Interaktiv - Das Kundenmagazin des Fraunhofer IPA 2.2019 | Page 33

interaktiv 2|2019 In-vitro-Fertilisation durchgeführt wurden, lehne ich explizit dieser Datensätze eine sehr viel genauere Diagnose der Er - und rundweg ab. Diese Experimente waren meines Wissens krankung abzugeben und die Therapie sehr viel genauer zu sowohl technisch schlecht geplant und durchgeführt, medizi- verfolgen als dies bei nicht digitalisierten Technologien in der nisch absolut unnötig, und letztendlich auch ethisch und Vergangenheit möglich war. Der zunehmende Einfluss von moralisch fraglich. Hier war vermutlich der Sensationsfaktor Genom-Information wird dieses Arbeitsgebiet nochmals er - wichtiger als das erhaltene Ergebnis. Diese Art von Forschung heblich beschleunigen. Sie können das komplette Genom lehne ich ab. Die wissenschaftliche Gemeinschaft fordert des- eines Menschen, das sind 3,2 Milliarden Basenpaare, für etwa halb klar ein Moratorium für diese Art von Arbeiten. 100 US Dollar bestimmen lassen. Diese Technologie hat sich überexponentiell entwickelt, deutlich schneller als die Halb - Aber! CRISPR/Cas ist die Schlüsseltechnologie des 21. Jahr - leiter-Technologien (Moore’s Law). Ich bin sehr zuversichtlich, hunderts und stellt eine Revolution für die Medizin, die dass wir hier vor einer weiteren Revolution in der Medizin ste- Pharmazie, die Tier- und Pflanzenzucht und für die Umwelt - hen. Bildgebung und Genomanalyse in Verbindung, Radio - technologie der Zukunft dar. Wir brauchen hier aber auch genomics, wird uns durch Anwendung von KI/ML eine völlig klare, offene Diskussionen in der Gesellschaft mit allen gesell- neue Dimension in der Medizin aufstoßen. schaftlichen, politischen und religiösen Gruppen. Leider ist das enorme Potenzial der CRISPR/Cas-Technologie den meisten Lassen sie mich über ein zweites Beispiel für Anwendungen Menschen in Deutschland noch nicht klar. In diesem Zusam - der KI sprechen und auf den Bereich der Prozesstechnologien menhang sollte man sich bei Fraunhofer mit Vertretern der und Automationssteuerungen zurückkommen. Ich erwarte, anderen Wissenschaftsorganisationen wie Max Planck, Helm - dass in der Zukunft viele Therapien deutlich auf den Patienten holtz, DFG und anderen Interessengruppen zusammensetzen zugeschnitten sind, zum Teil werden sie sogar völlig individua- und eine klare Position einnehmen. Meiner Meinung nach lisiert werden. Damit meine ich, dass jeder Patient seine eige- sollte man diese Technologie mit Nachdruck unterstützen, ne spezifische Therapie bekommt. Dies ist heute bereits bei damit die notwendigen Veränderungen der Biotransfor mation den CAR- (Chimeric-Antigen-Receptor-) Technologien der Fall. im 21. Jahrhundert auch umgesetzt werden können: Das Das Zellmaterial wird individuell von jedem Patienten als Blut - Vermehrungsproblem, das Umweltproblem, das Effizienz - probe entnommen, aufgearbeitet, genetisch verändert und problem, das Nachhaltigkeitsproblem … das alles geht nur nach individueller Vermehrung wird das finale Produkt dann mit einem gezielten Eingriff in das Genom der entsprechen- anschließend in den jeweiligen Patienten zurückgegeben den Systeme. (autologe Transplantation). Mit dieser revolutionären Tech - nologie lassen sich bei manchen Blutkrebs-Erkrankungen Welche Rolle spielt die Künstliche Intelligenz (KI) und das (Leukämien) bis dato nicht vorstellbare Heilungsraten von bis maschinelle Lernen (ML) bei der Biotransformation? zu 90 Prozent und mehr erreichen. Allerdings ist jedes Medi - kament ein individualisiertes, patienten-abgeleitetes Zell - Lorenz Mayr: Ich möchte Ihnen zwei Beispiele für die Bedeu - produkt und benötigt einen speziell überwachten und opti- tung der Künstlichen Intelligenz in den Biowissenschaften mierten Herstellungsprozess. Das Fraunhofer IPA sollte sich nennen, es gibt natürlich noch viel mehr. Das erste bezieht hier mit den Kollegen aus anderen Fraunhofer-Instituten und sich auf die Anwendung der Künstlichen Intelligenz in der externen Partnern unbedingt an der nächsten Welle beteili- Medizin am jeweiligen Patienten. 85 Prozent aller weltweit gen, wo wir KI zur Steuerung automatisierter biologischer generierten Daten werden heute mit den bildgebenden Ver - Prozessanlagen verwenden. fahren in der Medizin generiert, nicht in der Musik- oder Videoindustrie. Das sind meistens Computer-Tomogramme Heute haben wir einfache Systeme in der Mechanik in den (CT) und Positronen-Emissions-Tomogramme (PET und PET- Ingenieurwissenschaften und den Materialwissenschaften. In CT), aber auch die bildgebenden Verfahren mittels Magnet - der Zukunft müssen wir biologische Produktionsprozesse steu- resonanztechnologie (MRT) sowie moderner Ultraschall- und ern, die mehr Varianz bei ihren biologischen Ausgangsmat e - Ultrasound-Technologien. rialien haben. Zellen sind per se heterogener als mechanische Werkteile. Hier muss die Künstliche Intelligenz die Parameter Die Mustererkennung von Gewebe durch die bildgebenden permanent mit überprüfen, nachschreiben und eine Steue - Verfahren in Verbindung mit Patientendaten ist ein giganti- rung oder auch eine Vorhersage des Ergebnisses ermöglichen. scher Schritt nach vorne. Es ist heute schon möglich aufgrund Wir reden hier – ich bleibe lieber beim englischen Begriff – 33