Klartext Juni 2011 | Page 5

Bundesbrief 5 Hinblick auf die Arglist der Zeit“. Wir senschaft herbeiführen wollen. Von haben es mit einem Schutzbündnis zu Freiheit, Widerstand und Gründung tun, „innerhalb ihrer Täler“, wie es sei in der Urkunde nicht die Rede. Der heisst, „und ausserhalb“. Gegen alle, regionale Adel habe mit dem Brief „die ihnen oder jemand aus ihnen Ge- bloss seine eigene Herrschaft sichern walt oder Unrecht an Leib oder Gut antun“. Unrecht verhindern, ist das eine. Unrecht ahnden, das andere. Und hier stossen wir in den Kern des Bundesbriefes vor: „Wir haben auch einhellig gelobt und festgesetzt, dass wir in den Tälern durchaus keinen Richter, der das Amt irgendwie um Geld oder Geldeswert erworben hat oder nicht unser Einwohner oder Landmann ist, annehmen sollen.“ Mit anderen Worten: Wir dulden Das SVP-Kader auf dem Rütli. keine fremden Richter. Und keine Richter, die ihr Amt gekauft ha- wollen. Das ist gut möglich. Es kann ben. Und die Richter im Mittelalter schon sein, dass diese Handvoll Leute sind immer gleichzeitig auch die Herr- damals gar nicht die Absicht hatte, ein schenden. Man duldet also auch keine Verteidigungsbündnis gegen Habsfremden Herren im Land. burg zu gründen. Dass sie gar nicht Die Bedeutung klärt sich rückwirkend. ahnen konnten, dass auf dieses kleine Nun haben viele Professoren ganze Stück Pergament die grossen UnabAufsätze darüber geschrieben, wie hängigkeitskriege von Morgarten und unbedeutend der Bundesbrief sei. Das Sempach folgen sollten. Aber so ist sehe ich als ein gutes Zeichen. Immer es in der Politik. Nicht die Absichten wenn Intellektuelle keinen Aufwand zählen, sondern die Ergebnisse. scheuen, eine Sache für unbedeutend Wir leben in einem Land, das einzu erklären, steckt mehr dahinter. Der zigartig ist. Weil wir ein politisches Historiker Roger Sablonier veröffent- System haben, das einzigartig ist. lichte 2008 ein Buch mit dem Titel Mit dem Bürger als Souverän. Mit „Gründungszeit ohne Eidgenossen“. den Volksrechten. Mit der direkten Seine Hauptthese: Die Innerschwei- Demokratie. Damit klärt sich auch zer hätten 1291 gar keine Eidgenos- die Bedeutung des Bundesbriefes. Nämlich rückwirkend. Das Ergebnis zählt. Wurden, wie die alten Schriften behaupten, nach 1291 die Burgen gestürmt und die Vögte vertrieben? Eher nicht, meint die Forschung. Gab es einen Wilhelm Tell? Den Rütlischwur? Die Geschichte mit dem Gessler? Das Ergebnis zählt. Im 14. und 15. Jahrhundert entwickelt sich die Eidgenossenschaft aus sich selbst heraus. Es entstehen Landsgemeinden, die alle Bewohner eines Gebietes umfassen und die sich ihren Landammann selber wählen. Urformen der Demokratie. Während in ganz Europa der Adel seine Stellung festigt und sich die Monarchien ausgestalten, verschwinden in der Schweiz die aristokratischen Strukturen weitgehend. Von unten nach oben gewachsen Der Bundesbrief ist Teil dieser Kettenreaktion, aus der schliesslich die Schweiz entsteht. Unser Land hat keine exakte Geburtsstunde. Die Schweiz ist gewachsen. Von unten nach oben, wie das Gras auf dem Rütli, dank den Kühen und dem Naturdünger, den sie hinterlassen. Der Bundesbrief steht dafür, dass wir im Kleinen Verantwortung übernehmen sollen. Dass wir selber für unsere Geschicke zuständig sind, wir keine fremden Richter und Herren dulden. Darin liegt die historische Grösse des Bundesbriefes und darin besteht sein heutiger Auftrag.