Sonntagsblatt 3/2015 | Page 25

gehört, aber von der deutschen Bundesregierung nicht gebührend gefördert wird. Das Buch „Edelsteine – 107 Sternstunden deutscher Sprache” von Max Behland, Reiner Pogarell und Walter Krämer (IFB- Verlag) beschäftigt sich mit großen Texten, die in Deutsch verfasst wurden. Zu finden sind nicht nur Goethes Faust, Einsteins Re - lativitätstheorie oder Texte von Siegmund Freud, Karl May, Mar - tin Luther und Günter Grass. Auch das Bürgerliche Gesetzbuch, die Patentanmeldung des ersten Automobils oder der Beipack - zettel zur ersten deutschen Antibabypille werden vorgestellt. Letz - terer „hat zusammen mit dem Produkt, das er beschreibt, das Verhältnis der Geschlechter zueinander grundlegend verändert”, ist zu lesen. Sogar die sprachliche Leistung von Erika Fuchs, der Texterin der deutschen „Micky Maus”-Hefte, wird gewürdigt: „Das bleibende Verdienst von Dr. Erika Fuchs ist, aus einem Heft für Kinder eine neue Kunstform geschaffen zu haben.” O Neues Buch: „Edelsteine – 107 Sternstunden deutscher Sprache” von Heiner Schäferhoff Das ist ein Buch in der Tradition vieler großer Antologien von gro- ßen Texten in deutscher Sprache. Es versammelt, wie schon die „Edelsteine” im Titel sagen, sozusagen die Kronjuwelen der deut- schen Sprache. Aber es sind Kronjuwelen in einem anderen als dem hergebrachten Sinn, es sind Texte, die „durch ihre sprachliche Eleganz bestechen, … die Epoche ihrer Entstehung widerspiegeln und … die Gesellschaft, die Kultur, die Wissenschaft, die Technik oder die Politik nachhaltig mitgestalten oder mitgestaltet haben.” So ist es im Vorwort nachzulesen. Die sprachliche Eleganz ist also nicht das einzige Kriterium, die Wirkung auf die Welt als ganze zählt genauso mit. Natürlich erfüllen nicht alle Werke wie et wa Goethes Faust diese Ansprüche in gleicher Weise. „Der Text”, so ist zu lesen, „ist sprachlich gewaltig, er steht für eine zen- trale Epoche der europäischen Geistesgeschichte und er hat die europäische Literatur maßgeblich mitgeprägt”. Daneben offenba- ren sich dem erstaunten Leser aber auch juristische Texte wie der Sachsenspiegel oder das Bürgerliche Gesetzbuch, auch eher tech- nische Dokumente wie die Patentanmeldung des ersten Auto - mobils oder der Beipackzettel zur ersten deutschen Antibabypille. „Er hat zusammen mit dem Produkt, das er beschreibt, das Verhältnis der Geschlechter zueinander grundlegend verändert. Solche Texte müssen sich nicht reimen. Es sind Edelsteine auch in ungeschliffener Gestalt”, wie das Vorwort sagt. Ebenfalls vertre- ten sind daher bewegende Briefe und berühmte Reden, auch grundlegende Werke der Physik wie Einsteins Relativitätstheorie oder der Mathematik wie der Gödelsche Unvollständigkeitssatz. Wichtig dabei ist die deutsche Sprache und nicht die deutsche Staatsangehörigkeit, auch Werke der großen Psychologen Sieg - mund Freud aus Österreich und Carl Gustav Jung aus der Schweiz erfahren hier eine ausführliche Würdigung. Und komplettiert wird diese Perlenkette der deutschsprachigen Geistesgeschichte durch große Mediziner, Politiker und Philosophen: Paracelsus, Friedrich der Große, Bismarck, Rosa Luxemburg, Leibniz, Nietzsche, Kant und Wittgenstein, Karl Popper und Karl Marx. Und natürlich Martin Luther als einer der Giganten der deut- schen Sprachgeschichte. Denn seine Bibelübersetzung gilt vielen als die eigentliche Geburtsstunde des modernen Deutschen über- haupt. Wie schon in dem Vorgängerband, den „Sternstunden der deutschen Sprache”, liegt auch hier der Schwerpunkt auf der schö- nen Literatur. Dieser Begriff wird aber recht weit gefasst. Denn außer den üblichen Verdächtigen wie Goethe, Schiller, Lessing, Wieland, Heine, Kleist und Hölderlin sind hier auch Karl May oder Erika Fuchs, die Texterin der deutschen „Micky Maus”-Hef - te vertreten. „Das bleibende Verdienst von Dr. Erika Fuchs ist, aus einem Heft für Kinder eine neue Kunstform geschaffen zu haben”, schreibt der bekannte Hannoveraner Germanistikprofes - sor Wolfgang Sauer in seinem Stichwortartikel, und wenn man sei- nen Artikel gelesen hat, dann glaubt man das auch. Dergleichen Aha-Erlebnisse gibt es noch an vielen anderen Stellen dieses Buches. An moderneren Autoren findet man u. a. Rilke, Kafka, Hesse, Arno Schmidt, Robert Gernhardt, Kurt Tucholsky, Thomas Mann und Günter Grass. Die Vorgangsweise ist dabei in allen Stichwort - artikeln ähnlich: Im Mittelpunkt steht der Originaltext, von den Rezensenten in aller Regel liebevoll, seltener auch kritisch, aber immer ohne Fachjargon und Fußnoten den Lesern dargeboten. Dieser weitgehende Verzicht auf Gelehrten-Selbstbefriedigung, die man sonst so oft in dergleichen Sammelwerken antrifft, macht die Lektüre zu einem nochmals größeren Vergnügen. Offenbar haben die Herausgeber den oft prominenten Stichwortartikel - schreibern hier einige leserfreundliche Fesseln angelegt. Heraus - gekommen ist ein Buch, das man auch ohne ein Studium der Wissenschafts- und Literaturgeschichte mit wachsender Begeis - terung verschlingt. Und ein perfektes Weihnachtsgeschenk noch obendrein. Letzteres wird durch die gediegene Aufmachung unterstrichen: Das Buch ist selbst ein Edelstein. „Edelsteine – 107 Sternstunden deutscher Sprache” von Max Behland, Reiner Pogarell und Walter Krämer, IFB-Verlag 2014, 25 Euro, 672 Seiten, ISBN 978-3-942-409-31-5 Von diesem Buch können Sie unter [email protected] ein kostenloses Rezensionsexemplar und ein Titelseitenfoto anfordern. O Günter Grass gestorben Lübeck/Danzig (VDS) Am 13. April is t der aus Danzig stammende Schrift - steller Günter Grass im Alter von 87 Jahren in einer Lübecker Klinik gestorben. Grass erlangte mit seinem 1959 als Teil der Danziger Trilogie erschienenen Schel - men- und Epochenroman „Die Blechtrom mel” Welt - ruhm. 1999 erhielt er den Nobelpreis für Literatur. Alle Feuil - letons setzten sich mit dem Leben und Werk „der Stimme der Nachkriegszeit” auseinander. Die Tagesschau würdigte Grass’ „barocke, prachtvolle, reiche, bisweilen vielleicht überreiche Spra - che”, die allen seinen knapp 20 Prosawerken das Gepräge gege- ben habe, von „Katz und Maus” bis „Ein weites Feld”, von „Der Butt” bis „Im Krebsgang”. Der Literaturwissenschaftler Volker Neu haus nannte Grass in der „Neuen Osnabrücker Zeitung” einen „deutschen Weltautor” im Range von Johann Wolfgang von Goethe und Thomas Mann. Neuhaus hob einen Punkt besonders hervor: „Grass hatte ein von Liebe geprägtes Verhältnis zur deut- schen Sprache. Er liebte es, mit Worten zu spielen und ihre Ne - ben bedeutungen herauszuhören”. Ein Interview, das unsere Partnerpublikation „Hermannstädter Zeitung” aus Rumänien schon sehr früh mit Günter Grass führte: http://www.hermannstaedter.ro/?p=6027 25