Sonntagsblatt 3/2018 | Page 26

gehen, wo er in der Endre-Ságvári-Berufsschule für Maschinen- industrie Abitur machen und – horribile dictu – einen Beruf er- lernen soll. Beruf, betont mit einem demonstrativ aufgehobenen Zeigefinger. Weil es damals der Zeitgeist der „Revolutionierung des Dorfes” herrschte. Meine Generation und noch etwa vier Jahrgänge vor mir und vier nach mir mussten das Dorf verlas- sen um einen Beruf zu erlernen. „Kannst du alles werden, Kraft- fahrer, Chemieingenieur, Seelsorger oder Straßenfeger, nur weg von der LPG”, lautete die bis zur Langweile wiederholte Weisung aus dem Munde der Eltern und Großeltern. Die Ablehnung einer traditionellen, der Quelle nach deutschen Dorfgemeinschaft ge- gen eine gewaltmäßige, unmenschliche Wirtschaftspolitik war so tief, dass sie das Los der Kinder und das eigene Schicksal, die eigene Zukunft außer Acht ließen. So wurde ich Professor an der Budapester Corvinus-Universität. renziertes Bild über mich entstand: Was und wer ich eigentlich bin. Aber die Frage kam schon diesmal im Spiegel meiner noch anfänglichen deutschen Studien aufs Tapet. Wer ich eigentlich bin? In Kötcse, als ich Kind war, klang das Wort „Schwabe” fast als Schimpfwort. Etwas von uns fremder, uns nicht betroffener Ausdruck. Wir sind Magyaren. Nicht besonders störte die Schu- manns, Reicherts, Trimmels und Opperheims in dieser Abgren- zung die deutsche Quelle ihrer Namen. Wir sind Magyaren und wir unterscheiden uns von diesen „Koppánytalern”. Das „Kop- pánytal” war in erster Linie mit der Ortschaft Dörötschke/So- mogydöröcske identisch, mit der Kötsching durch die fast un- übersichtliche Bande des Blutes verbunden war. Inbegriffen die anderen evangelischen und teils kalvinischen Gemeinden wie Bonnau/Bonnya und Etsching/Ecseny. Aber sie sind trotzdem anders als wir. Aber bis dahin ist noch viel Wasser die Donau hinuntergeflossen. Gegen die Schule in Stuhlweißenburg habe ich mich empört auf- gelehnt. Tagelang habe ich geweint, hinter dem Haus, wenn man mich nicht sah. Mit 14 wollte ich schon Historiker werden. Ganz ausführlich ist es in mein Gedächtnis eingegraben, wie ich zu diesem Entschluss gekommen war. Die Schule von Kötcse ging auf Ausflug nach Budapest. Der Bus, ein im Jahre 1963 sehr mo- derner Ikarus mit Heckmotor, „farmotoros”, sauste unaufhaltsam zwischen Siófok und Lepsény dahin, und ich saß neben meiner Lieblingsfreundin, Ági Poesz, mit der ich schon mit 11 von unse- ren Eltern „theoretisch” gepaart waren. Und sie sagte mir, dass die Freundin der Freundin ihrer Mutter eine Historikerin ist. Eine sehr ernsthafte Beschäftigung, und noch dazu muss man nicht zu viel arbeiten, man muss nur wissen, welcher König wann und wie lange herrschte. Und man bekommt dafür viel Geld. Eine mir am besten passende Beschäftigung – dachte ich. Homo propo- nit, deus disponit. Ausgemacht. Meine ersten Deutschstudien haben das Netzwerk dieser nega- tiven Vorurteile von Grund auf aufgewühlt. Ich fing an, mich als ein Deutscher oder Schwabe (?) zu fühlen. Ich konstruierte dies- bezüglich sinnberückende Geschichten über unsere Wurzeln, Familienabstammung, über die Beweggründe unserer Abwande- rung aus Thüringen. (Damals glaubten wir nach den Papieren der Kirchengemeinde, dass wir aus Thüringen gekommen waren, eine falsche Legende, die ich dreißig Jahre später in der Dorfmo- nographie von Kötcse widerlegt habe, nachdem ich das wirkliche Abwanderungsgebiet in Hessen im Laufe meiner Forschungen entdeckt hatte.) Meinem Großvater habe ich mehrmals vorgetra- gen, dass wir eigentlich wegen unserer evangelischen Religion von den bösen Katholiken aus Thüringen (fast rein evangelisch) weggejagt worden sind, die ganze Bevölkerung des Dorfes be- steht aus Thüringer Adeligen, in der alten Heimat mit viel Erde, weshalb sie flüchten mussten, und die bösen Katholiken haben sich ihre Besitztümer angeeignet. Die Vertriebenen zerstreuten sich in der großen Welt. Mir selber wurde das aus der Ohnmacht des niedergeschlagenen Aufstan- des gerade noch auferstandene Budapest zugelassen. Keine Ahnung, warum ich eben Französisch lernen wollte. Vielleicht deswegen, weil es mir auf Grund meiner Lektüre wie Jókai und Gyula Verne so elegant erschien. Jedenfalls nachdem ich am 1. September den ersten Stock des neugotischen Gebäudes gefun- den hatte, türmte sich vor mir die Aufgabe, das Klassenzimmer zu finden, wo Französisch unterrichtet wird. Entweder per Zufall oder durch mein Missgeschick kreuzte sich mein Weg in dieser kriselnden Sekunde mit dem von „Burger bácsi”, dem Pedell des Instituts. „Da, um die Ecke”, sagte Burger bácsi nachlässig, weil er an diesem Tag zweifellos viel zu tun hatte, auf meine Frage, wo Französisch unterrichtet wird. Es ist nicht zu schwer zu erra- ten, dass ich infolge meiner Hemmungen und Ratlosigkeit nicht den richtigen Raum, also den des I./c. gewählt habe, sondern ich ging in den des I./d hinein. Es bedarf keiner weiteren Erklärung, dass in der Klasse I./d. neben dem Russischen das Deutsche die Unterrichtssprache war. Bürokratische Verwicklungen löste zum Beispiel mein Namens- zug aus. Um meine deutsche Identität und Herkunft zu betonen fing ich an den Namen Tefner mit a-Umlaut zu schreiben: Täf- ner. Die Form stimmte