Sonntagsblatt 2/2017 | Page 18

Jahren , als Bleyer noch lebte und wirkte , war es noch nicht üblich , von Generationen als bestimmten Zielgruppen zu sprechen . Die deutsche Jugendbewegung , die dieses Problem aufwarf und in Umlauf brachte , hatte im damaligen Rumpfungarn keine oder kaum Spuren hinterlassen .
Frühe Kindheit Ähnlich wie Jakob Bleyer bin auch ich in einer von der Madjarisierung unberührten Gemeinde geboren . Das Dorf war rein deutsch und rein evangelisch und zählte etwa 1100 Ein - wohner . Im Unterschied zu den Eltern Bleyers waren die meinen arme Tagelöhner mit einigen Stückchen Feld und eigenem Hause . Die Mutter meiner Mutter war früh Witwe , und so hatten sich Mutter und Tochter recht kümmerlich durchs Leben zu schlagen und wurden auch im Tagelohn von unseren reichen Verwandten ziemlich ausgenützt . Ich kam am 30 . November 1914 zur Welt . Mein Vater starb 1916 . Zu meinen frühesten Erinnerungen gehörten die Vorlesungen meiner Mutter , die von Herbst bis zum Früh - jahr allsamstag-abendlich stattfanden . Da sie nach den heutigen Maßstäben betrachtet wunderschön lesen konnte , kamen oft auch die Nachbarsleute und hörten zu . Die Bücher und die Kalender kamen aus Österreich und Deutschland . So hatte ich noch vor Eintritt in die Volksschule eine kindlich-gute Vorstellung von Städte- und Landschaftsnamen aus deutschen Landen . Die Erzählung vom » Glasfrauchen aus dem Thüringer Wald « kann ich heute noch auswendig , weil sie oft am Christabend vorgelesen wurde . Dichternamen wie Franz Resl , Peter Hebel und Fritz Müller-Partenkirchen usw . waren mir schon im Vorschulalter vertraut . Auch mein Vater muss viel gelesen haben , denn in seinem Nachlass befanden sich noch einige Exemplare einer aus Te - meschburg bezogenen Zeitung , deren Titel ich nicht mehr weiß . Ich glaube , sie hieß » Der Freimüthige «, was mit gotischer Schnör - kelschrift geschrieben war . In den Wintern 1918 / 19 und 1919 / 20 hatten wir auch die Spinnstuben der Ledigen und es wurde viel gesungen . Die Burschen sangen die Kriegslieder vom Argon - nenwald , vom alten Radetzky , vom Rheinland , in dem ein Städt - chen lag und viele andere Lieder , vom Guten Kameraden angefangen bis zur Wacht am Rhein . Auch meine Mutter und Großmutter sangen sehr viel , zweistimmig , und so konnte ich schon ganz gut singen , als ich noch nicht einmal lesen konnte . Als mein Vater , der bei uns einheiratete , auf korrekte Lohnverhältnisse bei Ver - wandten und anderen drängte , hat dies ihm den Spitznamen » Sozialisten-Paragraph « eingetragen . Das Poetisch-Musische und das Soziale sog ich also gleichsam mit der Muttermilch ein . Beides prägte meine frühe Kindheit und auch meine Schul- und Jugendzeit . Bestimmend war es für mein ganzes Leben . Erwähnen möchte ich noch , dass in den Jahren 1919 und 1920 noch Rastelbinder aus dem Böhmischen in unser Dorf kamen . Sie sangen vom » Kaiser Franz Joseph dem Ersten «, der » unser Mittrinker sein « soll und vom » Schimmel «, der verkauft wurde . Da mein Onkel nach Kriegsende bei uns im Hause wohnte und Hilfsförster beim Grafen Apponyi in Ländl war , kamen oft seine Förster-Kol - legen zu uns . Mit ihnen sprach selbstverständlich meine Mutter ungarisch , so gut sie es eben konnte . Niemals hörte ich von ihr ein abschätziges Wort über die Ungarn . Das , was hier etwas ausführlicher geschildert wurde , geschah nicht , um eine Art Deutsch-Sein zu demonstrieren oder um » Gleich gültigere « etwa zu überzeugen . Ebensowenig wurde » seelische Harmonie zwischen Schwaben und Madjaren « demonstriert , wenn mit denen ungarisch gesprochen wurde , die zu uns kamen und nicht deutsch konnten . Nie hörte ich von meiner Mutter , dass sie » deutsch « sei und » bleiben wolle «. Es war dies damals bei uns selbstverständlich , wie das Einatmen der Luft oder das Wasser aus unseren Brunnen .
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Meine Schulzeit begann im September 1921 , im gleichen Jahr , in dem Jakob Bleyers » Sonntagsblatt « erschienen ist . Wir waren im Frühjahr dieses Jahres in das Haus meines Stiefvaters gezogen , bei dem meine Mutter früher Tagelöhnerin war . Er hatte durch die sog . Spanische Krankheit alle seine Familienangehörigen verloren , und so war diese Heirat keine Sache der Liebe , sondern ganz einfach Chris - tenpflicht , wie sie in solchen Fällen ausgeübt und praktiziert werden musste . Dort setzte sich jedoch das gewohnte Leben in Bezug auf Vorlesen und dem Bezug von deutscher Zeitung fort . Wir bezogen das » Neue Politische Volksblatt « und den » Bauernbund «, die Zeitschrift des bekannten Bauernbundführers aus Bonnhard Béla Bednár . Den Namen Bleyer , um endlich zum Thema zu kommen , hörte ich zum erstemal im Frühwinter 1922 . Meine Mutter las wieder an einem Samstagabend ( mein Stiefvater wollte dies auch gerne und pflegte zu sagen : » Lene les halt wieder «) aus dem Büchlein » Die neue Heimat « von Hans Faul . Dabei hat mich be - son ders die Einleitung von Bleyer angerührt . Von den Ahnen , die sich mit blutendem zuckendem Herzen von der alten Heimat losgerissen haben , um in das ferne Ungarland zu ziehen , um eine neue Heimat zu suchen , die sie dann schließlich auch fanden . Auch die Mahnung des » Simandlvetter «, daß man acht haben möge auf den Grabstein von Pfarrer Wolf , damit er nicht eines Tages umfalle und niemand mehr wisse , woher wir kamen , bewegte mich .
Das Büchlein wurde vom Nachbarn ausgeliehen wie auch dann das » Sonntagsblatt «. Aus Sparsamkeitsgründen tauschte man zeitweise die Zeitungen . Als einer der Ersten konnte ich in der » Klei - nen Schule «, wie man die unteren Klassen und ihren Unterrichts - raum nannte , zusammen lesen . Ich hatte es ja so oft schon gehört . So las ich dann das Bleyer ’ sche » Sonntagsblatt « soweit ich es halt verstand , quälte die Mutter und den Nachbarn immer wieder um Auskünfte über Worte , die ich noch nicht verstand . Auch die » Neue Heimat « habe ich immer wieder gelesen , von Mal zu Mal besser verstanden , und so manche Stellen kann ich wohl heute noch auswendig . Zu unserer Schule ist noch folgendes zu sagen : Wir lernten zuerst die deutschen Buchstaben mit den dazugehörenden Merk-Erzählungen . Auch das Einmaleins lernten wir zuerst in Deutsch , ebenfalls mit Merkversen wie » Achtmal eins ist acht , gib auch auf dich acht « und ähnlich bei allen einstelligen oder Grundzahlen . Auch lernten wir wohl die meisten damals üblichen Kinderlieder deutsch , kaum anders als lebten wir in Deutschland . Unser Lehrer hieß Adolf Schiller , kam aus Preßburg , hatte dort die deutsche evangelische Lehrerpräparandie absolviert , ich kann mich nur an ein einziges ungarisches Lied erinnern , es war das Lied vom » Bunten Kälbchen «. Auch die Schulgebete waren deutsch . Etwas ungarisch lernten wir dann in der 3 . Klasse . Dieses Verhältnis , das meiste Deutsch und nur einiges ungarisch , setzte sich auch in den oberen Klassen ( 4 ., 5 . und 6 .) fort . Wir lernten dann zweistimmig singen , und die meisten damals üblichen deutschen Schullieder haben wir auch gelernt . Auch einige ungarische , doch war das Ungarische in etwa in derselben Relation zum Deutschen wie das Ungarisch-Reden meiner Mutter zum Reden in ihrer Muttersprache . Unser Oberlehrer hieß Heinrich Becht . Er wurde in der evang . deutschen Lehrerpräparandje Ober - schützen ( Burgenland ) ausgebildet . Er war schon recht alt und blieb nur seiner vielen noch relativ jungen Kinder wegen im Dienst . Sein Unterricht war , was Systematik anbetrifft , sehr schwach . Ausnahme das Singen ! Aber er erzählte viel über Wien und den Kaiser usw . Unsere Gesamtbildung bezogen wir aus dem » Dicken Deutschen Lesebuch « gedruckt in Ödenburg 1896 . Ich besitze es seit einigen Jahren in vergilbtem Zustande wieder . Dort waren die Gedichte von Petőfi , Arany , Vörösmarty usw . in deutscher Schrift gesetzt . Ihre Vornamen in deutscher Sprache :
SONNTAGSBLATT