Sonntagsblatt 2/2016 | Page 12

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„ Geschwür im Körper der Nation ”
Monografie mitgewirkt haben . Er betonte , er hätte das Werk nicht zustande bringen können , wenn er nicht lange Jahre hindurch in Ungarn gelebt hätte . Die hiesige Atmosphäre , die unmittelbaren Begegnungen mit den Menschen seien für ihn von besonderer Bedeutung gewesen . In Fünfkirchen begrüßte die Gäste Lorenz Kerner , der Vor - sitzende des Lenau Vereins . Er sagte , er habe sich oft gefragt , warum die Ungarndeutschen nicht fähig waren , ihre Geschichte auf solch hohem Niveau selber aufs Papier zu bringen , er habe aber erkannt , dass zur authentischen Geschichtsschreibung der unbefangene Blick von außen nötig war . Dem Fünfkirchner Publi - kum stellte die beiden Bände Attila Pók vor . Der Historiker und Universitätsdozent hob vor allem die für die Monografie charakteristische ungewöhnliche Betrachtungsweise und die behandelten heiklen Themen hervor . Es kam Seewanns außergewöhnliche Auffassung über die Identität der Deutschen zur Sprache , und Attila Pók erklärte auch , wie ungerecht der bezüglich der Ver - treibung der Ungarndeutschen so oft zitierte Satz des einstigen radikalen Politikers Imre Kovács war , dass nämlich „ die Schwaben mit einem Bündel gekommen sind , und dass sie auch mit einem Bündel gehen sollen ”. Die deutschen Ansiedler hätten ja statt „ einen Bündel voll Habseligkeiten ” wertvolles Wissen und wertvolle Kultur mit sich nach Ungarn gebracht , wodurch sie Jahrhun - derte lang zur Entwicklung des Landes beigetragen hätten .
„ Erinnert wird , um sich seiner selbst als Wir-Gruppe zu versichern , und diese Erinnerung besitzt zugleich eine identitätsstiftende Funktion . Diese Funktion kann das Handbuch freilich nur dann übernehmen , wenn sein Narrativ von der ungarndeutschen Zielgruppe angenommen wird ”, formulierte Gerhard Seewann .
Das rege Interesse für das Buch , sowie auch die Tatsache , dass sein Erscheinen und seine Übersetzung neben der Landesselbst - verwaltung der Ungarndeutschen auch von zahlreichen anderen Organisationen gefördert wurden , zeugt davon , dass die Ungarn - deutschen seine innovative Geschichtsbetrachtung angenommen haben . Die LdU betrachtet die Monografie als ein Standardwerk auf dem Wege zu einer korrekten ungarndeutschen Erinnerungs - kultur .
Bemerkung zu obiger Pressemitteilung
Endlich ! Unsere Geschichte mit deutschem Auge gesehen und ob jektiv geschildert ! Unsere Geschichte , die jeder Ungarn deut - sche kennen sollte . Prof . Seewann gebührt dafür Dank und Ehre ! Lobend soll auch hervorgehoben werden , dass er – sehr richtig - eine Geschichte der Deutschen in Ungarn , also nicht der Ungarndeutschen ! geschrieben hat .
Auffallend ist , dass die ungarische Übersetzung so laut publiziert und gepriesen wird . Dagegen wurde das deutsche Original - werk eben nur bekanntgegeben und kaum empfohlen . Richtig , die ungarische Übersetzung hat den Vorteil , dass sie einen viel breiteren Kreis ansprechen kann und sogar auch von den Ungarn - deutschen verstanden wird . Dennoch müsste das deutsche Ori - ginalwerk tonangebend sein ! So gesehen ist eben auch die Preis - gestaltung der Bücher falsch ! Das deutsche Original ( 2 Bände ) kann man für 20 000 Forint erstehen , die ungarische Übersetzung dagegen zum ( beinah ) halben Preis . Sicher kann man den Unter - schied begründen , dennoch ist eine derartige Preisgestaltung ungerecht , – nicht diplomatisch ! Es ist doch naheliegend , dass nun auch die Ungarndeutschen überwiegend nach der Übersetzung greifen werden , jetzt nicht nur der Sprachschwierigkeiten wegen , sondern hauptsächlich in Anbetracht des Geldbeutels . Mit einem höheren Preis für die ungarische Variante hätte man die Kosten des Originals teilweise kompensieren und somit den Verkaufspreis niedriger gestalten können . Oder spielt diese Ansicht keine Rolle ? – ri –

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VERTREIBUNG und wie es dazu gekommen ist

Jahrzehnte hindurch begann die Beschreibung der Vertreibung der Ungarndeutschen aus ihrer angestammten Heimat mit dem „ Beschluss der Alliierten in Potsdam ”. Als Ursache nannte die Politik und als Sprach rohr die Presse „ Vaterlandsverrat ” und „ Kriegsverbrecher als 5 . Kolonne Hitlers ”.
Es hat lange gedauert , bis man die Alliierten ( allgemein ) von diesem Entscheid – also von dieser Beschuldigung – enthob , und die Haupt - schuld auf die Sowjetunion abwälzte .
Allmählich wurde – ab der Wende 1989 – dann auch die ungarische Regierung der Nachkriegszeit in das böse Spiel mit eingebracht , doch immer mit Erklärungen , die Ungarn als unschuldig hinstellen sollten .
Zuletzt hat Ungarns Prämier Orbán bei der Vertreibungsfeier in Bu - da örs ( 19 . Januar 2016 ) diese ungarische Unschuldslegende damit auf den Punkt gebracht , dass er erklärte , nach Kriegsende habe Ungarn keine souveräne Regierung gehabt , quasi : die ungarische Regierung handelte auf Befehl der sowjetischen Besatzer . Unsere Vertreibung hat tiefe Wurzeln – und die Wurzeln haben verschiedenen Nährboden Wir wollen diesem Thema das ganze Jahr hindurch in allen Folgen des Sonntagsblattes nachgehen und machen deshalb unsere geehrten Leser / Interessenten darauf aufmerksam .
19 . Januar 2016 – 70 . Jahrestag des Beginns der Vertreibung der Ungarndeutschen

„ Geschwür im Körper der Nation ”

Von Reynke de Vos Erschienen in der „ Budapester Zeitung ” Februar 2016 . Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Chefredakteur Jan Mainka .
Ungarndeutsche während der Vertreibung : Sie mussten gehen , weil andere scharf auf ihren Besitz waren .
Man schreibt den 19 . Januar 1946 . In dem von sechs Hun dert - schaften Polizei umstellten Budaörs , einem Budapester Vorort mit deutschem Ortsnamen Wudersch , werden die „ Schwaben ” aus den Betten geholt . Nur das Allernötigste dürfen sie zusammenklauben , bevor sie zum Gemeindeamt getrieben werden , wo man ihre Namen mit auf Listen rubrizierten vergleicht . Weiter geht ’ s zum Bahnhof . In bereitstehenden Viehwaggons verlassen 1058 Bewohner die Ortschaft ; am 30 . Januar kommen sie in Aalen , 80 Kilometer östlich von Stuttgart , an . Ein zweiter Transport mit
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