Sonntagsblatt 1/2016 | Page 8

Diese Zeilen stammen aus einem Brief Bleyers, geschrieben im Juni des Jahres 1932. Zu einer Zeit, als der von ihm erwähnte Kampf sich erst so richtig zuspitzte, als seine Volkstumspolitik mehr und mehr klare, schärfere Konturen annahm. Niemand konnte ahnen, dass 18 Monate später Bleyer sein deutsches Volk in Ungarn für immer verlassen wird. Um diese als „Vermächtnis” eingestuften Zeilen richtig verste- hen zu können, müssten wir Bleyers Lebensweg gut kennen, was bei unseren Landsleuten von heute leider nicht zutrifft, da Bleyer in ungarndeutschen Kreisen allgemein nicht – oder eben kaum – bekannt ist, nachdem er ja von Selbstverwaltung und Presse totge- schwiegen wird. Warum? – dafür weiß ich keine Erklärung. Erziehung in zwei Kulturen Im Elternhaus wurde Jakob Bleyer so ganz selbstverständlich „schwäbisch” erzogen, nach alten Sitten und Bräuchen, streng kat - holisch, die ortsübliche deutsche Mundart sprechend. Doch der begabte Junge sollte ja „etwas werden”, also brachte man ihn mit 11 Jahren nach Neusatz/Újvidék in das ungarische Gymna sium. In seinem später verfassten Abschied vom Elternhaus (siehe nachste- hend) klingt bereits der „große Wechsel im Leben” heraus. Ich spielt mein letztes Kinderspiel So froh und sorgenfrei. Da schlug hinein die Scheidestund, Und alles war vorbei. Zwar schweren Herzens zog ich an Ein neues, feines Kleid. Das alte schlichte zog ich aus; Die Kinderseligkeit. Da küsste ich heiß dem Mütterlein Die blasse, welke Wang; Sie weinte, weil mir ward ums Herz So bang, so sterbensbang. Die Pferde zogen traurig an, Das Tor flog stöhnend zu. Verschlossen hat’s auf ewig mir Der Kindheit Glück und Ruh. Hier im Gymnasium versuchte man nun aus dem Schwaben - jungen einen echten Madjaren zu erziehen. Nicht eben ohne Erfolg. Ungarische Sprache, ungarische Geschichte, madjarischer Geist… Die Umerziehung fand im Kalotschaer Jesuitengym - nasium ihre Fortsetzung. Glücklicherweise gab es hier auch „deut- sche” Lehrkräfte aus dem Ausland, die das angeborene Volks - bewußtsein des begabten Schülers stärkten, so dass Bleyer bereits in der vierten Klasse des Gymnasiums sich den Scherznamen „Pangermane” zuzog. So kam es, dass er sich wider Erwarten nach dem Abitur nicht dem Theologiestudium, sondern der Philologie zuwandte. In Budapest begann er das Studium der Germanistik, der deutschen Sprache und Literatur. 1897 wurde er an der Univer - sität Budapest zum Doktor promoviert. Sehr bald wurde er als Wissenschaftler – Forscher, Historiker – auch über die Landes - gren zen hinaus bekannt. Sein Lebenswerk galt der Erforschung der geistigen und kul- turhistorischen Zusammenhänge zwischen Madjarentum und Deutschtum, besonders der Förderung der kulturellen Interessen, der volklichen Eigenheiten und Traditionen des deutschen Volkes in Ungarn, um diesem einen neuen Glauben an sich selbst zu ge - ben, denn die Madjarisierungspolitik des Staates hatte ihn zer- 8 stört. Er war fest davon überzeugt, auf Wahrheit eingestellte For - schung werde allen deutschen Volksgruppen das unverlierbare Bewusstsein einprägen, dass sie in ihrer Heimat keine Fremden seien und ihnen die Würde europäischer Kulturträger zukomme. Seine Arbeiten erstreckten sich bald auf die Erforschung aller geistes- und kulturhistorischen Zusammenhänge zwischen Madja - rentum und Deutschtum. Deshalb gründete er 1929 die Deutsch– Ungarischen Heimatblätter, in denen die ungarländischen Deut - schen, die Donauschwaben, als Volk das hauptsächliche Ziel sei- ner und seiner Schüler Untersuchungen wurden. Die vier Jahr - gänge der von ihm gegründeten Heimatblätter, die bis zu Bleyers Tod erschienen, sind das Bedeutendste und Vielfältigste, was die Deutschtumsforschung in Ungarn jemals hervorbrachte; sie be - wirkten, dass sich die Geschichtserforschung in diesem Land von der Staats- zur Volksgeschichte hinzuwenden begann. Der durch Jahrhunderte andauernde tiefgreifende geistige Einfluss, die während der Türkenkriege „beharrliche, mitleidige Hilfe” des deutschen Volkes und dessen Anteil an Ungarns Be - freiung und Wiederaufbau waren offensichtlich zu groß, als dass der Nationalstolz der Madjaren es ertragen konnte. Graf Stefan Széchenyi und seit ihm die madjarischen „geistigen Fackeln” wandten sich zunehmend dem Osten zu; die ungarische Literatur nahm eine entschieden deutschfeindliche Haltung an; aus dem Retter und Helfer machte man allmählich den „größten Feind und ältesten Fluch des Madjaren.” Stolpersteine auf dem Lebensweg Jakob Bleyers Diesen deutschfeindlichen Charakter der ungarischen National - literatur und der gesamten madjarischen Geistigkeit hat Bleyer nicht durchschaut, obwohl der Betrug mit der leidenschaftlich ver- breiteten Kurutzenideologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts of - fen kundig geworden war und der „Turanismus” sich mit bewusst deutsch- und europagegnerischen Geschichtsfälschungen u