PhotoWeekly 20.03.2019 | Page 26

Interview JUDITH DÖKER  26 „Die Sprache des Herzens ist universell.“ Die Schauspielerin, Buchautorin und Fotografin Judith Döker zeigt mit ihren emotionalen Bildern, welch enorme Kraft in uns Menschen ruht. Fotos: Judith Döker, Interview: Thomas Probst Für Judith Döker ist die Foto- grafie das ideale Medium, um Gefühle und Emotionen sichtbar zu machen. Nachdem sie zwei Jahre in der indischen Metropole Mumbai gelebt hat, besuchte sie Flüchtlingscamps im Libanon, hat Menschen in pakistanischen Dörfern getroffen und ehemalige Kindersoldaten in Kolumbien nach ihrer Vorstellung von Glück befragt. Judith Döker möchte mit ihren Porträts die Stärke und den enormen Lebenswillen in uns Menschen hervorheben. Wir ha- ben mit der Fotografin in einem kurzen Interview gesprochen. Zur Person: Judith Döker stu- dierte acht Semes- ter Jura, bevor sie sich der Schau- spielerei widme- te. 2012 zog sie für zwei Jahre nach Mumbai, Indien und schrieb darüber das autobiografi- sche Buch „Judith goes to Bollywood“. 2015 begann sie ihre Karriere als Fotografin. judith-doeker.de Frau Döker, Sie sind auf Ihren Reisen vielen Menschen begegnet, die zum Teil schwere Zeiten durchgemacht haben. Wie gehen Sie auf diese Menschen zu? Bei meiner Arbeit als Fotografin gehe ich sehr intui- tiv vor. Meine Erfahrung ist, dass Menschen sich sehr gerne öffnen, wenn man ihnen mit echtem In- teresse und einer wohlwollenden Neugier begegnet. Um das zu vermitteln, bedarf es noch nicht einmal einer gemeinsamen Sprache. Das funktioniert auch non-verbal. Denn die „Sprache des Herzens“, wie ich sie gerne etwas pathetisch nenne, ist universell und wird überall auf der Welt sofort verstanden, egal ob in einem pakistanischen Dorf, in libanesischen Flüchtlingscamps, im kriegsgeschüttelten Syrien oder in den Favelas Kolumbiens. Viel wichtiger als perfekte Lichtverhältnisse oder ein irres Equipment ist mir, dass ich mich mit dem Menschen, den ich vor der Kamera habe, verbinde und versuche, seine innere Schönheit zu erspüren. Das macht es für mich lebendig. Das Porträt wurde bei den Internatio- nal Photography Awards (USA) ausgezeichnet. Ein muslimisches Mädchen in Kal- kutta, Indien. Vermutlich war nicht jeder bereit, sich foto- grafieren zu lassen. Wie gehen Sie mit solchen Reaktionen um? Ich bin immer wieder positiv überrascht, wie viele Leute sich gerne fotografieren lassen. Aber natür- lich kommt es auch vor, dass Menschen das nicht wollen, und das kann ganz unterschiedliche Grün- de haben. Den größten Fehler, den man meiner Mei- nung nach in solch einer Situation machen kann ist, diese Entscheidung persönlich zu nehmen, oder dem Menschen gar ein Foto abzuringen. Ich habe mit der Zeit gelernt, die Leute eher darin zu bestär- ken, eine gute Entscheidung für sich selbst zu tref- fen, mit der sie sich dann auch wohlfühlen. Judith Döker be- suchte ein Flücht- lingscamp im Liba- non, nahe der syri- schen Grenze. Ein Mädchen in einem Flücht- lingscamp nahe Beirut, Libanon. Für Ihr neuestes Projekt, einen Film zum Thema „Drei Fragen: Glück“, haben Sie viele Menschen danach gefragt, was Glück für sie bedeutet. Wie hat Ihnen die Fotografie dabei geholfen, diese Antworten „fühlbar“ werden zu lassen? Für „Drei Fragen: Glück“ porträtiere ich Menschen quer durch alle gesellschaftlichen Schichten und stelle ihnen folgende drei Fragen: 1. Wann warst du das letzte Mal glücklich? 2. Was müsste passieren, damit du häufiger Glück erlebst? 3. Was müsste in Europa (alternativ: in deinem Land) passieren, damit die Menschen dort glückli- cher zusammenleben? Dazu fahre ich manchmal einfach nur durch die Straßen und spreche Menschen an, die mich spon- tan interessieren. Andere frage ich ganz offiziell an, wie erst neulich die SPD-Politikerin Katarina Barely (Europa-Spitzenkandidatin der SPD und Bundesjus- tizministerin), die mir ein sehr schönes, sehr ins- pirierendes Interview gegeben hat. Oder ich wende mich an Vereine, wie zum Beispiel an Gangway Ber- lin e.V., die mich mit auf einen bekannten Berliner Straßenstrich genommen haben. Über die Sozialar- beiter lernte ich dort ein drogensüchtiges Pärchen kennen. Ihre erste Frage war, ob ich was zahle, „Die Innigkeit der wenn sie bei „Drei Fra- beiden hat mich gen: Glück“ mitmachen. Ich verneinte und stellte sehr berührt.“ stattdessen in Aussicht, dass sie durch ihre Teilnahme zu einem gesell- schaftspolitischen Thema gehört würden. Mit mei- nem Angebot kam ich mir ziemlich lächerlich vor und hatte kaum Hoffnung, dass sie sich darauf ein- lassen würden. Aber das Schöne an dieser Arbeit ist, dass sie mich auch immer wieder mit meinen eige- nen Vorurteilen konfrontiert. „Wir werden echt nie gefragt, obwohl wir so viel zu erzählen haben“, war Joanas spontane Reaktion. Die beiden erzählten dann sehr offen von den Schwierigkeiten, die ihre Sucht mit sich bringt, aber auch von ihrer großen Liebe, die sie seit 10 Jahren miteinander verbindet. Für das gemeinsame Foto war es Joana wichtig, ihren Freund Cemo aus dem Rollstuhl zu hieven, der 2017 bei einem schweren Unfall seinen Unter- schenkel verloren hatte. Die Innigkeit der beiden hat mich sehr berührt und die gilt es dann natürlich auch mit der Kamera einzufangen. Joana und ihr Freund Cemo in Berlin. Salma (Mitte) arbeitet als Bettlerin in Lahore, Pakistan. Ein Obdachloser in Kalkutta, Indien. Dieses und viele weitere Themen bietet die neue Ausgabe von fotoPRO, dem Magazin für aufstrebende Profi-Fotografen. Das Einzelheft kostet 9,95 Euro, das Jahresabo (4 Ausgaben) kostet 39,80 Euro. https://imaging-media-house.de/fotopro/ Judith Döker