Peace Love Liberty - Konflikte | Page 26

Konflikte Warum uns Ungleichheit etwas angeht – und was daraus folgt Wir alle wünschen uns, dass es auf der Welt gerechter zugeht. Uns geht es gut, während andere Menschen kaum genug Geld zum Leben haben. Diese Ungleichheit empfinden wir als ungerecht und wir wollen etwas tun. Doch ist Ungleichheit wirklich das Problem, das wir angehen müssen? von Andreas Wolkenstein N Wolkenstein, promoviert über Grundlagenfragen libertärer politischer Philosophie. Er hat Philosophie, Theologie und Geschichte in Tübingen und Paris studiert. Derzeit arbeitet er am Psychologischen Institut der Universität Tübingen, wo er empirische und normative Fragen zur Gerechtigkeit von Prozessen untersucht. 26 UNGLEICHHEIT IST NICHT GLEICH UNGERECHTIGKEIT Viele Liberale betonen darüber hinaus, dass Ungleichheit nicht mit Ungerechtigkeit gleichzusetzen sei. Während uns Ungerechtigkeiten zum Handeln auffordern, bestehe bei Ungleichheit zunächst kein Anlass zum Handeln. Vielmehr müssten wir das sogar begrüßen, denn nur so lässt sich ein wirtschaftliches System aufrechterhalten, bei dem am Ende alle profitieren. Wenn alle die Möglichkeit erhalten, viel zu verdienen, werden sie auch viel erarbeiten und damit zum Wohl der Gesellschaft beitragen. Ungleichheit kann also dazu führen, dass der Kuchen größer wird, so dass für alle genug da ist ­ im Vergleich zu einer Welt, in der Gleichheit herrscht, in der der Kuchen, von dem alle essen können, aber vergleichsweise klein ist. Und kommt es nicht darauf an, dass es allen absolut gesehen gut geht, und nicht, dass alle gleich viel oder wenig haben? GLEICHHEIT AUS EIGENINTERESSE? Vielleicht, so ließe sich einwenden, stellt Vermögens­ ungleichheit trotzdem ein Problem dar, weil „zu viel“ davon das Zusammenleben bedroht. Denn wer deutlich weniger als sein Nachbar hat, wird dies vielleicht über kurz oder lang mit Gewalt ändern wollen. Wenn also schon nicht moralisch geboten: Ist die Reduzierung der Ungleichheit für weniger soziale Spannungen sinnvoll? Bild: flickr.com: eflon CC BY-SA 2.0 Andreas eue Extreme sind erreicht. Das lässt sich jedenfalls einer jüngst veröffentlichten Studie der Nichtregierungsorganisation Oxfam entnehmen, im Wortlaut: „In 2015, just 62 individuals had the same wealth as 3.6 billion people – the bottom half of humanity“. Oxfam zeichnet auch ein verheerendes Bild von den Folgen wachsender Ungleichheit: Das globale Wachstum werde bedroht und unzählige Menschen blieben dazu verdammt, in Armut zu leben. Spätestens jetzt ist der Skandal perfekt und der „war on inequality“ wird ausgerufen. Schuld sind Kapitalismus, Gier und Profitstreben. Oder? Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Als Vermögen ver­ steht Oxfam Nettovermögen, also die Summe an Geld­, Wertpapier­ und Immobilienwerten abzüglich der Schul­ den. Wenn also 62 einzelne Menschen so viel besitzen wie die Hälfte der Weltbevölkerung, dann lässt das aufhorchen. Ryan Bourne vom Institute of Economic Affairs (IEA) in London kritisiert allerdings die empirische Grundlage der Oxfam­Studie. Als Maßstab für Vermögen werden Daten der Credit Suisse herangezogen. Aus diesen Daten werden die positiven Vermögensgüter zusammen­ gezählt und davon die Schulden abgezogen. Anschließend werden die Ergebnisse mit der Forbes­Liste der vermögendsten Personen abgeglichen. Bei Person Nummer 62 ist dann dasjenige Vermögen erreicht, das dem der genannten 3,6 Milliarden entspricht. Diese Methode zu verwenden bedeutet aber, so Bourne, dass ein gerade graduierter Harvard­Jurist, der seine Bildungsschulden zu begleichen hat, als arm gilt. Schließlich wird er nur bedingt Vermögenswerte sein eigen nennen, zugleich aber eine Menge Schulden und somit sogar negatives Vermögen haben. Dies sei aber sicher nicht das Verständnis von Armut, das die meisten klar denkenden Menschen hätten, schreibt Borune in seiner Kritik.