Neue Debatte - Beiheft #006 - 04/2017 Über die Korruption in Frankreich | Page 11

Wenn ich die komplette Liste der notwen- digen Kämpfe auflisten würde, säßen wir morgen Abend noch hier. Die Kämpfe überschneiden sich jedoch. Es gibt einen Konvergenzpunkt, einen Punkt, von dem aus wir alle Kämpfe führen können: dieser Punkt, das ist das Prinzip der Herrschaft. Bleiben wir nicht bei der Korruption ste- hen in unseren Kämpfen. Was uns bei der Korruption schockiert, das ist die Unge- rechtigkeit, und was die Ungerechtigkeit produziert, das ist das Prinzip der Herr- schaft. Wir sind alle, mehr oder weniger, das Ergebnis und die Akteure von Herr- schaftssystemen. Wie sollen wir also kämpfen? Der Kapita- lismus hat das gut verstanden, er will nicht, dass wir verwechseln, dass wir vermischen, und unter diesem Vorwand bringt er uns eine verkürzte Sicht der Dinge bei. Wir müssen weiter und besser sehen. Wir müssen gemeinsam sehen. Es geht auf keinen Fall darum den Kampf gegen Korruption aufzugeben, die Indivi- duen, die unterschlagen, stehlen, lügen und ihre Freunde begünstigen, anstatt dem Allgemeinwohl zu dienen, müssen denunziert werden. Aber man darf da nicht stehen bleiben. Wir dürfen nicht aufhören zu kämpfen. Aber es muss Schluss damit sein, dass jeder in seiner Ecke kämpft. Gemeinsame Kämpfe Wenn man das Herrschaftsprinzip überall erkennt, wo es sich versteckt, dann ist das Bewusstsein erwacht. Vergangenen Don- nerstag wurde in einer Versammlung eine erste Runde zu gesellschaftlichen Themen vorgeschlagen. Warum auch nicht, wenn dabei der krimi- nalisierte Streikende, den man an der Ausübung seines Rechts hindern will, da- bei lernen kann, die Herrschaft zu sehen, die am Werk ist bei der Vergewaltigung eines Vorstadtjugendlichen durch die Poli- zei. Ja, ich will diese Herrschaft Kapitalis- mus nennen; manchmal bin ich geneigt zu vereinfachen und zu reduzieren, weil alle diesen Namen des Dämonen kennen, er ist üblich. Aber ich glaube, sobald man auch nur von Kapitalismus spricht, dann gilt man als Sektierer, als jemand, der nicht nachdenkt, als jemand von vorgestern. Der Kapitalis- mus hat jedoch eine vorbestimmte Zu- kunft für Euch und mich. Aber die Oligar- chie wird das Notwendige tun, um ihren Lebensstil beizubehalten, den Komfort, die Sorglosigkeit, und in einigen Ländern wer- den schon Betonwände hochgezogen zwi- schen den Golfplätzen und den Elendsvier- teln. Ja, deshalb verwende ich das Wort Kapitalismus, nicht als Quelle für alle Übel, aber als das eindeutigste Beispiel für das Prinzip der Herrschaft. Ich bin auch gegen Korruption, und genau aus diesem Grund bin ich auch antikapita- listisch; aber andererseits, weil ich gegen alle Formen der Herrschaft bin, bin ich ge- gen den Kapitalismus. Für mich gibt es da keinen Widerspruch. Wenn man gegen die Atomenergie kämpft und ihre zerstörerischen Kräfte, die die Lebensbedingungen der Menschheit be- 11