PhotoWeekly 16.09.2020 | Page 25

Praxis PHOTO KLASSIK 25 Meeting Sofie Ein Fotoprojekt führte Snezhana von Büdingen zu Sofie. Die Protagonistin ließ die junge Fotografin über Jahre nicht mehr los. Die Ergebnisse bedürfen keiner Worte … Text: Dagmar Schellhas-Pelzer; Bilder: Snezhana von Büdingen Sie haben Sofie über drei Sofie mit Zigarette, 2018 Jahre (seit 2017) lang mit Ihrer Kamera auf dem Hof ihrer Eltern besucht und begleitet. Wieso hat Sofie Sie so sehr und so lange fasziniert? Im Jahr 2017 habe ich Sofie und ihre Familie zum ersten Mal besucht. Damals arbeitete ich an dem Fotoprojekt „Mutter“, für das ich Mütter mit ihren Kindern mit Trisomie 21 porträtierte. Das Porträt von Sofie und ihrer Mutter Barbara ist dann zum ersten Bild der neuen Fotoserie geworden. Die ersten Tage, die ich auf dem Familienhof mit Sofie verbrachte, inspirierten mich für das Fotoprojekt „Meeting Sofie“. Ich habe mittlerweile eine enge Bindung zu Sofie. Ich mag vieles an ihr: ihre ruhige und etwas schüchterne Art, ihre Herzlichkeit und Offenheit, mit denen sie den Menschen begegnet, den starken Ausdruck ihres Gesichts, der viel über ihr Wesen verrät. Mich fasziniert immer wieder ihre Eigenschaft, den Alltag ruhig und ohne Hektik zu meistern. Wir hetzen uns so oft durch das Leben. Die Kunst der Gelassenheit könnten wir bei Sofie lernen. Als ich Sofie 2017 kennenlernte war sie in einer Beziehung mit einem Jungen aus dem Dorf, den sie in der Förderschule kennengelernt hatte. Die Zärtlichkeit und innige Liebe zu dem Jungen, wie sie ihn ansah, wie sie mit ihm umging, wollte ich, neben ihrem Leben auf dem Hof, in den Fotografien festhalten. Liebe macht Sofies Leben aus. Der schöne Landhof der Eltern war ja auch wirklich eine faszinierende Kulisse. Wie ging es mit den Fotoshootings vonstatten? Der Landhof, wo Sofie aufgewachsen ist, stammt aus dem 16. Jahrhundert. Ihr Vater betreibt ein Antiquitätengeschäft in der nahegelegenen Stadt Quedlinburg. Sie wissen die Schönheit antiker Sachen zu schätzen. Als sie im September 2010 in das Haus eingezogen sind, befand es sich zum größten Teil im modernisierten Zustand. Sie haben die Ursprünglichkeit des Hauses, so weit es ging, wiederhergestellt. Ich glaube, Sofie hat diese Atmosphäre verinnerlicht. Unbewusst beeinflusst uns die Umgebung, in der wir aufwachsen. Ich wurde schon oft gefragt, ob ich mir die Kulisse einrichte, aber das will und tue ich nicht. So, wie das Haus eingerichtet ist, erzählt es sehr viel über seine Bewohner. Manche Ecken im Haus finde ich besonders metaphorisch. Dann habe ich ein starkes Verlangen, es abzulichten oder Sofie in der Umgebung zu porträtieren. Sofie mit ihrem Freund Andy im Mohnblumenfeld, 2018 Sofie genießt die Autofahrt, 2018 Kommen wir darauf zurück, dass Sie in der Serie „Mutter“ Kinder mit Trisomie 21 zusammen mit ihren Mamas fotografiert haben. Woher kommt denn das Interesse speziell an diesen Menschen? Ich finde es interessant, wie sie die Welt wahrnehmen und damit interagieren. Sie haben eine eigene Sicht auf das, was um sie herum geschieht. Ich habe eine Vielfalt an Kindercharakteren durch dieses Projekt kennengelernt. Ich wollte den besonderen Charakter jedes einzelnen Kindes hervorheben. Sie sind so unterschiedlich, wie auch jedes andere Kind ohne Down Syndrom. In meinem Projekt „Mutter“ ging es aber vor allem um die bedingungslose innige Mutterliebe. Aus den Gesprächen mit den Frauen, die ich porträtiert habe, habe ich erfahren, dass viele von ihnen während der Schwangerschaft nicht wussten, dass sie ein Kind mit Trisomie 21 bekommen werden. Andere haben sich ganz bewusst für ein Kind mit Trisomie 21 entschieden. Manche Frauen hatten Angst. Wie unterschiedlich die Geschichten auch sein mögen, die Liebe, die jede Frau zu ihrem Kind empfindet, war mit der Geburt des Kindes sofort da und überblendete alle Ängste. Diese Liebe gab den Frauen Kraft und erfüllte sie mit Glück. Diese besondere Bindung zwischen Mutter und Kind wollte ich in meinem Projekt „Mutter“ zeigen. Warum realisieren Sie Ihre Projekte analog? Bis zum Fotoprojekt „Meeting Sofie“ (von Oktober 2017 bis heute) habe ich digital fotografiert. Auch das Projekt „Mutter“ (Entstehungsjahr 2017) habe ich digital umgesetzt. Seit ich aber meinen ersten Film entwickelt und die Bilder gesehen habe, wollte ich nur noch analog fotografieren. Zum einen mag ich den speziellen Look analoger Fotografien, der einen hohen Dynamikumfang und großen Farbraum aufweist. Das liegt vielleicht auch am Mittelformat, das ich bevorzugt benutze. Meist fotografiere ich mit einer Hasselblad 500CM und einer Mamiya 7II. Zum anderen verläuft der Prozess des Fotografierens an sich anders. Es gibt nicht die Möglichkeit, das entstandene Bild sofort zu überprüfen. Am Anfang war es gewöhnungsbedürftig für mich. Im Nachhinein empfinde ich es jedoch als positiv, denn ich bin noch fokussierter auf das Hier und Jetzt. Das analoge Fotografieren beschert mir ein doppeltes Glückserlebnis – zuerst beim Fotografieren und dann, wenn ich die entwickelten Filme vor mir liegen habe, sie scanne und zum ersten Mal mit einem zeitlichen Abstand die Ergebnisse sehe. Sofie in der Ritterküche, 2019 Sofie mit ihrer Mutter Barbara, 2019 Können Sie sich vorstellen, Sofie in einigen Jahren noch einmal zu besuchen und ihr Leben erneut zu fotografieren? Was würden Sie anders machen? Auf jeden Fall! Ich werde Sofie weiterhin fotografisch begleiten und bin sehr gespannt, welche Veränderungen ihr Leben bringen wird, wie sie sich als Frau weiterentwickelt, ob sie irgendwann eine Familie gründen wird. Es kann noch so viel passieren. Aktuell arbeite ich an meinem ersten Fotobuch „Meeting Sofie“. Ich hoffe, dass es noch in diesem Jahr erscheint. Ob ich in der Zukunft etwas anders machen würde, ist schwer vorauszusagen. Oft verändert sich der fotografische Stil im Laufe der Zeit. Was sicher ist, ich werde weiterhin so fotografieren, dass ich beim Anschauen des entstandenen Bildes sagen kann, „ja, genau so hat es sich angefühlt“. Diese und viele weitere Artikel und Themen bietet die neue Ausgabe von PhotoKlassik. Das Einzelheft kostet 9,80 Euro, das Jahresabo (4 Ausgaben) kostet 39,20 Euro, für Studenten 29,40 Euro. www.photoklassik.de