug mit Englisch als erste Fremdsprache ), so Éva Kalmár-Breier , Schul - leiterin der Deutschen Nationalitätengrundschule am Kirchplatz . So entstünde nach Worten von Kalmár-Breier eine Wahlmög lich - keit für die Eltern der Grundschulkinder , denn das deutsch – ungarische zweisprachige Angebot bestünde weiter ( mit einer Klassen - stärke von gegenwärtig 16 – 32 Schülern ). Zumal We risch war aufgrund der Nähe zu Budapest bereits viele Neuzuge zogene aufgenommen habe , ein Siebtel der Schüler kommen nach Angaben der Direktorin aus anderen Ortschaften . Englisch befinde sich allgemein auf dem Vormarsch , die Unterschriften sammlung für Englisch ab der ersten Klasse hätten sogar We rischwarer schwäbische Familien unterstützt . Diese Entwicklung stellte die Deutsche Nationalitätenselbstverwaltung ( DNSVW ) vor eine schwere Entscheidung . Sie entschied sich Ende April gegen die Errichtung einer „ Englischklasse ”, denn diese würde den Interessen der deutschen Minderheit in Werischwar entgegensprechen , und sprach sich dafür aus , „ neben der deutschen Muttersprache ” ab der vierten oder fünften Klasse eine Fremdsprache anzubieten . Obwohl die DNSVW die Gefahren der Einführung offen ansprach , konnte sie die Einführung einer Englischklasse nicht verhindern . Stefan Gromon , als Vertreter des Schulträgers , spricht im SB-Interview von einer schwierigen Entscheidung , die sie durch sorgfältiges Abwägen zwischen Ein zelinteressen und den Interessen der Stadt und der Gemeinschaft getroffen hätten .
Eine genauso wichtige Entscheidung fällte die Stadtverordne - tenversammlung in der Frage der Übernahme der anderen Grundschule der Stadt , der Deutschen Nationalitätengrundschule am Marktplatz , durch die DNSVW Werischwar . Das Gremium entschied sich gegen eine Übertragung der Trägerschaftsrechte , und begründete seine Entscheidung mit wirtschaftlichen , pädagogischen , verwaltungs- und eigentumsrechtlichen Unsicherheiten sowie mit weitreichenden Folgen für die Schullandschaft in Werischwar . Bürgermeister Stefan Gromon sieht keine hinreichenden Sicherheiten finanzieller und eigentumsrechtlicher Natur , vermisst klare Aussagen zu verwaltungstechnischen und pädagogischen Fragen und befürchtet eine Übertragung des
Eigentums an die Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen . Durch die Unterschiede bei der finanziellen Ausstattung beider Schulen gegenwärtig bestünde die Gefahr , dass eine „ reiche ” ( Marktplatz ) und eine „ arme ” ( Kirchplatz ) Schule entstünde , mit weitreichenden Folgen für die Stadt . Gromon ist davon überzeugt , dass „ alle Voraussetzungen finanzieller , personeller und sachlicher Natur gegeben ” seien , „ um einen anspruchsvollen deutschen Nationalitätenunterricht ( an den beiden staatlichen Schulen , R . G .) durchzuführen .”
Die Deutsche Nationalitätenselbstverwaltung Werischwar räumt bezüglich der Höhe des staatlichen Zuschusses zwar ein , nicht in die Zukunft sehen zu können , aber zeigt sich fest entschlossen , diese Mittel für die Schule aufzuwenden , was der vorgelegte Haushaltsentwurf auch zeigen würde . Das Beispiel anderer Kommunen zeige , dass man dort gewillt sei , das „ Risiko ” einzugehen um den Nationalitätenunterricht weiterzuentwickeln . Die Übernahme der Grundschule am Marktplatz würde zudem die Fortführung des Nationalitätenunterrichts auf dem gegenwärtigen Niveau dort sicherstellen . Die Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen ( LdU ), so DNSVW-Abgeordnete Ibolya Sax , die die Stellungnahme auf der Sitzung vortrug , beabsichtige eine Übernahme von Grundschulen nicht , eine Übertragung der Eigen tumsrechte bedürfte ohnehin der Zustimmung des Eigen - tümers , in diesem Falle der Stadt Werischwar . Das Beispiel des Schiller-Gymnasiums zeige gerade den Erfolg der Übernahme durch die LdU , denn bei einem Status quo gäbe es womöglich keinen deutschen Nationalitätenunterricht mehr an der einzigen weiterführenden Schule der Stadt . Das Plus an Zuschuss würde in der Tat zu mehr Wettbewerb führen , aber das begreift die DNSVW eher als Chance und nicht als Gefahr : Denn die Mehreinnahmen würden der Gemeinschaft zugutekommen .
Auf die Einführung von Englisch am Kirchplatz kommend betont die Stellungnahme der DNSVW , dass eine Überanmeldung an der Schule am Marktplatz geradezu ideal wäre , denn so würden diejenige Eltern ihre Kinder auf diese Schule schicken , die sich mit dem Deutschtum verbunden fühlten , und nicht diejenige ( in Anspielung auf Vorwürfe ), denen man den deutschen Nationalitätenunterricht aufzwängen würde . Durch diese Veränderungen wäre eine Neukonszipierung der Schullandschaft nötig , denn durch die Einführung von Englisch an der Schule am Kirchplatz würden sich die Schulen unterscheiden . So würde das Angebot insgesamt bunter , was nicht verkehrt sei . Problematisch sei es nur , wenn die eine Schule Möglichkeiten bekäme , die andere hingegen nicht , ergänzte DNSVW-Vorsitzender Ladislaus Sax in der Sitzung .
Die Diskussionen um Übernahme und Nichtübernahme , Profilerweiterungen und Profilwechsel zeigen eines : Das „ Modell Nationalitätenunterricht ” steht am Scheideweg . Es bedarf Konzepte , wie man Tradition und Moderne in Einklang bringt . Denn das zarte Pflänzchen der Schulautonomie ( in einigen Orten bereits Realität ) kann sehr schnell absterben .
Richard Guth stellt Fragen

Interview mit Bürgermeister Stefan Gromon – Werischwar

– Herr Bürgermeister , ab dem nächsten Schuljahr wird an der Schule am Kirchplatz Englisch als erste Fremdsprache in einer ersten Klasse eingeführt . Laut Teilnehmern der Sitzung der Stadtverordneten ver - sammlung war die Entscheidungsfindung nicht leicht . Warum wurde am Ende der Sitzung die Entscheidung dennoch einstimmig gefasst ?
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