Peace Love Liberty - Konflikte | Page 25

Konflikte PAZIFISMUS IST EINE UTOPIE Kant fordert außenpolitische Zurückhaltung. Das bedeutet in erster Linie eine pazifistische Haltung, den Abschluss wohlwollender Friedensverträge, eine massive Abrüstung und der Verzicht auf die Einmischung in die Innenpolitik anderer Staaten. So edel und lobenswert diese Ansätze sind, sie erscheinen utopisch im Hinblick auf die aktuellen Geschehnisse in der internationalen Politik. Im Angesicht der kriegerischen Rhetorik aus dem Kreml, dem Vorgehen russischer Paramilitärs am Donbass und der grausame IS­Schlächter, erscheint es wie Verrat an unseren humanistischen Prinzipien, Kant zu folgen und sich zurückzuhalten. Doch obwohl die verstörenden Bilder von Hinrichtungen westlicher Journalisten und der Ermordung unschuldiger Zivilisten im Nahen Osten in unseren Massenmedien allgegenwärtig sind, sind Plädoyers für militärisches Eingreifen unpopulär. Warum ist das so? Dass militärisches Eingreifen unbeliebt ist, liegt nicht zuletzt an den vielen negativen Beispielen aus der Vergangenheit. Noch immer ist der Irak­Krieg in unser Gedächtnis eingebrannt. Seine Konsequenzen sind durch das derzeitige Weltgeschehen ständig präsent. Rückblickend wirkt er wie ein fataler Fehler, in Kontinentaleuropa findet sich heute kaum ein Meinungsmacher, der den Irak­Einsatz verteidigt. Die Strategie, welche die Vereinigten Staaten mit dem Irak­Krieg und der anschließenden Besatzungszeit verfolgte, nennt sich „Nation Building“. Sie ist in der politischen Debatte äußerst umstritten. Das hat gute Gründe, denn das Konzept ist brutal: man marschiert in ein diktatorisch regiertes Land ein und besetzt es mit dem Ziel, binnen weniger Jahre eine Demokratie nach westlichem Vorbild zu errichten. INTERVENTIONEN HABEN KONSEQUENZEN Allerdings ist ein solcher militärischer Eingriff vor allem dann zum Scheitern verurteilt, wenn der intervenierende Staat sich nicht für die Konsequenzen verantwortlich fühlt. So wird das Scheitern der Irak­ Intervention auf verschiedene Ursachen zurückgeführt. Robert Kagan, ein Experte für Geopolitik, meint zum Beispiel, die Amerikaner hätten es aus Angst als Eindringling wahrgenommen zu werden versäumt, alle Gesellschaftsbereiche den Besatzungsbehörden unterzuordnen. Dabei verweist er auf die siebenjährige Besetzung Japans nach dem Zweiten Weltkrieg, bei der man genau das mit großem Erfolg gemacht habe. Man kann viel spekulieren – doch die obigen Ausführungen bestärken die These, dass es in der Außenpolitik nur zwei Alternativen gibt: Entweder die strikte Vermeidung militärischer Eingriffe (Non­ Interventionismus) oder eine proaktive Haltung. Dann müssen aber auch sämtliche Konsequenzen getragen werden. Ich plädiere für eine proaktive Haltung. Seit August 2013 werden die gravierenden Folgen des pazifistischen Non­Interventionismus in Syrien immer sichtbarer: in dem Land tobt ein Bürgerkrieg und der Westen schaut dabei zu, wie Staatspräsident Baschar al­Assad Bomben­ angriffe fliegen lässt, bei denen nicht nur Rebellen sondern auch zahlreiche unschuldige Zivilisten auf grausame Weise ums Leben kommen. Wie bekannt wurde, kam dabei auch Giftgas im Einsatz. Damals wurde US­Präsident Barack Obama von verschiedenen Seiten dazu gedrängt, zu handeln. Doch er zauderte, denn die Rebellen sind stark zersplittert, neben moderaten Freiheitskämpfern gab es auch radikal­islamische Gruppierungen. Die Angst, schlafende Hunde zu wecken, lähmte Obama und trotz der akuten Bedrohung dauerte es Tage bis er sich zum Handeln entschloss. Er erlaubte Luftangriffe, forcierte jedoch keinen Regierungssturz. Um auf Nummer sicher zu gehen, ließ er seine Entscheidung sogar vom Kongress absegnen. Ich bin mir sicher: In einigen Jahren werden Historiker die Appease­ ment­Politik des britischen Premierministers Neville Chamberlain vor dem Zweiten Weltkrieg und Obamas grandioses Scheitern im Syrien­ Konflikt in einem Atemzug erwähnen. Diese Wochen im Spätsommer 2013 werden symbolisch für das geopolitische Versagen des Westens stehen. Dieses Versagen gab im Kreml den Startschuss für den russischen Vorstoß gegen die Ukraine. Und es verursachte das Chaos in Arabien, welches der Terrororganisation Islamischer Staat nach zehn Jahren im Unterholz heute eine Bühne bietet, die im Fokus der Weltöffentlichkeit steht. HINTERGRUNDWISSEN: DER IRAK-KRIEG Kritiker des Irak­Einsatzes führen oft an, das Saddam­Regime sei ein geringeres Übel gewesen als die Besatzungsmacht. Es wird dar­ auf verwiesen, dass der Despot seinerzeit als Garant für Stabilität in seinem Land galt. Er errichtete ein Sozialsystem, setzte sich für die Gleichstellung der Geschlechter ein und schaffte es, die Alpha­ betisierungsrate wesentlich zu steigern. Die Christen im Irak trau­ ern der Saddam­Ära besonders nach, denn er garantierte ihnen zumindest Sicherheit. Seine Herrschaftszeit von 1968 bis 2003 war aber auch geprägt von Gefangenschaft, Folter und Massenhinrichtungen von Regie­ rungsgegnern, darunter auch Schüler und Studenten. Hundert­ tausende Zivilisten wurden aus ihren Heimatdörfern vertrieben und gegen die kurdische Bevölkerung wurde ein systematischer Genozid betrieben, mit Raketen, Napalm und sogar Giftgas. Den Höhepunkt der Gewaltherrschaft stellt die brutale Niederschla­ gung eines Aufstands von Schiiten und Kurden im Jahr 1991 dar. Die Zahl der Toten wird auf sechzig­ bis dreihunderttausend ge­ schätzt. 1,5 Millionen Kurden mussten aus ihrer Heimat fliehen. Wenn wir uns wirklich als