Peace Love Liberty - Konflikte | Page 16

Konflikte Kulturalismus und die offene Gesellschaft „Die Flüchtlingskrise“ offenbart einen Konflikt, der schon vorher bestand und der durch die Massenflucht nach Europa und dem Entstehen rechtspopulistischer Parteien wie der AfD nun unumgänglich wurde: Es ist der Konflikt zwischen Kulturalismus und offener Gesellschaft. Ein Konflikt, der nicht nur die hier Schutz suchenden Menschen bedroht, sondern auch die Gesellschaft, wie wir sie kennen. von Mark Hokamp Mark Hokamp hat einen Bachelo- rabschluss in 'Chinastudien' an der Universität Münster und studiert mo- mentan 'Rechtswissenschaften' und 'Chinesisches Recht und Rechtsverglei- chung' an den Uni- versitäten Göttingen und Nanjing. Er arbeitete bereits für verschiedene liberale Thinktanks und schreibt auf Blogs und in Zeitschriften zu gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fragestellungen. 16 ulturalismus meint eine Überbewertung von Kultur gegenüber anderen identitätsstiftenden Merkmalen. Kulturalisten ordnen sich selbst einer kulturellen Großgruppe zu und können in dieser Gruppe aufgehen. Der Mensch ordnet sich selbst zugunsten der Gruppe unter und verlangt dies auch von anderen. Diese kulturellen Großgruppenbindungen können beruflicher, sozialer, religiöser, sprachlicher, regionaler oder nationaler Natur sein. Kulturalisten ordnen auch umgekehrt andere Menschen in Großgruppen ein und grenzen sich damit von „den Anderen“ ab. Damit sind oft eine Überhöhung der eigenen und eine Herabsetzung fremder Kulturen verbunden. Die Kultur wird als eine einheitliche Großgruppe gesehen und jedem Individuum werden die Stereotype der jeweiligen Kultur zugeschrieben. WAS IST DIE OFFENE GESELLSCHAFT? Die offene Gesellschaft stellt das Individuum in den Mittelpunkt. Jedes Individuum ist frei in seinen Entscheidungen und trägt auch die Verantwortung für die Folgen jeder Entscheidung. Die offene Gesellschaft verlangt dem Einzelnen mehr ab als jedes geschlossene Weltbild. Sie verlangt Eigenverantwortung, Selbstreflexion und Bescheidenheit. Bescheidenheit dahingehend, dass die eigene Weltanschauung und die eigene Lebensweise keinen Absolutheitsanspruch hat und diese Weltanschauungs­ oder Glaubensfreiheit jedem Einzelnen zugestanden werden muss. Dabei darf Zwang niemals das Mittel einer offenen Gesellschaft sein, die eigene Weltanschauung zur Weltanschauung einer ganzen Nation oder eines ganzen Kulturkreises zu machen. Die offene Gesellschaft wirkt integrierend. Sie bietet selbst den Weltanschauungen Platz, die von kulturalistischer Art sind. Sie gewährt auch strengen, konservativen, illiberalen Wertvorstellungen Platz. In freier Zusammenkunft können Menschen auch in einer offenen Gesellschaft, konservative und antimoderne Lebensformen leben. Solange die Individuen, die sich für diese Art des Daseins entscheiden, niemanden aufzwingen so zu leben wie sie. Dort ist die Grenze der offenen Gesellschaft. KULTURALISMUS UND OFFENE GESELLSCHAFT SCHLIEßEN SICH AUS Kulturalisten passen schwer in eine solche offene Gesellschaft. Dass sie sich selbst einer Großgruppe zurechnen, ist dabei nicht das Problem. Aus der Überhöhung der eigenen Kultur ergeben sich aber Verhaltensmuster, die mit den Werten einer offenen Gesellschaft nicht vereinbar sind. Ein Kulturalist tendiert dazu, die Eigenschaften einer Großgruppe – aktuell zum Beispiel die Muslime, die Flüchtlinge, die Araber – auf jedes Mitglied dieser Großgruppe zu projizieren. Die Welt teilt sich in Wir und "den Anderen". Wer zu "den Anderen" gehört, bekommt einen Stempel aufgedrückt. So entscheidet die Hautfarbe, die Religion oder die Herkunft darüber, wie ein Kulturalist einen Mitmenschen bewertet. Der Schutz der eigenen Kultur vor eben diesen schlechten Eigenschaften dient einem Kulturalisten als Rechtfertigung für unsittliche oder gegen das Gesetz verstoßende Handlungen. Damit wird die Verantwortung für das eigene Handeln auf die Großgruppe verlagert. Diese Verantwortung ist aber die Basis einer offenen Gesellschaft: Jeder kann selbst ent­ scheiden, weil er für die Folgen seines Tuns selbst verantwortlich ist. Ohne diesen Aspekt müssten wir nicht darüber nachdenken, wie wir entscheiden. Wenn jemand anders die Verantwortung trägt, können mir die Folgen meines Handelns egal sein. So würden die Werte der offenen Gesellschaft ausgehöhlt. Bild: flickr.com: Matropolico.org CC BY-SA 2.0 K