Interaktiv - Das Kundenmagazin des Fraunhofer IPA 2.2019 | Page 37

interaktiv 2|2019 Organisations- und Wirtschaftsbiomimetik: Von der Natur lernen Die Biologische Transformation basiert auf dem Wissen von achtbare, beschreibbare Prozesse und Verhaltensweisen in der den Prinzipien und der Funktionsweise der Natur – deren Natur gehen, die in einen anderen Kontext, nämlich in den Ökosysteme, Lebewesen und der Beziehungen dieser unter- wirtschaftlichen-organisatorischen übertragen werden. einander – und verknüpft dieses zu Anwendungen in unter- schiedlichen wirtschaftlichen und technischen Prozessen. Analogien für Unternehmensorganisationen Was auf diese Weise optimierte Prozesse beispielsweise von Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos 2018 empfahl Bundes - der modernen industriellen Milchviehhaltung mit Melkrobotern kanzlerin Merkel, ein besseres Ökosystem für Start-ups zu und individualisierter Fütterung über Futterautomaten unter- schaffen. Die Übertragung ursprünglich rein naturwissen - scheidet, ist der Anspruch auf Nachhaltigkeit. Die Biologische schaft lich geprägter Begriffe wie Symbiose, Schwarmintelligenz, Transformation strebt eine langfristige Lebenserhaltung für Alpha-Tiere, Agilität oder Resilienz in den Wirtschafts- und direkt und indirekt mit ihr in Verbindung stehende Lebewesen Unternehmenskontext ist älter. Biologische Analogien ge - und Ökosysteme an. brauchten schon die antiken Naturphilosophen, um abstrakte und komplizierte Sachver halte eingängig und nachvollziehbar Dies Streben ist leichter gesagt als getan. Die komplexen darzustellen. Bei solchen Metaphern geht es aber auch darum, Wirkungszusammenhänge der Natur sind noch lange nicht Gesetzmäßigkeiten komplexer adaptiver lebender Systeme – erforscht, geschweige denn soweit kognitiv durchdrungen, und das sind Orga nismen – auf die Gestaltung nachhaltiger dass sie technisch beherrscht würden. Eine Ahnung der Kom - Unternehmens organisationen und -prozesse anzuwenden. plexität und Regelkreisläufe bekommen wir, wenn wir uns die Anstrengungen zur Klimasimulation anschauen. Trotz der vie- Biologische Grundmuster len einbezogenen Effekte und wissenschaftlich erhobener Datenmengen ist eine wirklich befriedigende Prognosequalität Kritiker weisen zurecht auf unterschiedlich wirkende Mecha - noch nicht erreicht worden. nismen hin, die evolutionäre Prozesse in der Natur und in Wirtschaftsunternehmen auslösen. Tiere und Pflanzen auf der Übertragbare Prozesse einen sowie Wirtschaftsunternehmen und Menschen auf der anderen Seite reagieren ganz verschieden. Schwer bestreitbar Die Biologische Transformation wird bisher überwiegend als aber ist, dass die Verhaltensweisen, die Denkstrukturen und technologische Revolution gesehen. Sie soll Anwendung als das Handlungsrepertoire auf Prozessen aufbaut, die auf die- biotechnologische oder bioinspirierte Hardware finden. Dass sem Planeten entstanden sind. der Mensch auch von der Organisation und der Interaktion von Organismen mit ihrer belebten und unbelebten Mitwelt Denn der Mensch steht stammesgeschichtlich mit allen Lebe - und den evolutionären Veränderungsprozessen auf Indi vidu um- wesen in unterschiedlichen Verwandtschaftsgraden in Ver - und Ökosystemebene lernen kann, findet erst seit wenigen bindung und auch die Umfeldbedingungen seines Lebens sind Jahren Beachtung. dieselben. Entsprechend lassen sich die Ausprägungen von Verhalten, Organisationsgraden, Interaktionsmöglichkeiten Solche Aspekte behandelt die Forschung unter unterschiedlichen seiner tierischen Mitwelt in einen ähnlichen Kontext wie die Oberbegriffen: Evolutionsmanagement, evolutionäre Ökonomie, menschlichen Bedürfnisfelder setzen. Dass ähnliche Gesetz - Organisationsbionik. Aber auch die Biokybernetik gehört in mäßigkeiten auf Technikevolution und Evolution biologischer Teilen dazu. Im Folgenden werden diese unter einem Begriff Systeme wirken, zeigt sich in einer großen Parallelität. Daraus als Organisations- oder Wirtschaftsbiomimetik zusammenge- lassen sich allgemeine Regeln ableiten. fasst. Darin soll es um nicht-dingliche abstrakte, aber beob- 37