Konflikte
Kulturalismus
und die offene Gesellschaft
„Die Flüchtlingskrise“ offenbart einen Konflikt, der schon vorher bestand und der durch die
Massenflucht nach Europa und dem Entstehen rechtspopulistischer Parteien wie der AfD nun
unumgänglich wurde: Es ist der Konflikt zwischen Kulturalismus und offener Gesellschaft. Ein
Konflikt, der nicht nur die hier Schutz suchenden Menschen bedroht, sondern auch die
Gesellschaft, wie wir sie kennen.
von Mark Hokamp
Mark Hokamp
hat einen Bachelo-
rabschluss in 'Chinastudien' an der
Universität Münster
und studiert mo-
mentan 'Rechtswissenschaften' und
'Chinesisches Recht
und Rechtsverglei-
chung' an den Uni-
versitäten Göttingen
und Nanjing. Er arbeitete bereits für
verschiedene liberale
Thinktanks und
schreibt auf Blogs
und in Zeitschriften
zu gesellschaftlichen
und wirtschaftlichen
Fragestellungen.
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ulturalismus meint eine Überbewertung von Kultur
gegenüber anderen identitätsstiftenden Merkmalen.
Kulturalisten ordnen sich selbst einer kulturellen
Großgruppe zu und können in dieser Gruppe aufgehen.
Der Mensch ordnet sich selbst zugunsten der Gruppe
unter und verlangt dies auch von anderen. Diese
kulturellen Großgruppenbindungen können beruflicher,
sozialer, religiöser, sprachlicher, regionaler oder
nationaler Natur sein.
Kulturalisten ordnen auch umgekehrt andere Menschen in
Großgruppen ein und grenzen sich damit von „den
Anderen“ ab. Damit sind oft eine Überhöhung der eigenen
und eine Herabsetzung fremder Kulturen verbunden. Die
Kultur wird als eine einheitliche Großgruppe gesehen und
jedem Individuum werden die Stereotype der jeweiligen
Kultur zugeschrieben.
WAS IST DIE OFFENE GESELLSCHAFT?
Die offene Gesellschaft stellt das Individuum in den
Mittelpunkt. Jedes Individuum ist frei in seinen
Entscheidungen und trägt auch die Verantwortung für die
Folgen jeder Entscheidung. Die offene Gesellschaft verlangt
dem Einzelnen mehr ab als jedes geschlossene Weltbild. Sie
verlangt Eigenverantwortung, Selbstreflexion und
Bescheidenheit. Bescheidenheit dahingehend, dass die
eigene Weltanschauung und die eigene Lebensweise
keinen
Absolutheitsanspruch
hat
und
diese
Weltanschauungs oder Glaubensfreiheit jedem Einzelnen
zugestanden werden muss. Dabei darf Zwang niemals das
Mittel einer offenen Gesellschaft sein, die eigene
Weltanschauung zur Weltanschauung einer ganzen Nation
oder eines ganzen Kulturkreises zu machen.
Die offene Gesellschaft wirkt integrierend. Sie bietet selbst
den Weltanschauungen Platz, die von kulturalistischer Art
sind. Sie gewährt auch strengen, konservativen, illiberalen
Wertvorstellungen Platz. In freier Zusammenkunft können
Menschen auch in einer offenen Gesellschaft, konservative
und antimoderne Lebensformen leben. Solange die
Individuen, die sich für diese Art des Daseins entscheiden,
niemanden aufzwingen so zu leben wie sie. Dort ist die
Grenze der offenen Gesellschaft.
KULTURALISMUS UND OFFENE GESELLSCHAFT
SCHLIEßEN SICH AUS
Kulturalisten passen schwer in eine solche offene
Gesellschaft. Dass sie sich selbst einer Großgruppe
zurechnen, ist dabei nicht das Problem. Aus der
Überhöhung der eigenen Kultur ergeben sich aber
Verhaltensmuster, die mit den Werten einer offenen
Gesellschaft nicht vereinbar sind. Ein Kulturalist tendiert
dazu, die Eigenschaften einer Großgruppe – aktuell zum
Beispiel die Muslime, die Flüchtlinge, die Araber – auf
jedes Mitglied dieser Großgruppe zu projizieren. Die Welt
teilt sich in Wir und "den Anderen".
Wer zu "den Anderen" gehört, bekommt einen Stempel
aufgedrückt. So entscheidet die Hautfarbe, die Religion
oder die Herkunft darüber, wie ein Kulturalist einen
Mitmenschen bewertet. Der Schutz der eigenen Kultur vor
eben diesen schlechten Eigenschaften dient einem
Kulturalisten als Rechtfertigung für unsittliche oder gegen
das Gesetz verstoßende Handlungen. Damit wird die
Verantwortung für das eigene Handeln auf die Großgruppe
verlagert. Diese Verantwortung ist aber die Basis
einer offenen Gesellschaft: Jeder kann selbst ent
scheiden, weil er für die Folgen seines Tuns selbst
verantwortlich ist. Ohne diesen Aspekt müssten wir nicht
darüber nachdenken, wie wir entscheiden. Wenn jemand
anders die Verantwortung trägt, können mir die Folgen
meines Handelns egal sein. So würden die Werte der
offenen Gesellschaft ausgehöhlt.
Bild: flickr.com: Matropolico.org CC BY-SA 2.0
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