Interaktiv - Das Kundenmagazin des Fraunhofer IPA 1.2018 | Page 32

»Ein altes Haus neu aufbauen« Mit frugalen Stoffaufbereitungsmaschinen erobert Voith die Marktführerschaft zurück Ein Anwenderreport von Ramona Hönl interaktiv 1|2018 Im Gespräch Komplexe high-Tech-maschinen einfacher und günstiger und Komponenten. Heilig, der selbst schon Fertigungsleiter zu produzieren – so lautete ein Teil des erfolgsrezepts, bei Voith Paper war, bekennt: »Oft erkannte man an einer das die Firma Voith Paper ab dem Jahr 2012 aus der Krise Maschine die Handschrift des Konstrukteurs. Da gab es keine geführt hat. mit der serie blueLine ist das Traditions unter - klare Linie und die Fertigung war teuer und aufwändig«. nehmen von der ostalb zu einem Vorreiter für frugale Produktionssysteme geworden. heute gehört Voith wieder Hans-Ludwig Schubert, der seit 18 Jahren bei Voith arbeitet zu den Weltmarktführern bei stoffaufbereitungsanlagen. und den Umstellungsprozess als Leiter des globalen Produkt - managements angestoßen hat, erkannte noch einen weiteren Frugal bedeutet laut Duden »einfach, sparsam, oder be schei - Grund: »Der Weltmarkt für Papier verlagert sich immer stärker den«. Ein frugales Produkt verzichtet auf Schnickschnack. Es in Schwellenländer. Hier ist deutsches High-Tech zwar gefragt, ist einfach aufgebaut, preiswert und leicht bedienbar. Frugal ist doch unsere Maschinen waren für die Unternehmen in Indien zum Beispiel ein Hammer oder ein Handy, mit dem man zwar oder Asien mit Zoll und Versand viel zu teuer«, bestätigt der nur telefonieren kann, dessen Akku aber sehr lange hält. In gebürtige Westfale. Eine Fertigung vor Ort kam nicht in Frage, manchen Branchen sind frugale Produkte sc hon lange Standard. weil Materialien und Know-how fehlten. Außerdem passten Im Maschinen- und Anlagenbau ist der Trend erst in den letzten die Maschinen nicht zu den Bedürfnissen der Schwellenländer. Jahren aufgekommen. Die Unternehmensberatung Roland Hier seien einfache, robuste Anlagen für Verpackungen wie Berger hat im Jahr 2013 frugale Produkte erstmals definiert. zum Beispiel Kartonagen gefragt, denen Dreck oder Glasreste Sie sind funktional, robust, nutzerfreundlich, auf Wachstum aus- in den Ausgangsrohstoffen nichts anhaben können. gelegt, kostengünstig und an lokale Begebenheiten angepasst. Deutsche Technik zu höchstpreisen in schwellenländern Frugal war aber gar nicht die Zielsetzung, als die Firma Voith nicht gefragt Paper aus Heidenheim im Jahr 2010 begonnen hat, ihr Produkt - portfolio für die Stoffaufbereitung radikal zu erneuern. Viel - Die Initialzündung für die neue Strategie kam Schubert in einer mehr waren wirtschaftliche Gründe der Treiber. Andreas Heilig, Beiratssitzung. Dort habe man überlegt, die Produkt struktur der seit 20 Jahren bei Voith in Ravensburg arbeitet und der- bei Voith Paper zu harmonisieren, um wieder wettbewerbs- zeit das globale Produktmanagement im Bereich Stoffaufbe - fähig zu werden. »Das wäre mit dem bestehenden Produkt - reitung verantwortet, erinnert sich: »Unsere Zahlen waren programm ein riesiger Aufwand gewesen. Ich dachte, wenn grottenschlecht«, sagt der gelernte Werkzeugmacher, der auf man ein altes Haus ausräumen muss, kann man es auch gleich dem zweiten Bildungsweg studiert hat. Die Produktion war neu bauen«, so Schubert. Anstelle einer Aufräumaktion wollte nicht ausgelastet und die Maschinen wurden zu Niedrig preisen er das Produktportfolio komplett erneuern. Die Voith-Geschäfts - mit Verlusten verkauft. »Das war eine schlimme Zeit. In Ravens - führung unterstützte sein Vorhaben. Ziele waren, die Herstel - burg mussten wir sehr viele Leute entlassen und die Produk - lungskosten um 40 Prozent zu reduzieren, die Qualität beizu- tion schließen«, erklärt Heilig, der selbst aus der Bodensee- behalten und robust sowie einfacher zu werden. Als zusätz- Region kommt. lichen Kundennutzen wollte Schubert, »wenn man es denn schon neu macht«, die Bedienbarkeit der Maschinen verbes- mit dem Wandel im zeitungsmarkt brachen umsätze ein sern. Dass das, was Voith Paper vorhatte, »frugal« ist, sei dem Unternehmen damals nicht bewusst gewesen, erklärt Schubert. Die Ursache für die niedrigen Umsätze ist der Wandel im Pa pier - Doch wie lässt sich die neue Strategie umsetzen? markt. Voith Paper war auf qualitativ hochwertige graphische Papiersorten spezialisiert. Mit der Digitalisierung reduzierten »Wir haben das Produktportfolio massiv gekürzt und verein- aber immer mehr Printmedien ihre Auflagen. Die Nachfrage facht«, erklärt er die ersten Maßnahmen. Etwa die Hälfte aller nach Zeitungspapier nahm radikal ab. Dies hatte auch Aus- Maschinentypen wurde vom Markt genommen und nicht mehr wir kungen auf die Stoffaufbereitungsanlagen, denn Zeitungs - gefertigt. »Damit haben wir Freiräume gewonnen. Neue Leute druc kpapier benötigt eine aufwändige Reinigung des Altpapiers. konnten wir zu dieser Zeit ja nicht einstellen«, so Schubert. »2009 haben wir noch 700 Maschinen verkauft, 2012 waren Im nächsten Schritt nahmen die Konstrukteure die teuersten es nur noch 500«, so Heilig. Hinzu kam, dass das Produkt port - Maschinentypen unter die Lupe und schauten, wie man sie folio nicht harmonisiert war. Gründe waren Zukäufe anderer vereinfachen kann. Es sollte der Ressourceneinsatz reduziert Unternehmen sowie wie eine unzureichende standortübergrei - und Materialkosten gespart werden. Außerdem wollte Voith fende Konstruktionsrichtlinie zur Entwicklung von Anlagen Paper »Simultanous Engineering« betreiben. 33