Sonntagsblatt 2/2017 | Page 17

Da hätte man das Gesicht von Rajk sehen müssen, als sich dies herausgestellt hat! Sofort brachte er die Frau ins Krankenhaus und ließ sie freilich von der Liste streichen. Die hergebrachten Polizisten mussten verköstigt und einquar- tiert werden. All dies sollte schnell und ohne Aufsehen geschehen. Es gab im Ort einen betuchten Baumaterial-Kaufmann mit dem Namen Leschinszki. Auch er stand auf der Liste. Da hat man ihm versprochen, wenn er für die Versorgung der Mannschaft auf- kommt, enthoben zu werden. Natürlich wollte er helfen! Als dann der letzte Transport aufgestellt wurde, hat man auch den Namen Leschinki vorgelesen. Auch er musste gehen, da half kein protes- tieren und weinen. Er verfluchte jene, die in sein Haus einziehen werden, das er doch mit der Arbeit eines Lebens aufgebaut hat. Anscheinend hat der Fluch gewirkt, denn in diesem Haus hat sich seither niemand zurecht gefunden. Eigentlich nichts ist diesen Menschen gelungen, die im Leschinszki-Haus ihr Glück versuch- ten. Die Menschen aber haben sich für alle Zeiten gemerkt, dass Rajk nicht Wort gehalten hat. So sagen die Alten im Dorf auch heute noch: „Der hält Wort, wie der László Rajk.” Bemerkung: Die Vertreibung hat man früher (oftmals auch heu - te noch) im Ungarischen als kitelepítés = Aussiedlung bezeichnet. – Obige Geschichte schildert ein „Augenzeuge” so, wie er es in Erin nerung hat. Ob es ganau so geschehen ist. Vielleicht haben die Bogdaner eine Meinung dazu. Georg Krix O DAMALS (am Ende des Zweiten Weltkrieges) Wir gedenken… Zehntausende unserer donauschwäbischen Landsleute sind in den Nachkriegsjahren in den Todeslagern Titos (damals Jugoslawien) ums Leben gekommen. Sie sind verhungert, wurden erschlagen, erschoss en, sind an Seuchen gestorben. Eine schreckliche Zeit! Ein Beispiel zur Erinnerung: Über das Lagerleben hat eine Frau im „Bunker” in Rudolfs - gnad/Rezsőháza/Knicanin, in dem sie nach einer Betteltour einge- sperrt war, am 10. November 1947 folgendes gereimt: Der Hunger ist gar groß, weil die uns geben zu wenig Kukuruzbrod. Da sind wir nachts aus dem Lager geschlichen, um in den Nachbarorten um Lebensmittel zu bitten. Als wir dann zurückgekehrt, haben sie uns in den Bunker gesperrt. Und bei einem neuerlichen Einsitzen im Bunker sinnierte die- selbe Frau: Ich bin noch jung an Jahren und will mein Schicksal tapfer ertragen. ich hoffe in meinem Leben wird es einmal auch noch bessere Tage geben. Der Ehemann dieser damals jungen Frau blieb im Kriege ver- schollen. Ihre Großmutter liegt in einem Massengrab im Friedhof von Rudolfsgnad, und ihre Mutter fand ihre letzte Ruhestätte im Massengrab Nr. 8 auf der Teletschka. Einige ihrer Verwandten sind nach 1948 an den Folgen der Lagerzeit verstorben… Im Frühjahr 1948 wurden die letzten Vernichtungslager aufge- löst. Rudolfsgnad war wohl das berüchtigtste und am längsten bestehende Hungerlager der Tito-Kommunisten. Trotz Auflösung der Lager waren die Menschen noch lange nicht frei. Sie wurden SONNTAGSBLATT auf Staatsgüter gebracht und zur Arbeit verpflichtet. Freies Reisen und Wohnungswechsel waren untersagt. Für deutsche Kinder gab es vorerst keinen Schulbesuch… Erst 1949/50 hatte sich manches zum Vorteil der Unglücklichen geändert. Dazu gehörte, dass auf dem Staatsgut für die deutschen Kinder eine Schule eingerichtet wurde. Der Unterricht erfolgte in der Staatssprache, also in serbisch, der Lehrer war ein Ungar und die Schüler waren Deutsche, die weder Serbisch noch Ungarisch beherrschten… 70 Jahre sind seither vergangen. Die Zeiten haben sich geändert, die verbliebenen Schwaben der Vojvodina haben ihre Heimat ver- lassen – und eine neue gefunden/aufgebaut. O Hans Christ Ich stand am Grabe Jakob Bleyers Vom Bleyer-Bild der damals jüngeren Generationen »Die reine Wahrheit kann man weder beschreiben noch darstellen; man kann sie eigentlich nur beschweigen.« Joseph Roth »Es gibt eben immer drei Wahrheiten: Deine, meine und die Richtige.« Spruch 1. Teil Als mir die beiden Zitate wieder einmal in den Sinn gekommen sind, überkam mich beinahe Angst, zu dem Thema, das man mir gestellt hat, etwas zu schreiben. Wenn ich diese Angst oder auch Scheu dennoch zu überwinden bestrebt bin, danke ich dies einer Anmerkung des jugendbewegten Hans Blüher, der in Bezug auf die von ihm verfasste Geschichte des Wandervogels sagte, dass er dieselbe nur SUBJEKTIV zu schreiben bereit sei, denn bei der Darstellung von Bewegungen sei eben nur das Subjektive, also das Selbsterlebte wahr. So erlaube ich mir denn, bewusst gegen einen Grundsatz des Historikers Leopold von Ranke zu verstoßen und mein SELBST nicht auszulöschen, im Gegenteil, mir mein damali- ges »Selbst« so gut es nur geht, ins Gedächtnis zu rufen. Auch erin- nere ich mich dankbar an meinen theologischen Lehrer Paul Althaus, der mir einmal bei einem Spaziergang erklärte, dass man bei geistigen und politischen Bewegungen jeder Art, und seien sie einem zunächst noch so suspekt, herausfinden müsse, was darin von den sie mittragenden und mitgestaltenden Menschen beson- ders geliebt werden kann. Was an einer solchen Sache »objektiv wahr« sei, müsse man dann den Historikern überlassen. Nun, geliebt konnte in der volksdeutschen Bewegung sehr vieles wer- den, wenn sie auch vielen als gefährlich und suspekt gegolten hat, und wenn es heutzutage auch Mühe macht, seine damalige Ein - stellung und die daraus abgeleitete Aktivität den Nachfahren oder den von Hause aus »Andersgläubigen« verständlich zu machen. Da es also ohnehin unmöglich ist, von den damaligen Generatio - nen und auch von der damals jüngeren Generation verallgemei- nernd zu sprechen oder zu schreiben, werde ich mein persönliches Verhältnis zu Jakob Bleyer darzustellen versuchen, das heißt: ich werde zunächst etwas mehr von meinem Bleyer-Bild erzählen und bei dem späteren Fortgang der Entwicklung dann auch auf den »Wir-Stil« übergehen. Dann eben, wo die jüngere oder etwas spä- ter auch die jüngste Generation schon ausreichend Generations- spezifische Merkmale aufzuweisen hatte. Im Übrigen: In jenen (Fortsetzung auf Seite 18) 17