Peace Love Liberty - Konflikte | Page 5

" Es ist besorgniserregend , dass zum Teil auch universelle Menschenrechte als ein ' Produkt der westlichen Welt ' betrachtet und mit religiösen und kulturellen Begründungen abgelehnt werden ."
Konflikte
Welche Unterschiede stellen Sie zwischen den gelebten Werten in Deutschland und in der Türkei fest ? Ich sehe weniger einen Unterschied in den Werten , als vielmehr in den sozialen Normen , die aus den Werten abgeleitet werden . Während momentan die türkische Regierung ein Demokratieverständnis propagiert , das an der Wahlurne beginnt und endet , ist unser Demokratieverständnis umfassender . Vor allem möchten wir auch unseren Alltag in Deutschland so demokratisch , freiheitlich und offen wie möglich gestalten . Die türkische Gesellschaft allerdings verfällt immer stärker in autoritäre Strukturen , in denen soziale Normen herrschen , die demokratische Werte verletzen .
Was schätzen Sie an der Lebenswirklichkeit hier in Deutschland , beziehungsweise in England , im Vergleich zum Leben in der Türkei ? Ich habe die Selbstverständlichkeit unterschiedlicher ethnischer und religiöser Identitäten in London sehr genossen . Die Londoner haben verstanden , wie komplex die Erfahrungen , die Geschichte und die Identität der Menschen sein kann – und stellen keine nervigen Fragen über den Islam , sondern lassen sich auf das Individuum ein . Die Türkei schätze ich dafür , dass die Menschen dort nachdenken und aufmerksam sind – sie reagieren im Alltag auf dich . Wenn du in Istanbul in einer rappelvollen U­Bahn sitzt und dich leise fragst , wie spät es sein könnte , werden alle um dich herum dir sofort die Uhrzeit sagen . Man kann Menschen einfach ansprechen und sich sofort unterhalten . In Deutschland ist das schwieriger , aber ich liebe die Tiefsinnigkeit in den Freundschaften und das aufrichtige Interesse , das einem entgegengebracht wird . Was mir allerdings missfällt , sind die Pauschalisierungen und Kategorisierungen , wenn es um Menschen geht , die sie nicht wirklich kennen – aus Angst und Überforderung . Das ist eine gefährliche Tendenz .

" Es ist besorgniserregend , dass zum Teil auch universelle Menschenrechte als ein ' Produkt der westlichen Welt ' betrachtet und mit religiösen und kulturellen Begründungen abgelehnt werden ."

Vorfälle wie in der Kölner Silvesternacht bestärken Islamkritiker in ihrer Auffassung , dass die Gleichberechtigung der Frau mit dem Islam nicht vereinbar sei . Sind Benachteiligungen der Frau im Koran fest verankert ? Das kann Ihnen ein Theologe sicher besser beantworten . Aber die Frage verliert für die Muslime an Bedeutung , wenn sie ihre Religion als Glauben in ihren Alltag einbetten , der andere Grenzen kennt . Selbst wenn der Koran eine Benachteiligung der Frau vorsieht , existieren andere Normen , die beispielsweise dem Prinzip der Gleichheit von Mann und Frau entsprechen . Somit werden soziale , religiöse und kulturelle Vorgaben ausgehebelt , die frauenfeindlich sind . Man muss nur bereit sein – auch als gläubiger Moslem – diese Normen zu akzeptieren .
Allerdings lässt sich nicht verneinen , dass es auch in Deutschland Muslime gibt , die diese Normen offenbar nicht akzeptiert haben . Was können wir dagegen tun ? Werte sind zu abstrakt . Deshalb sollte man nicht nur die Werte Demokratie , Gleichheit und Toleranz propagieren , sondern aufzeigen , welche Handlungspraktiken daraus folgen . Gleichheit der Geschlechter kann auch bedeuten , dass man weder dem Mann noch der Frau Freiheiten einräumen möchte – so wie es in der salafistischen Szene gemacht wird .
Spielen in muslimisch geprägten Kulturkreisen auch andere Einflüsse eine Rolle ? Eben jene sozialen und kulturellen Normen , von denen ich spreche und die auf patriarchalischen Werten basieren . Diese Werte werden auch in religiösen Geboten und Normen kodiert , weitergelebt und gestärkt . Wie in allen Kulturkreisen und Communities , in denen Gewalt gegen Frauen ein ernstes Problem ist , spielen aufgezwungene Geschlechterrollen und kulturelle sowie soziale Normen eine Rolle , die Diskriminierung gegen Frauen legitimieren oder gar fördern .
Existieren zu strenge Hierarchien in vielen muslimischen Familien ? Was fehlt , ist die Kritikfähigkeit und Nüchternheit , mit der man die eigenen familiären und gemeinschaftlichen Strukturen hinterfragt . In den meisten muslimischen Familien wird ein kritischer Umgang mit Traditionen , mit dem Glauben und mit Normen nicht gestattet , geschweige denn gefördert . Es kann nicht sein , dass man mit seinem Glauben , seiner Familie und Gemeinschaft brechen muss , um kritisch und frei zu leben .
Könnten Frauenverbände mehr auf diese Probleme aufmerksam machen und Lösungsansätze bieten ? Selbstverständlich ist neben der Politik auch die Zivilgesellschaft besonders gefragt . Gerade in autoritären politischen Strukturen leisten Frauenorganisationen sehr viel , um die Rechte von Frauen und Kindern zu schützen und Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen . Aber das allein reicht natürlich nicht aus . Sprache und Botschaft von Massenmedien und Gesetze zum Schutz der Frau müssen Hand in Hand gehen , damit frauenfeindliche Mentalitäten aus den Gesellschaften und Communities verschwinden . Deshalb dürfen wir hierzulande nicht relativieren , entschuldigen oder rechtfertigen , wenn im muslimischen Kontext die Rechte der Frauen verletzt werden !
In einer Studie des Bundesinnenministeriums von 2007 stimmten 46,7 % der muslimischen Befragten „ eher “ oder „ völlig zu “, dass die Befolgung der Gebote ihrer Religion für sie wichtiger ist als Demokratie . Etwa ein Viertel der Jugendlichen bejahte die eigene Bereitschaft zu körperlicher Gewalt gegen Ungläubige im Dienst der islamischen Gemeinschaft . 9,4 % befürworteten die Strafen der Scharia . Sind der politische Anspruch und die Intoleranz zu Anders­ und Ungläubigen , die einige Muslime in Europa hegen , dem Koran oder der islamischen Tradition geschuldet ? Das wäre eine monokausale Erklärung . Wenn man allein den Koran und die islamischen Traditionen für die geringe Demokratie­
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