Sonntagsblatt 3/2018 | Page 21

Bemerkenswert ist, dass sich trotz der Zugehörigkeit zu Rumäni- en nach dem Zweiten Weltkrieg in den deutschen Dörfern wieder eine madjarische Welt entstehen (bzw. sich fortentwickeln) konn- te - oder vielmehr lehnte man, wie die Zeitzeugnisse demonstrie- ren, alles Deutsche ab. Gabriella Ludescher widmet sich in einer weiteren Studie gesellschaftlicher Traumata und deren Folgen. „Nach dem Zweiten Weltkrieg war es sehr von Nachteil, Deut- scher zu sein, deswegen bekannten sich viele deutschgesinnte Sathmarer Schwaben zum Madjarentum. Während die Eltern untereinander deutsch sprachen, sprachen sie mit ihren Kindern, die die ungarische Schule besuchten, ungarisch. Warum haben sie sich für die ungarische Sprache bzw. Schule und nicht für die rumänische entschieden? Weil die Mehrheit ungarisch gut, rumänisch kaum sprach und gefühlsmäßig den Madjaren näher- stand.” Eine Einstellung, die sie aber nicht verschonte Spielball der Ge- schichte zu werden. Fazit: ein wertvoller und detailreicher Sam- melband, mit zum Teil neuen Informationen und Erkenntnissen über die Verschleppung nach dem Zweiten Weltkrieg. __________________________________________ * Ártatlan áldozatok. Szatmári svábok a gulágon (Unschuldige Opfer. Sathmarer Schwaben im Gulag). Hg. von Gabriella Ludescher.- Bu- dapest 2017, als Pdf unter http://mek.oszk.hu/16800/16800/16800.pdf (Ungarische Elektronische Bibliothek - Széchenyi-Nationalbibliothek) zu finden Ungarndeutsches Pantheon: Staatspräsident Dr. Franz Mádl Von Stefan Pleyer Ein Gentleman-Politiker der alten Schule: Es gibt manchmal solche Persönlichkeiten in der Politik und der Geschichte, de- ren Person seitens der Gesellschaft nicht hinterfragt wird, und die durch ihre Taten, Werke, beispielhaftes Leben Respekt ver- dienen. Diese Beschreibung trifft auf den ehemaligen zweiten Staatspräsidenten der Dritten Ungarischen Republik, Dr. Franz Mádl, ganz besonders zu, der als Mitglied der neuen deutschen, aus dem Bauernstand stammenden Elite nicht nur im ung arn- deutschen Pantheon einen festen Platz besitzt, sondern auch im gemeinsamen ungarischen. Franz Mádl wurde 1931 in einem kleinen donauschwäbischen Dorf, in Bandau (ung. Bánd), Komitat Wesprim, in einer deut- schen Bauernfamilie geboren: Die Siedlung galt immer als ein kleiner, gering bevölkerter Ort, aber desto berühmter sind die Söhne des Ortes - zeitlich gesehen vor den Mádls -, z. B. der Pia- rist-Historiker P. Franz Somhegyi-Schröck. Die Großfamilie Mádl war weit verzwickt in Bandau, und neben der landwirtschaftlichen Tätigkeit führten viele Mádls eine akademische Laufbahn: Der Cousin zweiten Grades von Franz Mádl, der renommierte Ger- manist Anton Mádl, oder sein Sohn, Peter Mádl. Laut persönli- chen Erzählungen sprach Anton M. die lokale deutsche Mundart als Muttersprache, also können wir davon ausgehen, dass auch Franz Mádl deutscher Muttersprachler war (die Hochsprache be- herrschte er jedenfalls auf hohem Niveau). Auch der väterliche Großvater von Franz Mádl zeigte Interesse an Philosophie, er las gern Bücher im Thema. Wissen und Lernen wurden also in der Familie geschätzt, dementsprechend durfte Mádl seine ers- ten grundlegenden Studien in namhaften Schulen absolvieren: Er besuchte zwischen 1943 und 1951 das Piaristengymnasium in Wesprim, der auch damals einen guten Ruf genossen hat. Nach der Matura begann der spätere Staatspräsident 1951 an SoNNTAGSBLATT der Universität Fünfkirchen als Iuratus den langen beruflichen Weg in der Rechtswissenschaft, die seine ganze künftige Tätig- keit grundsätzlich prägte, schließlich wurde die Budapester Ló- ránd-Eötvös-Universität die richtige Alma Mater, wo er im Jahre 1955 als Jurist promovierte. Vor der tatsächlichen Karriere mach- te Mádl einen Umweg nach Straßburg, um sich im Völkerrecht besser vertiefen zu können. Nach einem erfolgreichen Jura-Studium stehen den frischge- backenen Juristen immer zwei Möglichkeiten zur Verfügung: Entweder bleiben sie im universitären Bereich, um eine wissen- schaftliche Laufbahn aufzubauen, oder sie folgen dem Beispiel der alten römischen Advocati-Praktiker und setzen die rechtswis- senschaftlichen Kenntnisse in die Praxis um. Mádl wählte den ersten Weg. Er blieb an der Universität ELTE, und 1973 wurde er zum Universitätslehrer ernannt, mit dem Spezialgebiet inter- nationales Privatrecht. In dieser Position befuhr der junge Uni- versitätslehrer Europa und Amerika, unter anderem war er Gast- professor an der Ludwig-Maximilans-Universität in München. Als renommierter Rechtswissenschaftler wurde Mádl Ende der 80er Jahre ordentliches Mitglied der Ungarischen Akademie der Wis- senschaften. Sowohl in Ungarn als auch im Ausland war also der künftige Staatspräsident wissenschaftlich äußerst anerkannt und respektiert. Bis zur Wende 1989-1990 beschäftigte sich Mádl kaum mit poli- tischen Fragen, wenn ja, nur in der „grauen Zone” der Wissen- schaft und der Außenpolitik. Durch den Zerfall des sozialistischen Ostblocks eröffneten sich aber Chancen und Möglichkeiten auch für die bürgerliche Intelligenz, die vorher in der Opposition oder geheim auf ein anderes politisches Klima wartete. So war es auch mit Mádl: In der ersten, demokratisch gewählten Regierung Ungarns, der Antall-Regierung, trug er bis 1993 den imposan- ten Titel eines Ministers für Europa- und Wissenschaftspolitik, danach übernahm er die Führung des Kultus- und Bildungsmi- nisteriums. Nach dem Regierungsantritt der Koalition aus So- zialisten und Liberalen (MSZP-SZDSZ) wurden die politischen Bruchlinien durch die Gestaltung von zwei, miteinander rivali- serenden Parteilagern (Rechtskonservative - Sozialisten und Liberale) deutlich. Diese ewige Dichotomie erschien auch im Kampf um die Staatspräsidentschaft (genauer um den Posten des Präsidenten der Republik): Die regierungsparteilichen Kräfte unterstützten die Wiederwahl von Árpád Göncz, eines anderen anerkannten Wissenschaftlers (teilweise deutscher Herkunft aus Siebenbürgen) gegenüber einer Kür von Mádl, so konnte Göncz mit Hilfe der parlamentarischen Mehrheit die ungarische Staats- präsidentenwahl für sich entscheiden. Das Millenium brachte Mádl neue Zeiten mit neuen Missionen: Seit 1998 regierte eine Fidesz-Regierung in Ungarn, unter der Führung von Viktor Orbán (in dessen Beraterkreis der Professor in den 1990ern tätig war), so wurde er vom Parlament zum Nachfolger von Árpád Göncz (1990-2000) gewählt. Im Jahre 2005 lief sein Mandat ab, sein Nachfolger wurde der ebenfalls konservative Wissenschaftler Dr. László Sólyom. Auszeichnungen, Preise: Széchenyi-Preis (1999) Ordre national de la Légion d’honneur (1999) Das Großkreuz des Ordens der Ungarischen Republik (2000) Orden für Jerusalem (2006) Ehrenbürger von Budapest (2011) „DER UNGARNDEUTSCHE GELEHRTE MÜSSE NICHT NUR FORSCHEN, SONDERN ZUGLEICH HELFEN UND RETTEN!” - JOHANN WEIDLEIN 21