Sonntagsblatt 2/2016 | Page 14

„ Deutsches Gift ” Selbstredend war den aus Moskau zurückgekehrten führenden ungarischen Kommunisten der Gedanke kollektiver Bestrafung nicht fremd . Enthalten war er im Konzept für eine radikale Bo - denreform , das Imre Nagy , seinerzeit Agrarreferent der „ Mos - kowiter ”, vor Bildung der provisorischen Regierung in Debrecen 1944 ausgearbeitet hatte . Es sah vor , „ Vaterlandsverräter , Kriegs - verbrecher , Mitglieder des deutschen Volksbunds und Personen , die in der Wehrmacht gedient haben , vollständig und entschädigungslos zu enteignen ”. Andererseits propagierten nationalistische Kreise Ungarns die „ Kollektivbestrafung der Schwaben ”. Besonders die Nationale Bauernpartei rührte die Trommel . Ge - neralsekretär Imre Kovács wetterte auf einer Versammlung am 7 . April 1945 : „ Endlich kann Ungarn sein Verhältnis zu Deutschland und zu den Schwaben bereinigen . Die Schwaben haben sich selber aus dem Körper der Nation herausgerissen und in allen ihren Taten bewiesen , dass sie mit Hitler-Deutschland fühlen . Nun sollen sie auch Deutschlands Schicksal tragen . Wir werden sie aussiedeln .” Und „ Kis Újság ”, Parteiorgan der Kleinlandwirte , stimmte ein : Das „ deutsche Gift ” müsse „ ausgeleitet , das deutsche Geschwür aus dem nun heilenden Körper der Nation herausgeschnitten ” werden , hieß es in der Ausgabe vom 18 . April 1945 .
Nationalisten , Turanisten
Für solcherart Nationalismus , der sich zu Kriegsende gegen die „ Schwaben ” Bahn brach , hatte schon im neunzehnten Jahrhun - dert kein Geringerer als István Graf Széchenyi , „ der größte Un - gar ”, die Richtung gewiesen . Sie mündete in Rassismus . Széche - nyi betrachtete „ die Verbreitung des Ungarntums als heiligste Auf gabe eines jeden Magyaren ”. Leute wie er vermochten die nationalen Leidenschaften der Ungarn zu wecken , und bisweilen verwandelten sie sich in Hass gegen alles Deutsche . Sándor Petôfi war dagegen ebenso wenig gefeit wie andere ungarische Dichter , so József Eötvös , János Arany , Endre Ady und Dezsô Szabó : Letz terem galt „ der Deutsche als Feind des Ungarn schlechthin ”. Die Gründe hierfür sind vornehmlich im völkischen Nationalismus zu suchen . Der fand im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert auch unter den Magyaren fruchtbaren Nährboden und seinen Niederschlag in der Propagierung des „ Turanismus ”, des Bekennt nisses zur Zugehörigkeit zu den turanischen Völkerschaften : der Turkvölker , Mongolen , Finno- Ugrier , Kaukasier , Mandschu , Sa mo jeden , Tungusen , Japaner und Koreaner , die mythisch überhöht und literarisch verherrlicht wurden . Magyarentum vollendete sich in den Augen der Turanisten nicht allein in der Beherr schung der ungarischen Sprache , sondern zumal in der Zugehö rigkeit zu ebendieser Rasse . Assimilierte konnten nach dieser Anschauung keine vollwertigen Ungarn werden , deshalb galt : „ Wer nicht assimiliert ist , hat in Ungarn nichts zu suchen .” Vorsitzender der „ Turaner ” war Pál Graf Teleki . Der zweimalige Ministerpräsident nach dem Ersten Weltkrieg sagte von sich : „ Ich bin Asiate und stolz darauf .” Nach Teleki , der durch Selbstmord endete , führte Jenô Cholnoky die „ Ungarische Gesellschaft der Turaner ” ( Magyarországi Turán Szövetség ), die sich vornehmlich gegen Deutsche , Juden und Zigeuner wandte . In den „ Turani schen Liedern ” des Árpád Zempléni , einer Art Nachdichtung von historischen Sagen und Heldengesängen , die unter der Intelligenz Ungarns hoch im Kurs stand , galten Deutsche als „ arische Teu fel ”. Weshalb sich Dezsô Szabó in Analogie zur verklärten Staatsbildung im Mittelalter für eine „ neue , endgültige innere Landnahme der Magyaren ” aussprach und zu diesem Zweck als erstes Mittel „ die rassische Säuberung der Umgebung der Haupt stadt ” propagierte . Und sein jüngerer Schriftstellerkollege Gyula Illyés befand , die „ Schwaben ” seien „ von den Habsburgern in der Absicht angesiedelt worden , die Ungarn zu unterwerfen und zu germanisieren ”; daher könne man sie „ getrost vertreiben ”. Dies war kein Hinderungsgrund für die Alfred Toepfer Stiftung F . V . S ., ihn 1970 mit dem ( zwischen 1964 und 2006 stets an der Universität Wien verliehenen ) Herder- Preis auszuzeichnen .
Blindwütige Magyaromanie
Es gab also lange vor der tatsächlichen Vertreibung in literarischpolitischen Zirkeln diskutierte Pläne zur Um- oder Aussiedlung . Blindwütige Magyaromanie herrschte in den Reihen der Natio - nalen Bauernpartei . Der erwähnte Imre Kovács brüstete sich : „ Wir waren es , die in der Schwaben-Frage die radikalsten Töne angeschlagen haben . In den tieferen Schichten aller ungarischen Probleme steckte schon immer die Schwaben-Frage .”
Zu deren Erörterung berief Ferenc Erdei , Führer der Bauern - partei , zum 14 . Mai 1945 eine interfraktionelle Sitzung der Spitzen der die provisorische Regierung bildenden Parteien ein . Innen - minister István Bibó widerriet kollektivem Vorgehen und wandte sich gegen eigenwillige , überdies ungesetzliche Aktionen wie jene des György Bodor . Dieser rühmte sich seiner Taten als ( selbsternannter ) Regierungskommissar : „ Schloss Apponyi in Lengyel ha - ben wir zum KZ ausgerufen ”; mit Wissen Erdeis hatte er zwischen 25 . und 29 . April in der Branau ( Komitat Baranya ) mehr als 12 000 Bewohner rein deutscher Ortschaften aus Häusern und Höfen verjagen und im Internierungslager Lengyel ( Lendl ) auf freiem Feld hinter Stacheldraht kampieren lassen , bis sie später außer Landes gebracht wurden .
Die Behausungen der Internierten erhielten vorwiegend Angehörige zweier ungarischer Volksgruppen , der Székler Csán - gos , die in die Vojvodina sowie in die Batschka umgesiedelt worden waren und gegen Kriegsende vor Titos Partisanen fliehen muss ten . Die Geschehnisse um das Lager Lengyel waren sozusagen Probelauf für die folgende Kollektivbestrafung der „ Schwa - ben ”. Bibó gelang es indes trotz seines mutigen Urteils über den Volksbund – „ viele traten ihm einfach darum bei , weil sie selbstbewusste Deutsche waren und sich nicht assimilieren lassen wollten ” – und trotz seiner Denkschrift wider deren Vertreibung nicht , deren Schicksal zu mildern . Aus Protest gegen die Zwangsaus - siedlung trat er von seinem Posten als Innenminister zurück , auf dem ihm Ende 1945 Erdei folgte .
Willkommene Enteignungsmaßnahme Bodenreform
So war am 17 . März die Verordnung 600 / 1945 über die von Imre Nagy ( Landwirtschafts- , später Innenminister ; 1956 als Regie - rungs chef Idol der Aufständischen , sodann interniert und hingerichtet , heute einer der Nationalhelden ) entworfene Bodenreform erlassen worden . Sie sah die Enteignung aller „ faschistischen Kräf te ” vor . Betroffen waren davon neben den Pfeilkreuzlern
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