Neue Debatte - Beiheft #006 - 04/2017 Über die Korruption in Frankreich

NEUE DEBATTE THE MAGAZINE BY THE PEOPLE FOR THE PEOPLE B E I H E F T Nr. 6 06.04.2017 Mathieu Brichard Die Korruption in ihrem natu rlichen Element Korruption ist in der französischen Politik keine Ausnahme, sondern folgt den Regeln ei- ner kapitalistischen Ökonomie. Dahinter steckt ein Herrschaftsprinzip, sagt Mathieu Brichard. Er stellt in seinem Beitrag die Details und die Mechanismen der strukturellen Korruption und die Protagonisten des Systems vor. Der Blickwinkel der Präsidentschaftskam- pagne hat sich seit einem Monat aber- mals verengt auf eine einzige Frage: die vermutete Korruption von François Fillon und die weniger öffentlich bekannte von Marine Le Pen. Schon zuvor ging es im Wahlkampf haupt- sächlich um die Person der Kandidaten unter Inkaufnahme des Risikos die großen gesellschaftlichen Fragen und die Wahl- programme in den Hintergrund treten zu lassen, was ein entscheidendes Merkmal der V. Republik und ihres präsidentiellen Systems ist. Die Wahlkampagne wird so zum Theater- stück mit überraschenden Wendungen, Höhepunkten, Verwechslungen und Miss- verständnissen … allesamt Kunstgriffe, die mal eher Boulevardstück, mal mehr Tra- gödie abgeben. Aber so wird die Kampag- ne auf ein Scheingefecht beschränkt und die Scheinwerfer beleuchten eine be- schränkte Anzahl von Darstellern, um des- to besser die gesellschaftlichen Kräfte, die Kämpfe, die unteren Volksschichten oder jeden anderen gesellschaftlichen Akteur unsichtbar zu machen, den man in den Sphären der Macht und in den Medien nicht als denkendes und handelndes Sub- jekt anerkennen will. Die „Zahnlosen“ sind nur dann gute The- men für die Medien, wenn sie loyale Un- tertanen der Krone abgeben oder wenn man sie als Objekte in die Kategorie „Ran- dalierer“ einordnen kann, was niemals als „widerständisch“ definiert wird … denn dann müsste man ja sagen, wogegen je- mand sich erhebt und Widerstand leistet. Auf der Bühne des aktuellen politischen Dramas wird also das Stück „Die Korrupti- on“ gegeben. Mein Beitrag soll hier sein, ausgehend von dieser Beispielszene, Ab- stand zu nehmen von der Einzelbetrach- tung und somit von den Fällen François Fillon [1] oder Marine Le Pen [2] , um die Kor- ruption nicht als Fehlverhalten der Politi- ker der Republik zu betrachten, sondern als Regelfall in einer kapitalistischen Öko- nomie, und sogar darüber hinaus als Er- gebnis eines Prinzips, das ich Herrschafts- prinzip nennen möchte. 1