Konflikte
Warum uns Ungleichheit etwas angeht
– und was daraus folgt
Wir alle wünschen uns, dass es auf der Welt gerechter zugeht. Uns geht es gut, während andere
Menschen kaum genug Geld zum Leben haben. Diese Ungleichheit empfinden wir als ungerecht
und wir wollen etwas tun. Doch ist Ungleichheit wirklich das Problem, das wir angehen müssen?
von Andreas Wolkenstein
N
Wolkenstein,
promoviert über
Grundlagenfragen
libertärer politischer
Philosophie. Er hat
Philosophie,
Theologie und
Geschichte in
Tübingen und Paris
studiert. Derzeit
arbeitet er am
Psychologischen
Institut der
Universität Tübingen,
wo er empirische
und normative
Fragen zur
Gerechtigkeit von
Prozessen
untersucht.
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UNGLEICHHEIT IST NICHT GLEICH UNGERECHTIGKEIT
Viele Liberale betonen darüber hinaus, dass Ungleichheit
nicht mit Ungerechtigkeit gleichzusetzen sei. Während uns
Ungerechtigkeiten zum Handeln auffordern, bestehe bei
Ungleichheit zunächst kein Anlass zum Handeln. Vielmehr
müssten wir das sogar begrüßen, denn nur so lässt sich ein
wirtschaftliches System aufrechterhalten, bei dem am Ende
alle profitieren. Wenn alle die Möglichkeit erhalten, viel zu
verdienen, werden sie auch viel erarbeiten und damit zum
Wohl der Gesellschaft beitragen. Ungleichheit kann also
dazu führen, dass der Kuchen größer wird, so dass für alle
genug da ist im Vergleich zu einer Welt, in der Gleichheit
herrscht, in der der Kuchen, von dem alle essen können,
aber vergleichsweise klein ist.
Und kommt es nicht darauf an, dass es allen absolut
gesehen gut geht, und nicht, dass alle gleich viel oder
wenig haben?
GLEICHHEIT AUS EIGENINTERESSE?
Vielleicht, so ließe sich einwenden, stellt Vermögens
ungleichheit trotzdem ein Problem dar, weil „zu viel“
davon das Zusammenleben bedroht. Denn wer deutlich
weniger als sein Nachbar hat, wird dies vielleicht über kurz
oder lang mit Gewalt ändern wollen. Wenn also schon
nicht moralisch geboten: Ist die Reduzierung der
Ungleichheit für weniger soziale Spannungen sinnvoll?
Bild: flickr.com: eflon CC BY-SA 2.0
Andreas
eue Extreme sind erreicht. Das lässt sich jedenfalls
einer
jüngst
veröffentlichten
Studie
der
Nichtregierungsorganisation Oxfam entnehmen, im
Wortlaut: „In 2015, just 62 individuals had the same wealth
as 3.6 billion people – the bottom half of humanity“.
Oxfam zeichnet auch ein verheerendes Bild von den Folgen
wachsender Ungleichheit: Das globale Wachstum werde
bedroht und unzählige Menschen blieben dazu verdammt,
in Armut zu leben. Spätestens jetzt ist der Skandal perfekt
und der „war on inequality“ wird ausgerufen. Schuld sind
Kapitalismus, Gier und Profitstreben. Oder?
Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Als Vermögen ver
steht Oxfam Nettovermögen, also die Summe an Geld,
Wertpapier und Immobilienwerten abzüglich der Schul
den. Wenn also 62 einzelne Menschen so viel besitzen wie
die Hälfte der Weltbevölkerung, dann lässt das
aufhorchen. Ryan Bourne vom Institute of Economic Affairs
(IEA) in London kritisiert allerdings die empirische
Grundlage der OxfamStudie. Als Maßstab für Vermögen
werden Daten der Credit Suisse herangezogen. Aus diesen
Daten werden die positiven Vermögensgüter zusammen
gezählt und davon die Schulden abgezogen. Anschließend
werden die Ergebnisse mit der ForbesListe der
vermögendsten Personen abgeglichen. Bei Person Nummer
62 ist dann dasjenige Vermögen erreicht, das dem der
genannten 3,6 Milliarden entspricht. Diese Methode zu
verwenden bedeutet aber, so Bourne, dass ein gerade
graduierter HarvardJurist, der seine Bildungsschulden zu
begleichen hat, als arm gilt. Schließlich wird er nur bedingt
Vermögenswerte sein eigen nennen, zugleich aber eine
Menge Schulden und somit sogar negatives Vermögen
haben. Dies sei aber sicher nicht das Verständnis von
Armut, das die meisten klar denkenden Menschen hätten,
schreibt Borune in seiner Kritik.