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2015.02.12.
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Komitaten Weißenburg, Wesprim, in der Schomodei und Tolnau,
im Donau-Theiß-Zwischenstromland und in einigen weiteren
Orten niedergelassen. Während der mehr als tausendjährigen
gemeinsamen Geschichte kamen die Kriege meist von außen,
während die in Ungarn heimisch gewordenen Deutschen im
Wesentlichen konfliktfrei und friedlich mit den anderen Nationen
zusammenlebten. Dann kamen die beiden Weltkriege und
schließlich wurde ein Großteil der 300.000 – 400.000 Seelen zäh-
lenden deutschen Minderheit aufgrund eines Beschlusses des
ungarischen Ministerrates vom 17. Dezember 1945 nach
Deutschland ausgesiedelt und deportiert. Die Wetschescher
schwäbische Gemeinschaft wurde auch nicht verschont. Über die
Eregnisse von vor 70 Jahren sowie über die Gegenwart und
Zukunft der Ungarndeutschen hat Levente Sükösd mit Michael
Frühwirth, einem der Gründer des Wetschescher Heimat -
museums, das vor drei Jahren eingerichtet wurde, gesprochen.
Levente Sükösd (LS): Ich rechne nach, wieviele Jahrzehnte von
1946 bis 2014 vergangen sind… Wenn man hier durch die Räume des
so genannten Heimatmuseums, einer ehemaligen schwäbischen
Wohnung, spaziert, dann meint man die Atmosphäre des Alltags von
damals zu spüren.
Michael Frühwirth (MF): Die Welt hat sich seitdem sehr verän-
dert, damals war diese bäuerliche Lebensform mit viel mehr kör-
perlicher Arbeit verbunden, und was das Haus nicht zeigen kann,
das sind Hof und Wirtschaftsgebäude. Da sie von dem Besitzer
nicht mehr gebraucht wurden, ließ er sie dann abreißen. Also, das
ist nicht diese Welt.
LS: Aber, so denke ich, wird die Mentalität tradiert, auch wenn es eine
längere Zeit gab, Jahrzehnte, in denen es versucht wurde, diese in den
Köpfen zu löschen. Was ist von der Mentalität übriggeblieben, die der
Gemeinschaft Leben einhauchte?
MF: Das Wichtigste ist, so denke ich, ihr Fleiß. Die Wetschescher
Schwabenfamilien mussten nach dem Weltkrieg zweimal neu
beginnen. Es wird mehr über die gesprochen, die vertrieben wur-
den, und weniger über die, die hier geblieben sind.
LS: Es gab ein großes Trauma, was die Ausgesiedelten überleben
mussten, aber die Integration gelang doch nach einer gewissen Zeit,
der Hoffnungsschimmer eines neuen Lebens fing an zu glänzen, die
hier Gebliebenen sollten es hingegen viel schwerer gehabt haben.
MF: Der Hansi Bayer, der als junger Bursche ausgesiedelt wurde
und den wir gut kannten, sagte einmal, meine Frau stand dabei:
„Weißt Du, wenn ich heimfahre, wie schwer es ist, an unserem
Haus vorbeizugehen?!” Meine Frau entgegnete: „Weißt Du, wie
schwer es einem fällt, fast jeden Tag an unserem Haus vorbeizuge-
hen?!” Wenn Sie das auf der Zunge zergehen lassen, dann stellen
Sie fest, dass eine ganze Menge Wahrheit drinsteckt, denn viele
der Daheimgeblienen wurden enteignet, da an die Stelle der
Vertriebenen noch nicht die aus dem ehemaligen Oberungarn
kamen, sondern eher die von der Tiefebene, Agrarproletarier
oder die Hewescher Landarbeiter, und bis die Madjaren aus dem
ehemaligen Oberungarn verfolgt wurden, konnten nur noch die
Reste verteilt werden. Und das war ein nächstes Trauma, als man
im eigenen Haus den Schwaben ertragen musste, der sein Haus
verloren hat. Das war schwieriger als die Vertreibung selbst, das
war eine tragische Geschichte. Wir sprachen dann noch gar nicht
von der Verschleppung: Bevor der Frieden einkehren konnte,
wurden zweihundert Menschen im arbeitsfähigen Alter, nicht nur
Männer, sondern auch Mädchen und Frauen verschleppt, also das
war das Erste, im nächsten Jahr folgte die Aussiedlung, danach
das Einquartieren, und sie sollen sich das so vorstellen, dass man
sich binnen eines Jahrzehnts so auf die eigenen Füsse stellt, dass
man nach 1956 begann, Häuser zurückzunehmen. Denn derjeni-
ge, der vom Staat sozusagen als Geschenk ein Haus erhalten hat,
der fühlte sich in gewissem Sinne unwohl, und er wünschte sich ein
Schriftstück, worauf steht, dass er das Haus gegen Bargeld erwor-
ben hat. Und dann begann man, alte Bauernhäuser zu verkaufen,
das wurde entweder von dem Besitzer, der sich in Ungarn aufhielt,
oder von der Verwandtschaft zurückgenommen, und so stellte
man sich wieder auf eigene Füße. Fünf Jahre später folgte die
Kollektivierung: Die neu hergerichteten Wagen und die Pferde
wurden weggebracht. Die Geschichte, die mich bislang am meis-
ten berührte, ist mit der Gasse, die zum Bahnhof führt, verbun-
den: Dort gab es eine Näherei und die Böckl Lissi-Basl erzählte
mir: „Weißt Du, Michi, ich habe noch nichts Grausameres erlebt,
als die Bauern ihre Pferde zum Bahnhof brachten, sie weinten
dabei, das war auch ein großes Trauma. Unter den LPGs gehörte
Wetschesch nicht zu den schlechtesten, denn nach einer gewissen
Zeit erkannte man, dass man schaffen muss, und möglicherweise
war es von Vorteil, dass man in der Wetschescher LPG Teilbewirt -
schaftungstechniken entwickelt hat, wo das Eigeninteresse doch
eine Rolle spielte, und so konnte die traditionelle Bewirtschaftung
auf diesen Hauswirtschaftsparzellen und den angemieten Flächen
ein Stück weit fortbestehen.
LS: So stellt sich oft die Frage nach dem Geheimnis der Wetschescher
Kraut, und es gibt irgendwelche geheimnisvolle Verweise auf die Tech -
nologie, die versteckten Geheimnisse, aber ich habe den Ver dacht,
dass das Geheimnis ganz woanders zu suchen wäre, also viel eher bei
der Mentalität.
MF: Ganz sicher. Ich pflege zu sagen: Um ein Produkt verkaufen
zu können, muss man auf dem Markt erscheinen. Dazu bedarf es
einer Haltung. Es ist sehr wichtig, was derjenige für einen Cha -
rakter ist, der hinter dem Pult steht, wie pedant er ist, sauber, wie
gut die Ware für den Verkauf vorbereitet ist. So kann man den
guten Ruf aufrechterhalten. Fleiß spielte eine große Rolle. Wenn
man bedenkt, Wetschesch entstand 1786, besiedelt wurde es nicht
durch Siedler aus Deutschland, sondern durch Siedler aus den
bereits übervölkerten Anrainergemeinden wie Schorokschar,
Taks, Harast, oder wenn man die Ofner Seite nimmt, aus Ko -
watsch, Weindorf, von dort kamen Familien, so führte ihr Weg
hierhin, weil sie Mut hatten. Als Grassalkovich verlauten ließ, dass
hier 50 Grundstücke mit Boden und Feldern zur Verfügung ste-
hen, dann brachten sie Mut auf. Der Großvater meines Urgroß -
vaters ist in Taks geboren, wurde in der Innerstädtischen Pfarr -
kirche getauft, heiratete auf Tschepele, ließ Kinder in Sári und
Monor taufen und war bereits 1786 in Wetschesch. Wenn man
bedenkt, diese Art von Mobilität ist heute eher untypisch. Der
Beweggrund war sicherlich das, dass er etwas erreichen wollte,
und diejenigen, die aus anderen Gemeinden hierher kamen, ha -
ben es statistisch belegt weiter gebracht als die in den umliegenden
Dörfern. Aus den Statistiken geht eindeutig hevor, dass während
in den Nachbardörfern traditionelle Bodenwirtschaft betrieben
wurde, übergingen die Wetschescher ganz schnell zur Gemüsepro -
duktion, sie wurden marktorientiert, unter anderem wegen der
Nähe zur Hauptstadt, und nach der Vereinigung von Ofen, Alt -
ofen wurde es ein Abnahmemarkt, oft brachen an die 100 Pferde -
wagen gen eines einzigen Marktes auf, die suchten dabei auch die
Ofner Seite auf. Die Position der Frauen in der Familie war sehr
stark, sie wurden aktive Bestandteile der landwirtschaftlichen
Produktion. Die Ereignisse, die für die Gemeinschaft Gelegenheit
für Zusammenkommen boten, die verlieren an Bedeutung. Ich
sage oft, dass ich die Generation meiner Kinder noch aus der
Kirche kannte, jetzt lerne ich sie dort nicht mehr kennen. Die
Eregnisse, die die Gemeinschaft zusammenschweißten, die waren
die Hochzeiten, wo man auch den einladen musste, den man nicht
so recht leiden konnte, und wo man doch die Gelegenheit hatte,
sich zu versöhnen. Sehr viele Motive sind bis heute fade gewor-
den. Das größte Problem ist der Sprachverlust, wenn sie beden-
(Fortsetzung auf Seite 14)
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