Sonntagsblatt 2/2015 | Page 12

erwuchsen , erkannte die zeitgenössische madjarische / ungarische adlige-hochadlige Führungsschicht nicht . Dies führte direkt zu Trianon .
Die allmächtige Idee der madjarischen Supremität erreichte auch die unteren Bevölkerungsschichten , mit ihren Herren zusammen , Hand in Hand marschierten sie gen sichere Katast - rophe . Das ist das Wesentliche , alles andere Drumherumreden . Von sich selbst bemerkten sie die Gefahr nicht , aber sie könnten nicht behaupten , dass sie niemand warnte . Aus ganz unterschiedlichen Quellen hat man regelmäßig Warnungen erhalten . Einige , die „ Ernte ” von beinahe 80 Jahren : Széchenyi im Jahre 1835 und 1842 , Eötvös 1865 , Albert Schaffle und Kaiser Franz Joseph I 1871 , Luis Eisenmann 1904 , Jászi 1911 , der kaiserliche Stabschef Conrad von Hötzendorf und der Gesandte in Bukarest , Graf von Czernin 1913 – nur die wichtigsten genannt – wiesen auf die steigenden Gefahren , die aus dem madjarischen Nationalismus , der Unterdrückung der Nationalitäten erwuchsen , hin , und forderten entsprechende Maßnahmen . Nach all dem fragen mich 100 , 150 Jahre später gebildete Menschen in Ungarn , warum man über „ den Großen Madjarischen Nationalismus ” so viel sprechen muss . Um die Warnungen hat sich keiner gekümmert , es hat sich nichts verändert . Genauer gesagt stimmt es so nicht , denn inzwischen ließ Albert Apponyi die Schulen der Nationalitäten schließen und Ministerpräsident István Tisza ließ verlautbaren : In Ungarn gibt es keine Nationalitätenfrage .
József Eötvös wies auf die Bedeutung der Nationalitätenfrage , die Stephan ’ schen Ideen hin : „ Es scheint , als wäre die Sicht , die sich in den Ratschlägen vom Heiligen Stephan an seinen Sohn niederschlug , wonach „ ein Land mit einer Sprache und einer Sitte schwach ist !’ (…) von seinen Nachfolgern als Herrschaftsmaxime akzeptiert worden : Die königliche Macht arbeitete nicht an der Assimilierung der verschiedenen Völker des Landes , sondern sah ihre Aufgabe darin , die Eigenheiten der einzelnen Reichsteile bewahrend das Verhältnis der Völker zur Krone stabil zu halten .” ( Eötvös , 1978 , 359 )
Da unsere Vorfahren , den Warnungen von dem Hl . Stephan , István Széchenyi und József Eötvös zum Trotz , nicht bereit waren , ein Bündnis mit den Nationalitäten einzugehen , waren sie unfähig , in einer gemeinsamen Heimat eines pro forma Stephan ’ schen Staatswesens die Madjaren , Kroaten , Deutschen , Rumänen , Ruthenen , Serben und Slowaken zu einer einzigen politischen Nation zusammenzuschweißen . Die Nationalitäten – verständlich und gesetzmäßig – stellten sich gegen sie und orientierten sich anderweitig . Die Rumänen und Serben in Richtung Mutterland , Rumänien und Serbien , die Slowaken in Richtung Tschechen . Das Ziel der Kroaten war die Unabhängigkeit . Ironie des Schicksals ist , dass ihr alter Traum nach dem Friedensvertrag von Trianon nicht in Erfüllung ging . Sogar waren sie nach 1920 in einer viel schlechteren Position als früher . Innerhalb des Königreichs Un - garn genossen sie eine relative Eigenständigkeit , in Jugoslawien waren sie eine Provinz unter anderen . Für sie war es kaum ein Trost , dass auch „ die Kuh des Nachbarn verendete .”
Es stellte sich heraus , dass es nicht ausreicht , einmal im Jahr die Heilige Rechte herumzutragen , fromm den Heiligen König und die Heilige Krone in Erinnerung zu rufen , auch aus seinen Prinzipien hätte man einige in die Praxis umsetzen sollen . Die Herren des ständischen Ungarn gingen nach ihrem eigenen Kopf und manövrierten das Land gen Trianon . Ihr erinnert euch , was der venezianische Gesandte Francesco Massaro vor vierhundert Jahren über uns sagte : „ Es herrscht kaum Gehorsamkeit unter ihnen , sie sind stolz und arrogant , sie können weder herrschen noch regieren , und nehmen keinen Rat von dem an , der davon etwas versteht .” „ Die stolze Tradition ” hat auch nach Jahrhun der - ten das Gebot der Nüchternheit unterdrückt . Wir wissen , die
Ungarn / Madjaren sind eine Nation , die die Traditionen ehrt . Aber seien wir mal konsequent : Für die Konsequenzen unserer Traditionen , eigener Ungeschicklichkeiten und Irrtümer machen wir doch nicht andere verantwortlich .
200 Jahre Wiener Kongress

Am Wiener Kongress wurde die Weltordnung neu geschrieben

Von Ernst Brandl
Vor 200 Jahren war Wien mehrere Monate lang das politische , kulturelle und gesellschaftliche Zentrum Europas . Die bedeutendsten Herrscher Europas und ihre Abgesandten bestimmten auf dem sogenannten „ Wiener Kongress ” die Neuordnung des Kontinents , der durch die Napoleonischen Kriege seine politische Stabilität verloren hatte . Ab Februar 2015 wird sich ein spezieller Ausstellungsreigen in Wien mit dem Thema „ 200 Jahre Wiener Kongress ” befassen .
Europa besaß damals fünf Supermächte , Österreich , Preußen , England und Russland als Koalition der Sieger über Napoleon , am Wiener Kongress wurde auch das Besiegte Frankreich als Part ner in den Kreis der Entscheidungsträger aufgenommen . Eine kluge Vorgehensweise , denn ein Tribunal mit Ausschluss Frank reichs hätte keine stabile Ordnung gebracht . Eine Handvoll pragmatischer Männer , keine Monarchen , sondern die führenden Minister , hatten die Verantwortung für die Neugestaltung Euro pas . Die Entscheidungen wurden von den Ministern in Sepa ratkonferenzen verhandelt und dann dem allgemeinen Kongress vorgelegt und beschlossen . Manche Beschlüsse haben bis heute Gültigkeit .
Der Wiener Kongress begründete etwa die Schweizer Neutra - lität . Bis zur Niederlage Napoleons in den Befreiungskriegen 1813 war die Schweiz ein französischer Vasallenstaat . In Wien im „ Komitee für die Eidgenossenschaft ” gab es ein zähes Ringen der Delegierten . Das Ergebnis : Die souveränen Kantone rückten unter Druck enger zusammen , somit wurden am 20 . März 1815 die Grenzen proklamiert , die bis heute in etwa die Grenzen der Schweiz geblieben sind . Zugleich wurde die dauernde Neutralität der Schweiz festgelegt , sie erscheint heute als Selbstverständlich - keit , wurde aber 1814 / 15 durch Diplomatenarbeit hart erarbeitet .
Der Wiener Kongress leitete auch das Ende des europäischen Sklavenhandels ein . Englands Außenpolitik am Wiener Kongress war eher pragmatisch , aber in einem Punkt war sie stur : England verlangte von den anderen europäischen Mächten die Abschaf - fung des Sklavenhandels . Frankreich , Spanien und Portugal kämpften mit allen Mitteln dagegen . So kam am 8 . Februar 1815 eine Erklärung zustande . Ein nennenswerter Rückgang des Sklavenhandels gelang allerdings erst ab den 1850er Jahren – die betroffenen Staaten hatten auf eine Übergangsfrist bestanden .
Erst im August 2014 feierte das niederländische Königshaus das 200 Jahr-Jubiläum . Zu verdanken ist das ( auch ) dem Wiener Kongress . Denn die Neuordnung Europas sollte Frankreich mit starken Mächten einkreisen . Daher gründete man im Norden das Vereinigte Königreich der Niederlande , eine Zusammenfassung der belgischen und niederländischen Provinzen zu einem Staat mit einem Fürsten aus dem Haus Oranien an der Spitze , der auch das Großherzogtum Luxemburg mitregierte . So entstand ein Staat von 65 000 Quadratkilometern und annähernd sechs Millionen Einwohnern , mit mächtigen Bankhäusern , holländischen Häfen und der belgischen Industrie .
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