Sonntagsblatt 1/2016 | Page 30

– mit 5000 Betten weltgrößtes Hotel, Mirage, The Golden Nugget, Tropicana, Imperial Palace, Excalibur, Luxor und wie sie sonst noch heißen. Selbst welterfahrene Reisende kommen nicht aus dem Staunen. Es ist fast Mitternacht und noch immer hat es 35 Grad. Wir wohnen nach einem Rundgang durch etliche Etab - lissements einer Piratenshow im Freien bei; die Mannschaften zweier Schiffe bekämpfen einander im Wasser mit Kanonenfeuer. Julio Iglesias’ Name lockt auf einer riesigen Leuchtreklametafel. Gegenüber, in Bally’s Casino, singt Engelbert. Die 850 000 Einwohner-Stadt mit ihren 60 000 Hotelbetten ver- zeichnet die höchste Zuwachsrate in den USA, bietet doch die Glückspielindustrie Arbeitsplätze mit reichlichen Trinkgeldern. Vor allem sind es Kalifornier, die nach Las Vegas kommen, denn hier finden sie preisgünstige Häuser. Am weltberühmten, 5 km langen „Strip” sucht man nicht nur Casinos auf. Hier boomt auch der Heirats- und Scheidungstourismus. Viele Weltstars geben sich in der berühmten Little–White-Chapel das Ja-Wort... In Las Ve - gas zu sein, ohne zu spielen, hieße Wien ohne Heurigen und Mün - chen ohne Bierkeller. Es ist kurz vor Mitternacht; zurück im Ex - calibur, „spiele” ich also: 4 mal 25 Cent. Waltraud versucht es eben falls: 8 mal 25 Cent. Wir haben unsere Alibi-Pflicht Las Vegas gegenüber getan. Überall buhlt man um den Gast, der ist hier König, im Morgengrauen jedoch vielleicht schon zum Bettler ent- spielt... Doch wes’ Leidenschaft zähmt sich ganz von selbst? Aufbruch durch die Wüste 9 Uhr früh: noch immer oder schon wieder 30 Grad. Wir verlas- sen Las Vegas in Richtung Norden. In der Wüste Nevada gelan- gen wir durch das 3000 Quadratkilometer große militärische Sperrgebiet, wo seit 1962 angeblich keine Atomtests mehr ge - macht werden. Eine Autostunde von Las Vegas entfernt sichten wir ein gewis- ses Etwas in der Wüste: ein Chicken-House. Wir denken an eine Hühnerfarm. Falsch: Es ist eine andere Art von Farm: das Freu - denhaus Amargosa, bestehend aus vier aneinandergereihten Gebäuden à la Western-Saloon, davor ein einsatzbereiter Gal - gen... In den USA ist Prostitution nicht erlaubt, ausgenommen in Nevada. Da Las Vegas sich aber familienfreundlich gibt und der Kunde sein Geld beim Spielen und nicht anderswo anbringen möge, hat man die Damen delogiert. Endlose Kilometer durch die Wüste im Westen Nevadas. Paral - lel verläuft jenseits der Grenze, in Kalifornien, das Tal des Todes (Death Valley),mit 57 Grad Celsius erreicht es die höchste auf der Erde gemessene Temperatur. Wir kommen durch die einstige Goldgräberstadt Goldfield mit einigen historischen Bauten – Relikte aus Wild-West-Tagen. Die dünn besiedelte Wüste – von den 1 Million Einwohnern leben fast alle in Las Vegas (850 000), in Reno oder Carson City – hat ihre goldenen Zeiten längst hinter sich. Heute wird lediglich noch Kupfer abgebaut. In der Sierra Nevada... Über den 3200 Meter hoch gelegenen Tioga-Pass gelangen wir in die wunderbare Bergwelt der Sierra Nevada, die mit ihren schnee- bedeckten Gipfeln über 4000 Meter, bereits auf kalifornischem Gebiet liegt. Die kalifornische Grenzkontrolle ist streng: nicht Pässe, sondern Lebensmittel werden kontrolliert, denn man be - fürchtet, in Obst, Gemüse und Fleisch Schädlinge, die Kaliforni - ens Landwirtschaft gefährden könnten, einzuschleppen. Die Natur entschädigt uns: der Yosemite-Nationalpark, eine Perle der Natur und Prunkstück der USA; sauerstoffreiche Luft, glasklare Seen, würziger Duft von Nadelbäumen, die sich unge- niert in den Himmel schrauben. Hier, wo die Baumgrenze bis 3500 Meter ansteigt, sind die Schwarzbären zuhause. In Mam - mothLakes, dem größten Skigebiet der USA, erreichen die Tem - 30 pe raturen immer noch stolze sommerliche Werte. Dafür ent schädigt uns die Kühle der Nacht im komfortablen Holz - bau des Quality-Inn. Man soll- te an diesem Ort den Zeiger der Uhr für Tage oder Wochen anhal- ten können... An der Westseite der Sierra Nevada bergab säumen wieder Kakteenfelder die Straße, dazwischen vereinsamte Föhren: welch eine Mixtur! Im Sonnenstaat Kalifornien Über die Westhänge der Sierrea Nevada gelangen wir ins Central Valley Kaliforniens. Der Traum aller Amerikaner heißt Kali for - nien: Sonnenstaat, sein Beiname; Naturschönheiten, wirtschafts- stark. Kalifornien kann alleinstehend als siebte Wirtschaftsmacht der Welt gewertet werden. 1846 löste es sich von Mexiko, 1850 wird es 31. US-Staat. Hier ist Alkohol ebenso verpönt wie Ziga - ret tenkonsum. Fitnessbewusst trainieren Kalifornier aller Alters - gruppen Geist und Körper. Durch ein ausgeklügeltes Kanalsystem hat man der Wüste viel Land abgerungen: Kalifornien ist stolz auf seine 150 verschiede- nen landwirtschaftlichen Produkte. Von Feigen und Ananas bis Baumwolle, von hochwertigem Fleisch bis Wein wird alles Begeh - renswerte geliefert. Dazu ein buntes Völkergemisch: Jeder fünfte Kalifornier – mit 29 Millionen der bevölkerungsreichste US–Staat – ist Lateinamerikaner. Asiaten, Polynesier, Indianer und Euro - päer leben einträchtig und prägen das Straßenbild. Die mächtigen Ballungsräume Los Angeles, San Francisco und San Diego haben sich zu ernsten Rivalen der Megalopolis an der Ostküste entwik- kelt. Von Wüste und subtropischem Klima bis zum ewigen Schnee weist Kalifornien ein differenziertes Landschaftsbild auf. Verrücktes Amerika Es wäre nicht Amerika, wenn alles normal wäre. Doch wo liegen die Grenzen der Normalität? Etwa in jenem italienischen Spei - seeissaloon San Franciscos, wo auch Knoblaucheis serviert