Sonntagsblatt 2/2017 | Page 19

Alexander Petőfi , Johann Kis , Johann Arany und Michael Vörösmarty . Ich wusste lange nicht , dass es diese Gedichte , die ich zum Teil heute noch auswendig kann , eigentlich in ungarischer Sprache auch gibt .
Über die Bevölkerung Ungarns lasen wir auf Seite 200 des » Dik - ken Deutschen Buches «, dass die Bürger des ungarischen Staates zwar eine Nation seien , der Sprache nach jedoch verschiedenen Nationalitäten angehörten . Gesamtzahl der Einwohner 17 400 000 Seelen . Die Ungarn (= Madjaren ) bilden die Hälfte der Gesamt - bevölkerung : 8 000 000 , Slawen : 5 000 000 , Deutsche : 1 800 000 . Dann wurde die Zahl der Rumänen / Walachen , Slowaken , Ruthe - nen und Russen und schließlich Kroaten und Slowenen aufgeführt . Unter der Überschrift » Das Kaisertum Österreich « steht der Satz » Ungarn bildet im Verein mit den Österreichischen Ländern die österreichisch – ungarische Monarchie . Beide Staaten haben einen gemeinsamen Herrscher . Der König von Ungarn ist zugleich Kaiser von Österreich .« In dem gleichen » Lesestück « werden dann die Landschaften Österreichs und auch die einzelnen Kronländer aufgeführt . Alle diese Lesestücke waren in deutscher Sprache gesetzt . Heute , wenn ich in dem erwähnten Buche blättere , fällt mir auf , dass wir nur jene Stücke lesen oder auswendig lernen mussten , die sich auf Ungarn bezogen . Ich erwähnte ja schon , dass dieses Lesebuch erst ab der 4 . Klasse benützt wurde . Als ich in diese Klasse ging , schrieb man das Jahr 1924 / 25 und folgende Jahre . So haben wir natürlich das Lesestück » Verfassungslehre « nicht mehr gelernt oder gelesen , auch nicht die Erdkunde Österreichs und selbstverständlich auch nicht mehr die Kronländer , die es ja nun nicht mehr gab . Erwähnt sei noch , daß wir die Hymne in deutscher Sprache zuerst erlernen mußten . » Gib , o Herr , dem Ungarland / Frohsinn Glück und Segen « usw . Ebenso den » Mahn - ruf « ( Szózat ) von Michael Vörösmarty . » Dem Vaterland , o Ungar , halt / Die Treue unbefleckt / Das deine Wiege und dein Grab / dich hegt und pflegt und deckt .« Ungarisch lernten wir erst in der 6 . Klasse . Die Geschichte der Reformation Luthers lernten wir ebenfalls deutsch . So wurde man mit Städtenamen wie Speyer , Worms , Augsburg usw . vertraut . Vor allem dann , wenn man wie ich , auch die Lesestücke immer und immer wieder las die dann — wie erwähnt — nicht mehr gelernt werden mussten . Auch der Konfir - mandenunterricht wurde ausschließlich in deutscher Sprache erteilt . Das » Konfirmationsbüchlein zur Stärkung des christlichen Glaubens « wurde 1886 in Bonnhard gedruckt , in gotischer Schrift selbstverständlich . Das Evangelische Gesangbuch ebenfalls in gotischer Schrift 1886 in Ofenpest , Druckerei Koloman Rózsa und Frau . Bei der 15 . Märzfeier wurde in der Kirche das Lied Nr . 387 gesungen : » Beim holden Namen Vaterland / Erwachen frohe Triebe / ich fühle mich mit ihm verwandt / ich fühle , daß ichs liebe « usw .
Bei der » Märzfeier «, die jeweils am Abend in der Schule abgehalten wurde , trug man A . Petöfis » Es quält mich ein Gedanke viel « oder auch » Auf fürs Vaterland ihr Brüder « ( Talpra magyar ) vor . Erst später dann auch in ungarischer Sprache . Am Heldensonntag , der jeweils am letzten Sonntag im Mai begangen wurde , sang man in der Kirche das Lied » Groß ist der Schmerz / Der Tod hat ihn ereilt / Im fernen Feindesland «. Und beim Heldengrab auf dem Friedhof , das zwischen vier Tannenbäumen errichtet war , und auf dem in gotischer Schrift auf dem großen Holzkreuz die Worte » Fürs Vaterland « standen , wurde meistens das bekannte Lied » Morgenrot « von Wilhelm Hauff gesungen . Einige Male auch das Gedicht von Peter Jekel » Einst war das Dorf erfüllt von Schlachtenliedern / Von Fahnenschmuck , Standarten ungezählt / Von Kriegervolk in endlos langen Gliedern / Aus unsern Allerbesten ausgewählt / Zu Felde zog die wackre Schar / Das Vaterland war in Gefahr « deklamiert . Peter Jekel war ein Mitarbeiter Jakob Bleyers . So war dies in meiner Heimatgemeinde
Mecknitsch im nördlichsten Zipfel der Branau . Noch einer Sache lassen Sie mich , liebe Leser , Erwähnung tun . Die Schulabschluss Feier , genannt » Examie « fand in jenen Jahren am Sonntagnach - mittag in der Kirche im Beisein der ganzen Gemeinde statt . Man wurde gefragt , mußte antworten , um so den Beweis zu erbringen , daß man fleißig gewesen ist . Einige Schüler der oberen Klassen durften auch ein freigewähltes Gedicht » aufsagen «. Ich hatte in der 4 . Klasse einen solchen » Examiespruch «. Gefunden hatte ich ihn auf einer bunten Ansichtskarte , die mein Vater aus dem Krieg heimgeschrieben hatte . Ein bärtiger Mann kniete in einer einfachen Dorfkirche vor dem Altar . Dieser Vorgang wurde in einfachen Reimen geschildert , die ich nicht mehr rekonstruieren kann . Nur die letzte Zeile , die mich auch sehr ergriffen hatte , lautete : » Der fromme Beter war der Kaiser .« Weder vom Pfarrer noch vom Lehrer wurde dieser » Examiespruch « beanstandet . Wenn ich nun versuche , mit der Schilderung dieses feierlichen Schulabschlusses der 5 . Volksschulklasse eine Art Zwischenbilanz zu ziehen , fällt es mir schwer , die Atmosphäre meiner bis dahin verlaufenden Schulzeit zu charakterisieren . Was uns die beiden Lehrer an deutscher Sprache , Schrift und Lied vermittelt haben , wurde nicht mit irgendeinem Bekenntnis oder einer Art von » völkischer Einstellung « verbunden , sondern sie taten dies ganz selbstverständlich . Dass dies alles » deutsch « sei habe ich kaum je von ihnen gehört .
Vaterland Die vaterländische Einstellung war noch weitgehend , vielleicht mehr unbewusst als bewusst , von der k . u . k . Atmosphäre geprägt . Ein letztes Abendrot vom alten Preßburg , welches auch immer so genannt wurde , und von Oberschützen . Man sprach von Ödenburg genauso selbstverständlich wie von Güns , Raab , Fünfkirchen oder Budapest . Nicht ganz so , aber » beinahe so « tat dies auch der Pfarrer , der ein gebürtiger Madjare war , jedoch die evangelische Verpflichtung , jedem Volk das Evangelium in seiner Mutter - sprache zu verkündigen , ernst nahm , auch in einer Zeit als er im - mer heftiger gegen den » Volksbildungsverein und seine Hetzer « zu schelten pflegte . So erschien mir das Lesen des » Sonntags - blattes « und des Bleyer ‘ schen Vorwortes in dem Büchlein » Die neue Heimat « in keiner Weise in einem Gegensatz mit dem zu stehen , was ich bisher durch die Lesungen meiner Mutter und durch die fünf Volksschuljahre vernommen hatte . Das , was im » Sonn - tagsblatt « und in den » Volksbildungsvereinskalendern « stand , schien mir als die Fortsetzung des bisherigen kindlichen Bildungs - standes ganz selbstverständlich , und ich stellte mir vor , dass dies in allen schwäbisch-deutschen Dörfern wohl so sein müsse und in den ungarischen Schulen anders zu sein habe .
Aus diesem allem stellte sich bei mir auch eine natürlich-kindliche Vaterlandsliebe ein . Meine Mutter hatte ja oft Tränen in den Augen , wenn das schon erwähnte Lied » Beim holden Namen Vaterland , erwachen frohe Triebe « in der Kirche gesungen wurde . Das von Jakob Bleyer gedichtete Schwabenlied , » Gott segne tausendmal dich Ungarnland « konnte ich alsbald auswendig ( kann es auch heute noch ) und die zweite und dritte Strophe schienen mir ganz im Einklang mit dem allem zu stehen , was ich bis dahin an Eindrücken empfangen hatte .
» Vom Rhein und Schwarzwald kam der fromme Ahn , Bracht deutschen Fleiß und Schwabenbrauch ,
Durch Sumpf und Wildnis brach sein Mut sich Bahn , Gesegnet reich von Gottes Hauch .«
Auch die dritte und letzte Strophe , stand durchaus im Einklang mit den Eindrücken aus Elternhaus , Schule und Kirche . » Dem Ahnenerbe bleibt der Enkel treu , Der Schwabenart , dem deutschen Wort , Treu auch in jeder Not , von Arglist frei , Dem Bruder Ungar immerfort .«
( Fortsetzung auf Seite 20 )
SONNTAGSBLATT 19