Goldilocks Ausgabe 03 | Page 7

Interview


Nick Jue


Nick Jue ist seit Juni 2017 Vorstandsvorsitzender bei der ING-DiBa. Er sprach mit „Goldilocks“ über die agile Transformation der Bank und seine Pläne für die Zukunft.



Interview: Clas Beese

Goldilocks: Nick, du bist CEO der ING-DiBa. Während der agilen Transformation der ING Groep in den Niederlanden warst du dort CEO. Was hast du mit der ING-DiBa vor?


Nick Jue: Eines meiner Ziele ist, die ING-DiBa zur ersten vollständig agilen Bank in Deutschland zu machen. Im Vergleich zu den Niederlanden sind die Voraussetzungen hier allerdings ganz andere. In Deutschland haben wir ein enormes Marktpotenzial – wir wollen also weiter wachsen! Agilität ist für uns dafür ein „Enabler“. Sie ermöglicht uns also, schneller zu werden. So können wir Produkte und Services, die der Kunde wirklich haben will, schneller als bislang auf den Markt bringen.

Goldilocks: Was sind deine wichtigsten Learnings aus dem Prozess in den Niederlanden, mit denen du deinen neuen Job in Deutschland gestartet hast?


Nick Jue: Meine drei Tipps, die ich aus meinen Erfahrungen in den Niederlanden mitgeben kann: Erstens, man muss auch mal Kontrolle aus der Hand geben und seine Experten machen lassen. In der neuen agilen Organisation haben nämlich die Mitarbeiter die volle Verantwortung, etwa dass Prozesse optimiert und neue Produkte schnell und effizient entwickelt werden. Zweitens: Agilität erfordert Disziplin. Denn auch beim agilen Arbeiten gibt es einen Rahmen mit festen Routinen und Abläufen. Wir geben den Teams in der ING-DiBa Tools und agile Methoden wie Scrum und Kanban an die Hand. Darüber hinaus hat auch jedes Team einen internen Agile Coach, um die Methoden bestmöglich anzuwenden. Drittens: Der Wandel sollte schnell durchgeführt werden. So wird Verunsicherung vermieden und die neuen Teams kommen schnell ins Laufen.

Goldilocks: Anfang des Jahres hast du angekündigt, die ING-DiBa zur ersten vollständig agilen Bank in Deutschland zu machen. Was war bisher doch ganz anders, als anfangs gedacht?

Nick Jue: Ehrlich gesagt habe ich gar nicht angenommen, dass alles genauso laufen wird wie in den Niederlanden. Es gibt zwar einen festen Rahmen, durch den die ING in allen Ländern „wiedererkennbar“ ist. Das erleichtert den länderübergreifenden Austausch unter den Kollegen. Dennoch: Der Wandel zu einem agilen Unternehmen sieht in jedem Land, in dem die ING unterwegs ist, anders aus. Wir achten immer auf die Besonderheiten der einzelnen Units. In Deutschland ist die ING zum Beispiel eine reine Digitalbank, ohne Filialnetz. Bis jetzt liegen wir auf unserem Weg voll im Zeitplan: Seit Anfang August arbeiten rund ein Viertel aller Mitarbeiter in Deutschland in der neuen Struktur – und im Sommer des nächsten Jahres soll der Wandel abgeschlossen sein.

Goldilocks: Welche Unterschiede zwischen der niederländischen und der deutschen Unternehmenskultur hast du ausgemacht?

Nick Jue: In Deutschland orientiert man sich noch stärker an Hierarchieebenen als in den Niederlanden. Wenn ich hier etwas toll finde, finden es tendenziell auch die anderen toll. Als wir im Vorstand unsere Einzelbüros aufgegeben haben und klar wurde, dass alle Vorstandskollegen zukünftig an einem großen Konferenztisch sitzen werden, waren die Reaktionen durchweg positiv. Obwohl ich glaube, dass manch einer zuerst seine Zweifel hatte. Mittlerweile bin ich absolut sicher, dass die Kollegen von dem Konzept überzeugt sind. Wir können uns heute viel besser austauschen und beraten als davor.

Goldilocks: Die Erträge der ING-DiBa steigen, auch vor der agilen Transformation waren die Produkte schon beliebt und entsprechend kommen immer mehr Kunden zu euch. Im Aktienkurs spiegeln sich diese Erfolge nicht unbedingt wieder. Soll die agile Transformation helfen, den Aktienkurs zu stärken oder hat das nichts miteinander zu tun?

Nick Jue: In erster Linie werden wir durch Agilität schneller und das wird sich auch positiv auf das Geschäft auswirken. Anstatt wie bislang in traditionellen Strukturen zu arbeiten, haben wir jetzt multidisziplinäre Teams, die Prozesse end-to-end abbilden und verantworten. So arbeiten nun etwa Experten aus IT, Marketing, Produktmanagement und vielen anderen in einem Team zusammen. Entscheidungen werden dadurch viel schneller getroffen und Vorhaben in die Tat umgesetzt. Schlussendlich bin ich überzeugt, dass sich mithilfe der neuen Arbeitsweise und der neuen Strukturen für unsere Kunden bessere Produkte und Dienstleistungen entwickeln lassen – und wir dem Wettbewerb damit die ein oder andere Armlänge voraus sind.

Goldilocks: Was sind deine Tipps zur agilen Transformation an deine Vorstandskollegen der anderen Banken in Deutschland?

Nick Jue: Ich kann nur jeden ermutigen, den Sprung in eine vollständig agile Organisation zu wagen. Ziel unserer Branche sollte es sein, immer an den Kunden zu denken und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen. Die agile Arbeitsumgebung hilft dabei, diesem Anspruch gerecht zu werden.

Goldilocks: Vielen Dank für das Gespräch.