PhotoWeekly 27.11.2019 | Page 23

Praxis M OT I V-T I P P S  23 POLARLICHTER Auf der Suche nach den magischen Lichtern Thomas Kast ist polarlicht-verrückt. Er steht sich lieber bei -30 Grad nachts die Beine in den Bauch und friert sich die Finger ab, bevor er auch nur eines der magischen Lichter verpasst. Text: Tarja Prüss, Fotos: Thomas Kast 68. Breitengrad, irgendwo in the middle of nowhere in Finnisch Lappland, weit nach Mit- ternacht. Man sieht seine eigene Hand vor Augen nicht. Das Thermometer zeigt -12 Grad, doch durch den Wind fühlt es sich gut zehn Grad kälter an. Thomas Kast steht an einem zugefrorenen See und das Einzige, was man hört, ist alle paar Sekunden das Klicken seiner Kamera. Kast, geboren in Karlsruhe, lebt seit bald 20 Jah- ren in Oulu in Nordfinnland. Seine Passion: Polar- lichter, in der Fachsprache Aurora Borealis. Dafür hat er seinen Job bei Nokia an den Nagel gehängt. Wenn Lady Aurora am Himmel tanzt, dann gibt es für ihn kein Halten und keine Ausreden. Dann muss er da raus. Egal, wie spät oder wie kalt es ist. Löcher in der Wolkendecke Seine Reiseteilnehmer aus aller Welt lieben ihn da- für. Mit Salamapaja veranstaltet er Polarlichtreisen in Kleingruppen für Fotoenthusiasten. „Wenn wir ja- gen, jagen wir nicht Polarlichter, sondern Löcher in der Wolkendecke,“ erzählt Thomas. Das Wetter ist ein entscheidender Faktor. Um einen klaren Ster- nenhimmel zu finden, fährt er schon mal zwei, drei Stunden durch die Einsamkeit Lapplands.  14 mm (KB) | f/2,8 | 6 s | ISO 1600 Bedingungen So studiert er laufend die Wetter- für Polarlichter karten, aber auch Sonnenwinde,  geomagnetische geomagnetische Aktivitäten und Aktivitäten auf der Sonne Eruptionen auf der Sonnenober-  klarer Himmel fläche. Denn genau da nehmen  Dunkelheit die Polarlichter ihren Anfang.  wenig bis gar „Diese Idee, dass diese Miniparti- keine Lichtver- kel von der Sonne Millionen Ki- schmutzung lometer unterwegs sind im All,  Ende August bis Mitte April dann in unsere Erdatmosphäre rauschen, auf kleine, andere Teil- chen treffen und uns letztlich das Polarlicht schen- ken, das ist unbegreiflich. Und egal, ob es ein großes oder ein kleines Polarlicht ist, es ist jedes Mal ma- gisch“, gerät Thomas ins Schwärmen. Die Teilchen werden vom Magnetfeld der Erde angezogen, deswegen sind sie auch nur im Umkreis der Pole sichtbar. Dennoch ist die Vorhersage von Polarlichtern weiterhin eine Wissenschaft für sich. Es braucht schon eine Menge Erfahrung, Wissen und eine gute Portion Intuition, um zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Denn KP-Werte allein (planetarische Kennziffer der geomagnetischen Aktivität) sind keine verlässliche Quelle, viele Vorhersage-Apps zu ungenau. Ausrüstung für die Polarlicht-Fotografie Um Polarlichter digital einfangen zu können, sollte man seine Kamera gut beherrschen. Oft sind meh- rere Belichtungsreihen notwendig. „Ich beginne meist mit offener Blende f/2.8, ISO 2.000 und 10 Se- kunden. Dann arbeite ich mich an die optimale Be- lichtung ran.“ Da Licht-, Mond- und Wolkensituation variieren, müssen die Einstellungen immer wie- der neu angepasst werden. Die Kamera sollte ma- nuell bedienbar sein und längere Belichtungszei- ten zulassen. Ideal sind ein Weitwinkelobjektiv, ein robustes Stativ und eine Stirn- Technische Vor- lampe, um sich in der lapplän- aussetzungen dischen Nacht zurechtzufinden.  Kamera mit Lang- zeitbelichtung und Zudem sollte man Ersatzakkus manuellen Einstell- möglichkeiten dabeihaben, denn die Kälte senkt  mehrere Objek- die Laufzeit von Batterien enorm. tive (Weitwinkel Und last but not least: passen- und Zoom) de Kleidung. Selbst im Herbst ist  Stativ mehrlagige Kleidung und guter  Stirnlampe Schutz für Kopf, Hals und Hände  ausreichend Bat- terien und Spei- empfehlenswert. „Wenn es da cherkarten oben tanzt, friere ich nicht. Oder  optional: Fernaus- nicht mehr. Dann habe ich keine löser und verschie- dene Filter Zeit zu überlegen, ob es kalt ist“, sagt Thomas.  14 mm (KB) | f/2,8 | 8 s | ISO 6.400  14 mm (KB) | f/2,8 | 4 s | ISO 2.000 Dunkle Flecken und keine Hektik Wegen der geringen Lichtverschmutzung ist Lapp- land geradezu ideal für Nachtfotografie. Die Ein- wohnerdichte beträgt nur noch zwei Einwohner pro Quadratkilometer. Da trifft man eher ein Rentier als ein Auto. „Im Herbst fotografiere ich gerne am Was- ser, weil sich die Polarlichter dann spiegeln. Im Win- ter suche ich lieber höher gelegene Plätze auf, mit dick verschneiten Bäumen und Schutz vor Kälte einem weiten Blick auf die schla-  Mehrere Schich- fende Landschaft.“ Intuition und ten: Thermo-Un- terwäsche, Wollsa- Stimmung spielen auch hier eine chen, Fleecejacke, Winterjacke, Ther- wichtige Rolle. mohose, Schal Die Reisenden, die Thomas zu  Mehrere Lagen seinen Plätzen führt, schätzen auch für Hände, Füße und Kopf vor allem seine Professionalität, sein enormes Wissen über die Po-  ev. Handwärmer, Zehenwärmer, larlichter und seine mittlerweile Bodywärmer finnische Gelassenheit. „Wir ha-  Thermoskanne mit heißem Tee ben nie Eile, außer der Himmel ist grün oder rosa, dann ist Hektik angesagt,“ sagt Thomas lachend. Die Magie der Polarlichter Und so stehen wir in der nächtlichen Finsternis, vergessen die Kälte angesichts des unfassbaren Spektakels und staunen. Staunen über die Bänder, die sich über den Himmel ziehen, auseinander driften, aufflackern oder sich aufbäumen. Betörend schön, wie sich die grünen Himmelslichter immer wieder neu zusammensetzen und neue Forma- tionen bilden.  14 mm (KB) | f/2,8 | 4 s | ISO 1.600  16 mm (KB) | f/2,8 | 0,8 s | ISO 6.400 Kein Wunder, dass sich zahlreiche Mythen darum ranken. Nach altem Glauben seien es die Ahnen, die Kontakt aufnehmen möchten. Oder der Polar- fuchs, der über die Fjells rennt und dabei mit sei- nem Schwanz Schnee aufwirbelt, weswegen Polar- lichter in Finnland bis heute revontuli (Fuchsfeuer) heißen. „Als ob die Polarlichter durch die Mythen so etwas wie eine Seele eingepflanzt bekommen. Vor allem die Vorstellung, dass die Ahnen da die Finger im Spiel haben könnten, hat etwas Faszinierendes.“ Der Magie der Polarlichter kann man sich nicht entziehen. Bis heute lassen sie sich nicht genau vorhersagen. Es gibt keine Garantie. Und keinen Gewöhnungseffekt. „Polarlichter sind jedes Mal an- ders. Und jedes Mal schön. Das Adrenalin und die Glücksgefühle – einfach unbeschreiblich.“ Die Autorin: Tarja Prüss ist Journalistin, Autorin und Fotografin mit finnischen Wurzeln. Über ihre Erlebnisse in Finnland schreibt sie auf Tarjas Blog. Instagram: @tarjasblog.de Der Fotograf: Thomas Kast ist Fotograf und ver- anstaltet mit Salamapaja Foto-/Abenteuerreisen in Kleingruppen in Finnisch Lappland. Instagram: @thomaskast1