Sonntagsblatt 4/2015 | Page 4

Deutschland finanziert anteilig mit 1,4 Mio . den Neubau der Grundschule und der Mensa . Die Bauten sollen bis Ende 2016 auf dem Gelände der Schule errichtet werden . Mit dem Goethe Institut Budapest schloss die Deutsche Schule eine Vereinbarung über die Sicherung der Unterrichtsqualität im Fach Deutsch im ungarischen Zweig der Grundschule .
Quelle : Deutsche Botschaft Budapest
Rückschau – in Fortsetzungen
DER VERWEIGERTE UNTERRICHT IN DER MUTTERSPRACHE –

DIE UNTERDRÜCKUNG UNSERER DEUTSCHEN KULTUR IN UNGARN

Reminiszenzen eines in Weindorf bei Budapest geborenen und aufgewachsenen Donauschwaben 1 – 2 . Teil Cornelius Mayer
Ich will die weiteren Gesetzesinitiativen zur Verbesserung des Deutschunterrichtes in den Schulen während und nach der Räte - republik nicht mehr verfolgen , weil diese für meine Generation in Weindorf kaum zur Geltung kamen . Von Interesse für unsere weiteren Betrachtungen ist allerdings noch die Verordnung des Kultusministers Kuno Graf Klebelsberg vom 24 . August 1923 . Danach sollte es in Ungarn für die Nationalitäten drei Volks - schultypen geben . Typ A : Schulen der jeweiligen Nationalitäten - sprache mit Ungarisch als Pflichtfach 2 ; Typ B : Schulen gemischter Unterrichtssprache ; Typ C : Ungarisch lehrende Schulen mit der jeweiligen Nationalitätensprache als Pflichtfach . Diesen Schultyp besuchten wir in Weindorf . Im Allgemeinen tendierten die Führer der Nationalitäten auf Umwandlung der Schulen vom Typ C in Typ B oder gar in Typ A . Dieses Ziel verfolgte der für uns Donau - schwaben unvergessliche Jakob Bleyer 3 . Zwar wurde die politische Stellung der Nationalitäten durch die Rückgliederung von Gebieten an Ungarn in den Jahren 1938-1941 aufgewertet , was eine Lockerung bei der Handhabung der Schulgesetze in den rein deutschsprachigen Gegenden des Landes wie in der Bácska mit sich brachte , aber in Weindorf , nahe der Hauptstadt , machte sich davon so gut wie nichts bemerkbar .
Ich komme nun zu dem angekündigten brisanteren Teil meines Referates , der Darstellung des kulturpolitischen Lebens in Wein - dorf – freilich unter dem verengten Gesichtspunkt meines The - mas . Zur Entlastung unserer Vorfahren in der Gemeinde will ich zunächst an das Körnchen Wahrheit erinnern , das nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Gesellschaftssystems vom Marxismus übrig geblieben ist . Schon in der Antike fassten einzelne Philosophen die von Karl Marx dann im vergangenen Jahrhundert auch wissenschaftlich genannte These von der materiellen Basis aller Kultur und Zivilisation in dem Satz zusammen : Primum vivere , deinde philosophari – zuerst gelte es , das Leben ( materiell ) zu sichern , dann erst könne man sich den Dingen des Geistes , der Wissenschaft , der Kunst und den höheren Be dürf - nissen des Lebens widmen . Im Blick auf unser Thema heißt dies : Die Kapitalisierung der Wirtschaft , beginnend im letzten Drittel des 19 . Jahrhunderts und fortdauernd bis zur Vertreibung veränderte das Sprachverhalten unserer Vorfahren . Um mit den durch die industrielle Revolution bedingten Veränderungen der Lebens - sicherung – zumal in der unmittelbaren Umgebung der Haupt -
stadt – mithalten zu können , wurde der Erwerb ungarischer Sprachkenntnisse unerlässlich . „ Das Magyarische ”, so charakterisiert unser Landsmann Wendelin Hambuch 3 die allgemeine Lage der Ungarndeutschen zwischen 1920 – 1945 , „ galt schlechthin als die Sprache der Gebildeten , als die staatliche Hochsprache , deren Be - herrschung für den sozialen Aufstieg unumgänglich notwendig war ” 5 . Dieser wirtschaftliche Druck zum Erlernen des Ungari schen – zahlreiche Familien gaben ihre Kinder in den Dienst rein ungarische Gegenden – wurde politisch unterstützt durch das großangelegte Assimilations-programm der Regierung . Nicht selten machten staatliche Betriebe wie z . B . die Gasfabrik in die Madja - risierung des deutschen Namens zur Bedingung der Einstellung . Mancher Landsmann wird mit sich gerungen haben , ob er seinen seit Generationen vererbten deutschen Namen , sozusagen das Aus hängeschild seiner nationalen Identität , preisgeben solle oder nicht . Bekanntlich tut der Hunger weh . Hinzu kam die Welt - wirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre , die noch während der dreißiger Jahre wie ein Damoklesschwert über dem Nacken der in der Umgebung von Budapest pendelnden donauschwäbischen Fabrikarbeiter hing .
Neben diesem wirtschaftlichen Druck trugen die Dorfpoten - taten viel zur gesellschaftlichen und politischen Unmündigkeit der Bewohner unserer Gemeinde bei . Unter Dorfpotentaten – das Wort kommt vom lateinischen ‘ potestas ’ mit der Bedeutung Gewalt , Amtsbefugnis – zählten dem Gesetz nach der Richter (= Bürgermeister ), der Vizerichter , die Geschworenen und die Virilisten 6 (= die wohlhabenderen Bürger der Gemeinde ). In der Praxis hatten sie jedoch allesamt wenig zu sagen . Die wirklichen Potentaten in Weindorf waren der Obernotar , die beiden Schul - leiter der katholischen Knaben- und der staatlichen Mädchen - schule , der Arzt , der Pfarrer und der Kantor , der in der Regel auch Schulmeister war – im Dorf sprach man kennzeichnenderweise von der ‘ elôkelôség ’, dem Snob . Die Genannten beherrschten die ungarische Sprache und damit auch die Gemeinde . Dank ihrer Kompetenz , in der Staatssprache reden und schreiben zu kön nen , besaßen sie gegenüber den nur den Dialekt beherrschenden , das Ungarische meist nur kümmerlich sprechenden Dorf - bewohnern , einen ungeheuren Vorteil . Sie , allem voran der Ober - notar , verstanden die in Amtsungarisch erlassenen Verordnungen der Gespane ( ispán ), die häufig genug die vom Parlament verabschiedeten Nationalitätengesetze zu hintertreiben zum Ziele hatten 7 . Die Notare legten die Verordnungen meist repressiv aus und übten auf diese Weise ihre Herrschaft aus . In den dreißiger Jahren war ich selbst einmal Zeuge der Unmündigkeit der politischen Führung unserer Gemeinde . Ich beobachtete , mit welch unterwürfiger Haltung der Richter das Gemeindehaus betrat , in dem die Notare ihre Arbeit eigentlich unter seiner Leitung zu verrichten gehabt hätten . Mit der gleichen Unterwürfigkeit begegneten so gut wie alle Dorfbewohner nicht nur dem Notar , sondern der gesamten ungarisch sprechenden ‘ Oberschicht ’. Bei nationalen Feiertagen wie am 15 . März und am 6 . Oktober hielt nicht der Richter , sondern der Notar oder der Direktor der staatlichen Mädchenschule die Festrede . Und da der einstige Konflikt mit Ös terreich , der Freiheitskampf Ungarns ( 1848 – 49 ), im Mittel - punkt der historischen Betrachtung jener Festreden zu stehen hatte , erschöpfte sich deren Thema in der Regel im Aufruf zu geflissentlichen Kundgaben patriotischer Gesinnung ( hazafiasság ). Mitte der dreißiger Jahre , so erinnere ich mich noch , wurden während der langen Wintermonate mit Hilfe eines Diaprojektors ( damals ein Wunder der Technik im Unterricht ) die im Dorf außergewöhnlich beliebten Volksbildungsabende ( népmûvelési es ték ) veranstaltet . Die Regierung versuchte auf diese Weise , die ungarische Sprache und die ungarische Kultur auch außerhalb des schulischen Unterrichtes systematisch zu propagieren .
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