Sonntagsblatt 3/2018 | Page 27

zum Begriff Deutsch nicht ganz ungetrübt . Wer etwas in dieser Branche zu tun geneigt war , konnte sehr leicht das Attribut „ faschistisch ” an den Hals gehängt bekommen . János Juhász , nicht in jeder Hinsicht korrekter Koryphäe der deutschen beschreibenden Grammatik , hat einmal gesagt : „ Sie sind nun Germanistenpflänzlinge . Als Sie dieses Fach gewählt hatten , nahmen Sie eine Last auf ihre Schultern . Wer in diesem Bereich tätig ist , lässt sich – mehr oder weniger – auch ein Brandmal aufdrücken . Und selbst ich bin da vielleicht keine Ausnahme .” Diese Offenbarung konnte man nicht ernst genug nehmen : Professor Juhász war nämlich ein Holocaust-Überlebender .
Weit über die Leiden eines heute schon vergreisten Assimilierten hinaus boten sich aber in diesen Jahren auch sehr erquickende Erlebnisse an , eine ganz großartige Welt eröffnete sich vor den Augen der Germanistenzöglinge in der gedämpften Atmosphäre des Kommunismus . Im Eötvös-Collegium , wo ich untergebracht war , hielt Karl Manherz im ersten Jahr ein Thomas-Mann-Seminar . Kaum älter als wir , wusste er doch viel mehr als wir insgesamt . Ein Semester hindurch analysierten wir die Novelle Tonio Kröger , wodurch wir einen Anschub für die weiteren kulturellen Studien erhielten . Studien der diplomatischen Geschichte der Österreichisch – Ungarischen Monarchie bei István Diószegi – ohne Deutschkenntnisse wäre es absolut unmöglich gewesen . Und Jena , die Friedrich-Schiller-Universität . Fußball an der Saale und bei der „ Muskelkirche ” ( Institut für Körperkultur ) mit den Deutschen , Georgiern , Tschechen , Klassiker , Landeskunde , Brecht-Seminar des Professors Hammer , Geldverdienen mit Nachtarbeit in der Bäckerei von Zwätzen , na und nicht zuletzt die Mädchen im Studentenquartier in Neu-Lobeda . Hauptsächlich „ Eine Bestimmte ”.
Aber die schönen Tage in Aranjuez waren 1973 zu Ende . Nach dem Abschluss haben wir mit meinem Freund Laci Specker – ein Sprößling des „ Koppánytales , der Vater ist in Karau / Kára geboren ” – einen Kontakt mit einer Berliner Fußballmannschaft ( Old-Boys-Sektion der VEB Steremat , nach der Wende Treptow ’ 46 ) hergestellt . In den geraden Jahren ein Spiel in Berlin , in den ungeraden ein Treffen in Kötcse mit uns , mit den Old Boys EVSC Kötcse . Der Kontakt hat 25 Jahre (!) erlebt . Guinness-Rekord , absolut . Nach 1996 begannen wir in Kötcse die vorbereitenden Forschungen zur Dorfmonographie . Schöne Wochen im Landesarchiv Darmstadt , schöne Jahre später im Rahmen der Partnerschaftsbeziehungen mit dem hessischen Ramholz , Sterbfritz , Vollmerz und Weichersbach im Sinntal , wo meine Ahnen ( ein gewisser Heinrich Adam Tefner / Täffner / Deffener usw .) ansässig waren , und wo sie um 1730 weggingen um eine neue Heimat zu suchen . Das alles war eine Folge des Zufalls oder meines Verhängnisses , nachdem ich den Weg der deutschsprachigen Zivilisation betreten hatte .
Aber am meisten fühle ich mich mit der deutschen Sprache und Zivilisation verbunden , wenn ich an die zahlreichen literarischen Geschichten und Storys denke , geschweige denn meine nun etwa 55 selbstständigen Publikationen in der Geschichte , die ohne die Verwendung der deutschen Sprache nicht zu Stande hätten kommen können . Das Private vermischt sich manchmal mit dem Wissenschaftlichen . Zeitgeist , nationaler Charakter , Volksseele etc . betrachte ich heute noch nicht als verkrustete , ihre Aktualität verlorene sozialwissenschaftliche Mastodonten . So war es der Fall vor allem mit der Kötcse-Monographie : Eine Menge der Zitate entstammen dem Munde der Augenzeugen der letzten Zeit , und sie bezeugen die in Kötcse zirkulierenden Legenden . In der Oral History kommen mikrohistorische Kleinigkeiten sowie allgemeingültige Belehrungen zum Vorschein . Nicht selten in philosophische Tiefen hineingedrungen .
Kein Geheimnis , dass ich seit 1991 ein Gästehaus in Kötcse manage . Spaßhaft nenne ich mich einen „ Hoteldirektor ”. 1990 , nach dem Tode meiner Großeltern , musste ich mit jenem alten adeligen Wohnhaus in Kötcse – damals ziemlich abgenutzt – etwas anfangen . Nach der Modernisierung im Frühling 1991 habe ich
SoNNTAGSBLATT in dieser historisch namhaft gewordenen „ kúria ” bis heute etwa 200 Gäste aufgenommen . Geblättert in den vergilbten Seiten des Gästebuches stoße ich häufig auf deutsche Namen . Einst freundschaftliche Beziehungen , heute schon tote Relationen grüßen in den Blättern zurück . Aber die Storys , die ehemals erzählt worden waren , sind immer noch lebendig . Ein Buch von 300 Seiten könnte man mit diesen für die deutsche Zivilisation , das deutsche Leben , die deutsche Politik relevanten Geschichten füllen . Zum Schluss nur etwas , einen Beitrag , die Perle aller Storys , für die zukünftigen Historiker , die in den Fragen des Zweiten Weltkrieges zu untertauchen berufen sind .
Rastenburg , Wolfschanze in Ostpreußen im Königsberger Kreis . Heute wird Kętrzyn geheißen . Eine kleine , schläfrige Stadt . Und tief im Walde der Hitlerbunker , einst Hauptquartier der Ostfront . Erwähnt man Bunker oder Hauptquartier , assoziiert man in der Regel auf Sowjetfresser-Generäle , Nazi-Würdenträger höchsten Ranges , bis an die Zähne bewaffnete Kämpfer . In der Wirklichkeit funktioniert ein Hauptquartier teilweise so , wie alle normalen Institutionen oder Betriebe in Friedenszeiten . Es lässt sich da Köche , Kellner , Gasinstallateure , Autoschlosser , sogar Waschfrauen anstellen . Man steht morgen in der Früh in der Stadt Rastenburg auf , zieht die Werkkleidung an , nimmt das Fahrrad , und um 8 ist er / sie schon in der Arbeit . Der Opa eines meiner Gäste – 1944 schon ein ältlicher Herr weit über die Militärpflicht – war im Hauptquartier in der Wolfsschanze als Kunstmöbeltischler beschäftigt . Letztendlich ging es da auch um die Ästhetik , da die sehr oft da weilende Oberschicht auch so einen Anspruch gegenüber der Möblierung erhoben hatte . Und Herr Plankendorff , Stabsfeldwebel in dem Großen Krieg 1914 – 1918 außer Dienst , diesmal schon nur ein Zivilangestellter , hat den Auftrag bekommen , einen langen , großen Tisch zu erzeugen . Ein absolut normaler Auftrag . Herr Plankendorff nahm seinen Nuthobel , Rundhobel , Doppelhobel , Putzhobel und Bestoßhobel und – wer weiß noch was – noch eine Reihe von den extremsten Schreinerwerkzeugen , und nach einem sorgfältigen Arbeitsprozess war der Tisch im Juni 1944 fertig . Kaum war er mit dem großen Werk zu Ende gegangen , wurde der Tisch am 20 . Juli vom Oberst Karl von Stauffenberg in die Luft gesprengt . „ Schade war für diesen schönen Tisch ”, pflegte Herr Plankendorff bis zu seinem Tode ständig zu wiederholen .
Es scheint so , man hat jedenfalls den Eindruck , dass die Jakob-Bleyer-Gemeinschaft , in der ich die Würde eines Vorstandes trage , in ihren Reihen auch Assimilierte sehen will . Wenn es so ist , so stehe ich nicht im Lichte dieser Vorstellungen . Aber wenn man in einer Gemeinschaft sich als Außenseiter fühlt , ist nicht in jeder Hinsicht angenehm . Ich habe nämlich ein Steckenpferd . Mitglied zu sein in einer ethnischen Gruppe hat die wichtigste Voraussetzung : Man muss die Sprache der betroffenen Minderheit auf muttersprachlichem Niveau beherrschen . Und mindestens auch eine Mundart sprechen . Ein jeder kann sagen , das sind überflüssige Anforderungen . Aber mein persönliches Beispiel ist ein Beitrag dazu , zu welchen Störungen die Unvollkommenheit führen kann .
Sonntagsblatt und Wirtschaft
„ Auch im Beruf ist die deutsche Sprache wichtig ”
Im Gespräch mit Hedvig Szakács , Vizepräsidentin der DUIHK und Geschäftsführerin der ZIMBO Perwall GmbH
Dieses Jahr feiern nicht nur unser Verein und das Sonntagsblatt 25-jähriges Jubiläum , sondern auch die Deutsch-Ungarische Industrie- und Handelskammer ( DUIHK ) sowie die Firma ZIMBO
( Fortsetzung auf Seite 28 )

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