Goldilocks Ausgabe 04 | Page 15

Gastbeitrag


Games sind keine Spielerei



Von der Games-Branche lernen, heißt: den Point of Sale spielerisch
gestalten und komplexe Prozesse in kleine Häppchen unterteilen.



Gastbeitrag von Goodgame Studios über die Erfolgsfaktoren der Branche und ihre Anwendbarkeit auf die Finanzindustrie.

Games sind schon seit einiger Zeit dem Klischee des „Kinderkrams“ entwachsen und haben sich weltweit zu einem relevanten und stetig wachsenden Markt entwickelt. Allein in Deutschland betrug das Marktvolumen in 2018 rund 3,35 Milliarden Euro. Das Publikum hat sich seit den Anfängen der Branche in den Achtzigern und Neunzigern stark erweitert: Einerseits begleiten Games als Hobby die Nutzer durch verschiedene Altersstufen und Lebenslagen – statt nur Teenager sprechen digitale Spiele auch Erwachsene und Rentner an. Das Durchschnittsalter für einen Gamer liegt aktuell bei etwa bei 35 Jahren. Andererseits wird die Spielerschaft mit den Jahren immer weiblicher.
Der Markterfolg stützt sich dabei auf verschiedene Säulen: Der Kauf eines Vollpreistitels im Laden wird mit den Jahren immer unwichtiger. Das deutlichste Wachstum zeigt sich aber im Bereich der sogenannten In-Game-Käufe von virtuellen Gütern und Zusatzinhalten bei Spielen mit einem Free-to-Play-Ansatz.


Wie verdient man aber mit
so einem kostenlosen Produkt trotzdem Geld?

Da eine Bezahlung auf dem Prinzip der Freiwilligkeit beruht, muss das Produkt den Kunden mit klar definierten Vorteilen vom Kauf einzelner Leistungen überzeugen: Die häufigsten Gründe für so eine freiwillige Kaufentscheidung sind Zeitersparnis Stärke und ein verbessertes Aussehen.
Durchschnittlich kann man damit rechnen, dass sich einer von zehn Nutzern dazu entscheidet, zahlender Kunde zu werden. Aber eine regelmäßige Zahlung geht dadurch nicht automatisch hervor. Lohnend ist das Modell vor allem, weil man sich hierbei aus einer großen Masse von Spielern bedient. Das Browserspiel „Goodgame Empire“ erschien im Jahr 2011 und konnte seitdem 98 Millionen registrierte Spieler weltweit verzeichnen, davon 1,5 Millionen zahlende Kunden. In den ersten zwei Jahren der Nutzung gibt ein Spieler durchschnittlich 225 Euro für Ingame-Käufe aus. Schaut man sich die Spielerschaft allerdings genauer an, gibt es dort extreme Unterschiede: Einer großen Masse von Einmalkäufern mit Ausgaben im zweistelligen Bereich stehen einzelne Kunden mit Ausgaben im sechsstelligen Bereich gegenüber.

Was aber motiviert die Spieler dazu, teilweise jahrelang
Zeit und eventuell auch Geld in so ein Spiel zu investieren?

Spiele machen Spaß. Und dafür gibt es klar identifizierbare, psychologische Gründe. Von Scrabble über Risiko bis zu Fortnite haben alles Spiele vier Faktoren gemeinsam:


1. Sie bieten eines oder mehrere klar definierte Ziele, die es zu erreichen gilt.
2. Sie bieten klar definierte Regeln, denen es zu folgen gilt.
3. Sie setzen auf Freiwilligkeit und eine spielerische Bereitschaft für die zu bewältigende Aufgabe.

4. Sie bieten kontinuierliches und direktes Feedback für den Spieler.



Diese Faktoren sorgen dafür, dass Spiele Spaß machen und deshalb als wertvoller Zeitvertreib und Ausgleich zu den Pflichten des Alltags wahrgenommen werden.

Wie lässt sich das jetzt aber auf die Finanzindustrie anwenden?


Es erscheint vielleicht nicht gleich naheliegend, aber Spaß und Motivation lassen sich auch mit Finanzprodukten erzeugen, wenn man den oben beschriebenen Regeln folgt. Und sind die Glückshormone erst einmal in Wallung, wirkt sich das positiv auf die Wahrnehmung von Anbietern und Produkten aus.

Gehen wir die oben beschriebenen Faktoren für Spaß noch einmal durch:
1. Klar definierte Ziele bietet die Finanzbranche bereits in ausreichender Zahl, von der Altersvorsorge bis zum Vermögensaufbau. Eine konkrete Visualisierung hilft bei der individuellen Identifikation mit dem Ziel, das sorgenfreie und komfortable Leben im Alter oder das schicke Eigenheim sind weniger abstrakt und greifbarer.

2. Klar definierte Regeln gibt es ebenfalls zuhauf, auch hier kann man wieder daran arbeiten, dass der Kunde eine konkrete Vorstellung bekommt und sich nicht überfordert fühlt. Haben Sie zum Beispiel schon einmal probiert, die Regeln für den Vermögensaufbau im Stil einer Spielanleitung aufzuschreiben, so dass auch Laien diese gut verstehen?

3. Bei der Freiwilligkeit und spielerischen Bereitschaft wird es schon kniffliger. Finanzthemen erscheinen oft abstrakt, kompliziert und als „lästige Pflicht“. Ein schickes Häuschen als Ziel lässt sicher mehr freien Willen aufkommen als ein bürokratischer Prozess auf dem Weg dorthin. Games neigen oft dazu, große und damit zunächst schwer erreichbare Ziele in viele kleine Schritte herunterzubrechen, die schneller abgehakt werden können und deshalb deutlich motivierender sind. Vielleicht kann sich der Kunde auf dem Weg zum Vertragsabschluß Punkte verdienen, indem er einzelne Schritte abschließt oder trockene Inhalte spaßig verpackt. Könnte ein Fragebogen zu Kundendaten nicht zum Beispiel ein bisschen wie ein Persönlichkeitstest aufgemacht sein, der danach einen „Finanztypen“ ausspuckt statt nur trocken die Informationen abzufragen?

4. Ist der Weg zum Vertragsabschluss erst einmal in spielerische Einzelschritte unterteilt, lässt sich zu jedem Schritt auch direktes Feedback geben: welcher Typ ist der Kunde laut „Finanz-Persönlichkeitstest“? Hat der Kunde den Fragebogen schneller und vollständiger beantwortet, als andere „Mitspieler“? Liege ich als Kunde mit meinen Vorstellungen zum Thema Altersvorsorge in der Norm oder bin ich ein Spezialfall? Fange ich im Vergleich mit anderen Kunden besonders früh oder spät an, mich mit dem Thema zu beschäftigen? Gerade der Vergleich mit anderen kann wertvolles Feedback zu der eigenen „Performance“ in diesem Bereich liefern.

Mit ein bisschen Fantasie lassen sich also auch trockene Themen zu spaßigen Aktivitäten umdeuten!