Sonntagsblatt 3/2018 | Page 18

Merkwürdigkeiten
Alles bestens – aber wo bleibt die ( Mutter- ) Sprache ?

An den Rand einer ( fast ) gescheiterten Recherchearbeit s erhielt ich lediglich den Hinweis auf die Weltsprachen und die veränderten Lebenswelten ( was sicherlich zutreffend ist ), die die Sprache der Minderheit wieder in den Hintergrund gedrängt hätte . Die Rede war im Weiteren stets von Sprachkenntnissen , was durch das Vorherrschen der sprachunterrichtenden Form an den Schulen schlechte oder rechte Fremdsprachenkenntnisse bedeuten kann , muttersprachliche oder ähnliche keinesfall . Übrigens ein Problem , das so gut wie alle Nationalitäten in Ungarn betrifft .

Von Richard Guth
Etwas Merkwürdiges passierte mir vor kurzem bei der Recherche für einen neuen Artikel . Per Zufall gelangte ein Artikel zu mir , wo man anlässlich eines Festes der harmonischen Koexistenz von Madjaren und der betrofffenen Nationalität gedachte . In dem Artikel ist viel von Dankbarkeit , unter anderem für die finanzielle Unterstützung seitens des ungarischen Staates , von „ nie im Stich gelassen ”, von abgelegtem Glaubenszeugnis , von gegenseitiger Unterstützung der Freiheitsbestrebungen und vom Stolz des ungarischen Staates auf seine treuen Untertanen die Rede , so dass „ die gemeinsam erlebten Stürme der Geschichte die (…) ( Angehörigen dieser Nationalität , R . G .) in dem Glauben bestärkt haben , dass ihre Kultur und Nationalität durch den Gebrauch ihrer Sprache und Religion erhalten , gar aufblühen können ”, so ein Vertreter der Mehrheitsbevölkerung . Auch der Vertreter der ungarischen Seite in Gestalt eines Bürgermeisters lobte die mustergültige Koexistenz – und hatte hinsichtlich der Bedeutung der Sprache nicht ganz Unrecht - : „ Nach seinen Worten sind Sprache und Kultur die wichtigsten Mittel des Erlebens der Identität , deren Höhepunkte die Feste darstellen . Die (…) ( Mitglieder der Nationalität , R . G .) würden auch anlässlich dieses Festes eindrucksvoll demonstrieren , dass sie stolz auf ihre Nationalität und ihren Zusammenhalt seien .”
Soweit nichts Ungewöhnliches , an den Stil solcher Berichte über die mustergültige Minderheitenpolitik haben wir uns in den vergangenen Jahrzehnten gewöhnt . Aber dann kamen mir die Worte des hochrangigen Vertreters einer anderen Minderheit in den Sinn , wonach Ungarn mustergültig seine Minderheiten assimiliert hätte . Dieser Widerspruch veranlasste mich , mich über diese Nationalität etwas eingehender zu informieren und in Erfahrung zu bringen , was hinter den wohlklingenden Worten steht .
Erste Anlaufstelle waren die Volkszählungsergebnisse von 2011 , wonach - ähnlich wie bei uns ungarländischen Deutschen - die Bekenner dieser Nationalität seit der letzten Volkszählung zahlreicher geworden sind , und zwar deutlich . Bei den Muttersprachlern zeichnet sich ein etwas anderes Bild ab , ähnlich wie bei den übrigen Nationalitäten , lex Apponyi lässt grüßen . Der Rückgang ist nicht dramatisch , aber es zeigt in Richtung sprachlicher Assimilation . Ein Befund , den es ernst zu nehmen gilt , auch wenn den jetztigen Vertretern der Nationalität keineswegs die Verantwortung für diese historische Entwicklung zugesprochen werden darf .
Nach weiteren Recherchen über Herkunftsgeschichte und Lage dieser Nationalität wandte ich mich an die Landesselbstverwaltung dieser Nationalität , um eine Einschätzung der Lage zu bitten . Ein hochrangiger Vertreter meldete sich bei mir und signalisierte Bereitschaft . Ich wollte von dieser Person diverse Dinge erfahren , aber in der Tat , ich stellte die sprachliche Lage bei all den Nationalitätenschulen , die immer noch in fünf Wochenstunden die „ Muttersprache ” unterrichten , in den Mittelpunkt meines Interesses . Ich spürte bei den Antworten etwas Zaghaftes , auch wenn der Interviewpartner schnell , ausführlich und sicherlich gewissenhaft antwortete . Etwas Zaghaftes , denn die Antworten verharrten sich im Stile des bereits zitierten Artikels , enthielten viele Allgemeinplätze und eine Aufzählung vieler Projekte , die ohne Zweifel lobenswert und von besonderem Wert für die Gemeinschaft sind . Als ich die Sprachsituation angesprochen habe ,
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Diese Antworten spornten mich weiter an , und ich verschickte drei weitere Fragen , die unter anderem die sprachliche Situtation im Religionswesen betrafen . Darauf habe ich nur noch eine Mail mit der Aufkündigung der Zusammenarbeit erhalten . Im späteren klärenden Telefongespräch wurde mir vorgeworfen , ich wäre tendenziell gewesen und hätte die Person „ führen ” wollen . Näheres habe ich nicht erfahren können , denn die Verbindung wurde getrennt . Merkwürdig , denn vorher klang alles so schön .
So verzichtete ich auf weitere Recherchearbeiten , in dem Glauben , dass alles in Ordnung sei . Oder jedenfalls fast alles , denn wen kümmert einen schon das bisschen ( Mutter- ) Sprache ?!
Zieht Imre Nagy um ?
Von Patrik Schwarcz-Kiefer
Die Beurteilung der Tätigkeit von Imre Nagy stand in den letzten Wochen , Monaten im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion . Die eine Seite sagt , dass der Märtyrerministerpräsident alle seine früheren Sünden durch seine Rolle in der Revolution von 1956 wettgemacht hätte , deswegen sollte er einen Platz unter den ungarischen Helden genießen . Die andere Seite , wozu auch ich gehöre , kann ihm diese Verfehlungen nicht entschuldigen . Es ist egal , was er später gemacht hat , seine Rolle in der Angelegenheit der Vertreibung und der Verstaatlichung des Grundbesitzes ist unmöglich zu entschuldigen .
Die ungarndeutsche Führung äußert sich zu diesem Thema leider nicht , obwohl es in unserem Interesse läge , eine richtige Beurteilung von Imre Nagy zu finden und dadurch den Prozess der Aufarbeitung der Tragödie der Vertreibung voranzubringen . Eine Stellungnahme wäre nicht beispiellos , da im Streit über das deutsche Besatzungsdenkmal in Budapest Otto Heinek damals seine Stimme gegen das Monument erhoben hat .
Es gibt einen aktuellen Anlass , denn es wurden Pläne bekannt , wonach die Statue des kommunistischen Ministerpräsidenten wahrscheinlich an den Mari-Jászai-Platz umgesetzt werden soll . Der Grund dafür sei nach Angaben der Regierung nicht seine skandalöse Tätigkeit , sondern lediglich die Wiederherstellung des Vorkriegsgesichts des Kossuth-Platzes . Und von den Reaktionen wissen wir , dass viele Meinungsführer Nagy immer noch respektieren ohne Beachtung seiner menschenverachtenden Sünden . Deswegen sollte überall hervorgehoben werden : Er ist einer der Hauptverantwortlichen für die Vertreibung der Ungarndeutschen gewesen .
GEFÄLLT IHNEN DAS SoNNTAGSBLATT s ?
IHRE SPENDE IST DIE JA-ANTWORT !
SoNNTAGSBLATT