Konflikte
PAZIFISMUS IST EINE UTOPIE
Kant fordert außenpolitische Zurückhaltung. Das bedeutet in erster
Linie eine pazifistische Haltung, den Abschluss wohlwollender
Friedensverträge, eine massive Abrüstung und der Verzicht auf die
Einmischung in die Innenpolitik anderer Staaten.
So edel und lobenswert diese Ansätze sind, sie erscheinen utopisch im
Hinblick auf die aktuellen Geschehnisse in der internationalen Politik.
Im Angesicht der kriegerischen Rhetorik aus dem Kreml, dem
Vorgehen russischer Paramilitärs am Donbass und der grausame
ISSchlächter, erscheint es wie Verrat an unseren humanistischen
Prinzipien, Kant zu folgen und sich zurückzuhalten.
Doch obwohl die verstörenden Bilder von Hinrichtungen westlicher
Journalisten und der Ermordung unschuldiger Zivilisten im Nahen
Osten in unseren Massenmedien allgegenwärtig sind, sind Plädoyers
für militärisches Eingreifen unpopulär. Warum ist das so?
Dass militärisches Eingreifen unbeliebt ist, liegt nicht zuletzt an den
vielen negativen Beispielen aus der Vergangenheit. Noch immer ist der
IrakKrieg in unser Gedächtnis eingebrannt. Seine Konsequenzen sind
durch das derzeitige Weltgeschehen ständig präsent. Rückblickend
wirkt er wie ein fataler Fehler, in Kontinentaleuropa findet sich heute
kaum ein Meinungsmacher, der den IrakEinsatz verteidigt.
Die Strategie, welche die Vereinigten Staaten mit dem IrakKrieg und
der anschließenden Besatzungszeit verfolgte, nennt sich „Nation
Building“. Sie ist in der politischen Debatte äußerst umstritten. Das hat
gute Gründe, denn das Konzept ist brutal: man marschiert in ein
diktatorisch regiertes Land ein und besetzt es mit dem Ziel, binnen
weniger Jahre eine Demokratie nach westlichem Vorbild zu errichten.
INTERVENTIONEN HABEN KONSEQUENZEN
Allerdings ist ein solcher militärischer Eingriff vor allem dann zum
Scheitern verurteilt, wenn der intervenierende Staat sich nicht für die
Konsequenzen verantwortlich fühlt. So wird das Scheitern der Irak
Intervention auf verschiedene Ursachen zurückgeführt. Robert Kagan,
ein Experte für Geopolitik, meint zum Beispiel, die Amerikaner hätten
es aus Angst als Eindringling wahrgenommen zu werden versäumt, alle
Gesellschaftsbereiche den Besatzungsbehörden unterzuordnen. Dabei
verweist er auf die siebenjährige Besetzung Japans nach dem Zweiten
Weltkrieg, bei der man genau das mit großem Erfolg gemacht habe.
Man kann viel spekulieren – doch die obigen Ausführungen bestärken
die These, dass es in der Außenpolitik nur zwei Alternativen gibt:
Entweder die strikte Vermeidung militärischer Eingriffe (Non
Interventionismus) oder eine proaktive Haltung. Dann müssen aber
auch sämtliche Konsequenzen getragen werden.
Ich plädiere für eine proaktive Haltung. Seit August 2013 werden die
gravierenden Folgen des pazifistischen NonInterventionismus in
Syrien immer sichtbarer: in dem Land tobt ein Bürgerkrieg und der
Westen schaut dabei zu, wie Staatspräsident Baschar alAssad Bomben
angriffe fliegen lässt, bei denen nicht nur Rebellen sondern auch
zahlreiche unschuldige Zivilisten auf grausame Weise ums Leben
kommen. Wie bekannt wurde, kam dabei auch Giftgas im Einsatz.
Damals wurde USPräsident Barack Obama von verschiedenen Seiten
dazu gedrängt, zu handeln. Doch er zauderte, denn die Rebellen sind
stark zersplittert, neben moderaten Freiheitskämpfern gab es auch
radikalislamische Gruppierungen. Die Angst, schlafende Hunde zu
wecken, lähmte Obama und trotz der akuten Bedrohung dauerte es
Tage bis er sich zum Handeln entschloss. Er erlaubte Luftangriffe,
forcierte jedoch keinen Regierungssturz. Um auf Nummer sicher zu
gehen, ließ er seine Entscheidung sogar vom Kongress absegnen.
Ich bin mir sicher: In einigen Jahren werden Historiker die Appease
mentPolitik des britischen Premierministers Neville Chamberlain vor
dem Zweiten Weltkrieg und Obamas grandioses Scheitern im Syrien
Konflikt in einem Atemzug erwähnen. Diese Wochen im Spätsommer
2013 werden symbolisch für das geopolitische Versagen des Westens
stehen. Dieses Versagen gab im Kreml den Startschuss für den
russischen Vorstoß gegen die Ukraine. Und es verursachte das Chaos in
Arabien, welches der Terrororganisation Islamischer Staat nach zehn
Jahren im Unterholz heute eine Bühne bietet, die im Fokus der
Weltöffentlichkeit steht.
HINTERGRUNDWISSEN: DER IRAK-KRIEG
Kritiker des IrakEinsatzes führen oft an, das SaddamRegime sei
ein geringeres Übel gewesen als die Besatzungsmacht. Es wird dar
auf verwiesen, dass der Despot seinerzeit als Garant für Stabilität
in seinem Land galt. Er errichtete ein Sozialsystem, setzte sich für
die Gleichstellung der Geschlechter ein und schaffte es, die Alpha
betisierungsrate wesentlich zu steigern. Die Christen im Irak trau
ern der SaddamÄra besonders nach, denn er garantierte ihnen
zumindest Sicherheit.
Seine Herrschaftszeit von 1968 bis 2003 war aber auch geprägt
von Gefangenschaft, Folter und Massenhinrichtungen von Regie
rungsgegnern, darunter auch Schüler und Studenten. Hundert
tausende Zivilisten wurden aus ihren Heimatdörfern vertrieben
und gegen die kurdische Bevölkerung wurde ein systematischer
Genozid betrieben, mit Raketen, Napalm und sogar Giftgas. Den
Höhepunkt der Gewaltherrschaft stellt die brutale Niederschla
gung eines Aufstands von Schiiten und Kurden im Jahr 1991 dar.
Die Zahl der Toten wird auf sechzig bis dreihunderttausend ge
schätzt. 1,5 Millionen Kurden mussten aus ihrer Heimat fliehen.
Wenn wir uns wirklich als